Small is beautiful
Das Tiny House kommt in Fahrt
Die Tiny House-Bewegung stammt aus den USA und hat bereits weite Teile der westlichen Welt erobert, so auch immer mehr den deutschsprachigen Raum, wie das wachsende Angebot an Tiny House-Büchern, Webseiten, Artikeln und Herstellern zeigt. Ein Anti-Statement bittet zum Tanz.

Das perfekte Tiny House ist ein Hybrid aus Innovation, Recycling und Tradition
Der Begriff „Tiny House" ist dehnbar und umfasst die unterschiedlichsten Mini-Häuser, die zum ganzjährigen Leben oder Arbeiten nutzbar sind. Je nach Definition bieten sie eine Wohnfläche zwischen ca. 8 und 55 m² und reichen von B wie Bauwagen über Baumhäuser, Containerhäuser, Jurten, Modulhäuser, Schäferwägen, Tiny Homes auf Rädern, ausgebauten Wechselbrücken bis zu Z wie Zirkuswägen. Mitunter zählen auch Auswüchse wie das Design-Gartenhaus-Atelier für die Frau, der sogenannte SHE-Shed, als Pendant zum Man Cave, dazu.
Auch klassische Wohnwägen und Wohnmobile können im Prinzip als Tiny Homes durchgehen, allerdings eher die individuell aus- und umgebauten Varianten, da sie sonst ästhetisch sowie ökologisch aus dem Raster fallen.
Das Spektrum an Tiny Houses reicht von mobilen und vollautarken Häusern mit Solaranlage, Pflanzenkläranlage und Kompost-Trenntoilette bis hin zu feststehenden Mini-Häusern, die über alle klassischen Anschlüsse eines „normalen" Hauses verfügen (müssen). Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff Tiny Houses in der Regel für die auf Trailer aufgebauten und somit mobilen Häuschen verwendet. Dabei hat sich parallel zur ursprünglichen DIY-Bewegung und traditionellen Herstellern eine Art Luxus-Ökosegment entwickelt, das hochwertige und maßgeschneiderte Tiny Homes anbietet. Dazu zählen Anbieter wie der österreichische Wohnwagon. Der Preis/m2 übersteigt bei solchen Konzepten gerne den eines konventionellen Hausbaus, liegt jedoch trotzdem insgesamt unter dem für ein Standard-Haus. Ein Indiz für den Wertewandel – hier wird statt mit der Villa mit Einfachheit, gesteigerter Lebensqualität und ökologischem Bewusstsein geprotzt.
Luxus und Individualität

So bieten Tiny Houses eine Plattform für Innovationen, unter anderem in den Bereichen Photovoltaik, Solartechnik, Smart Home, Heiz- und Lüftungstechnik und Energie-Monitoring. Denn ein Kritikpunkt beim Tiny House ist die Energieeffizienz, da es zumeist sechs Außenflächen hat. Hierfür gibt es jedoch zum einen Ansätze für modulare Lösungen, außerdem fällt bei einem Minihaus der CO2-Fußabdruck insgesamt geringer aus als bei konventionellem Wohnen, da die Wohnfläche ungleich geringer ist. Es ist somit als Schritt in die richtige Richtung zu werten. Verbessert wird die Öko-Bilanz, wenn man den Bau mit einberechnet und dabei auf Recycling-Materialien und nachhaltiges Holz setzt. Denn Holz ist gebundenes CO2 und in den meisten Teilen Europas wächst momentan mehr Wald nach, als geerntet wird.
Tiny House-Plätze als Bereicherung und Zukunftschance für Städte und Gemeinden
Tiny Houses stellen nicht die Patent-Lösung dar, um Wohnraum in den Städten zu verdichten oder Familien im großen Stil unterzubringen. Bei aller Euphorie haben Tiny Houses ihre wortwörtlichen Grenzen zum Beispiel für Eltern von mehr als einem Tiny Baby. Somit ist die Frage der Skalierbarkeit und des „was, wenn alle so leben würden?" nicht unbedingt relevant. Aber, „was, wenn mehr Menschen so leben könnten?" Mobile Tiny Houses bieten die einzigartige Möglichkeit, brachliegende Flächen ohne Flächenversiegelung sinnvoll (zwischen-) zu nutzen. Hier können sich Städte und Gemeinden, die solchen Konzepten bürokratisch-kreativ entgegenkommen, einen Standortvorteil verschaffen.
Die Nomaden der Neuzeit

Ein Tiny House kann bei geringen Betriebs- und Standortkosten finanzielle Vorteile mit sich bringen, da es sich um überschaubare Investitionssummen handelt, vor allem bei solchen Häuschen, die unter Einsatz von Recycling-Materialien und in viel Eigenarbeit errichtet wurden. Das kann für Privatpersonen einen großen Anreiz darstellen, um sich aus dem ewigen Kreislauf der Mietzahlungen und evtl. Schulden zu befreien. Die Abhängigkeit wird reduziert und finanzielle Ressourcen können stärker aufs Wesentliche, das Leben, gerichtet werden. Doch die größte Hürde für Tiny House-Anwärter stellt die Stellplatzsuche dar – vor allem für mobile Lösungen auf Zeit und sogar auf eigenem Grund.
Sonderflächen für die Minihäuschen
Viele der Tiny Homes passen nicht in das Raster unseres Vorschriften-Dschungels. Hier sind in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Hürden zu meistern, wenn man nicht auf „pragmatischere" Lösungen setzen möchte. Dabei läge in diesem Möglichmachen eine große Chance: Gemeinden, die ganz offiziell Tiny House-Plätze für die junge Bevölkerung, Studenten, Auszubildende und Digitalnomaden in Form von ausgewiesenen Sonderflächen anbieten, könnten so bei vergleichsweise geringem Aufwand Wohnraum und ein „grünes" und soziales Aushängeschild schaffen. Das kann weitere Pull-Effekte in Richtung Green Economy mit sich bringen und stellt somit für die Region eine lohnende Investition in eine nachhaltige Zukunft dar.
Ein Ansatz, der, um weitere Einrichtungen wie Gemeinschaftsgärten erweitert, auch den Dialog, die Demokratie und den Zusammenhalt im Ort stärken kann.
Tiny Houses bieten beispielsweise die Gelegenheit, die ältere Bevölkerung, die mit Erreichen des Rentenalters der Babyboomer kontinuierlich wächst, stärker in die Gesellschaft einzubinden. So können Senioren in diesem Lebensabschnitt – freiwillig – sinnvolles Downsizing betreiben, um ihre zu groß gewordenen Häuser und Wohnungen den oben genannten Familien zu überlassen. Im Tausch gegen den Reichtum von Eingebundenheit und gewonnenem Zugehörigkeitsgefühl in einer Tiny House-Gemeinschaft.
Sanfter Tourismus braucht die Individualität und Kreativität der Bewegung
Auf dem Weg in eine Experience Economy, in der Erleben über Besitzen steht und Zeit die teuerste Währung ist, sind Tiny Houses ein Muss im Repertoire eines sanften, nachhaltigen Tourismus. Als Teil des Slow Movements (siehe auch Slow Food) ist er der Gegenpol zur Hektik und Reizüberflutung unserer Zeit. Abseits vom Massengeschäft geht es hier um individuelle Erlebnisse, darum, sich eine Auszeit zu nehmen, wieder mit sich und der Natur in Einklang zu kommen – Stichwort Mindfulness.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass hier strukturschwache Gebiete im besten Fall mit schlechtem Handyempfang (wow…!) im Vorteil sind und besondere Akzente setzen können. Eine Möglichkeit ist es, das Probewohnen im Tiny House anzubieten – zum einen für die, die ihre romantischen Vorstellungen von einem solchen Schritt auf Praxistauglichkeit überprüfen wollen und zum anderen für diejenigen, die sich auf keinen Fall vorstellen können, dauerhaft so zu wohnen, aber für ein paar Tage, vielleicht…
Die Entwicklungen der Urbanisierung und Digitalisierung verstärken das Bedürfnis nach einzigartigen Naturerlebnissen in unberührter Landschaft. Es entwickelt sich eine Art Wildnis-Wellness, digitale Entschlackung inklusive. Die Begeisterung für das sogenannte Glamping (= Glamour + Camping) nimmt deshalb stark zu. Dies liegt in unseren klimatischen Breiten auf der Hand, da die Saison und Zielgruppe für Zelt- und hartgesottene Wintercamper begrenzt ist.
Zurück zum Tiny House und seinen Möglichkeiten: Hier können Sonderflächen wie Campingplätze den Trend nutzen, um Angebote für Gruppen, Teambuildings, Workshops, Yoga-Sessions und Ähnliches zu schaffen, denn sie erfüllen am ehesten die formellen Voraussetzungen, um die Nachfrage nach Stellplätzen für Tiny House-Besitzer zu beantworten. Ein Zukunftsmodell, das das des klassischen Dauercampers ersetzen könnte. Aber auch im urbaneren Umfeld können einfachste Flächen wie Parkplätze in charmanten Lebensraum verwandelt werden, wie das Tiny House-Hotel in Portland, Oregon beispielhaft vormacht.
Doch auch hier in der DACH-Region entstehen vermehrt Inseln des Besonderen. Im Fichtelgebirge etwa wurde das erste Tiny House-Hotel Deutschlands eröffnet und Baumhäuser oder das sogenannte Glamping Luxus Camping finden immer mehr Anhänger. Die Herausforderung besteht darin, etwas Authentisches zu schaffen, das zum Standort passt und ein stimmiges, sowie einzigartiges Konzept darstellt. Die Wertschätzung der Tiny House-Bewegung gilt dem Menschen als Individuum und kreatives Wesen, nicht als effizienzgetriebenem Performer. Deshalb geht es nicht darum, die 100. Standardsiedlung zu etablieren, sondern Nachhaltigkeit in allen Aspekten bis zum Ende zu denken.

Auf alle Fälle muss das Storytelling bei Small-Living-Konzepten stimmen und im Zweifel den Profis überlassen werden. Das gilt nicht nur im Bereich des Slow Tourisms. Um die jungen Generationen Millennials und GenZ zu erreichen, ist es nicht zu unterschätzen, inhaltlich wie ästhetisch wirkungsvolle Orte zu schaffen, die auch „instagrammable" sind. Dann können Tiny Houses eine Gelegenheit für Unternehmen bieten – egal welcher Branche – ihre Werte zu unterstreichen und eine emotionale Bindung zum Kunden aufzubauen.
Beispielhaft vorgemacht, wie man das Thema auf eine andere Ebene heben kann, hat es BMWs Mini Sparte mit der Kampagne #miniliving. Durch eine Reihe von innovativen Tiny House-Konstruktionen von Top-Designern sind sie in einen Dialog mit den Konsumenten getreten, wie sie sich in Zukunft ein nachhaltiges Zusammenleben in den Städten vorstellen können. So wurde im April 2017 auf der Salone del Mobile in Mailand mit „Breathe" das Miniliving-Konzept lanciert und ging im September in London mit der „Urban Cabin" im Rahmen des London Design Festivals weiter.
Im Oktober 2017 hat sich die Urban Cabin in New York mit Fragen der Migration beschäftigt. Die Reichweite dieser Kampagne wurde durch eine professionelle PR-Agentur unterstützt, die die relevanten „Influencer" für Social Media eingebunden hat. Zwischenzeitlich gab es auch in Deutschland – allen voran in Berlin mit dem Tiny House-Campus und in München – diverse Präsentationen in Sachen Tiny House und in Karlsruhe hat sich dazu eine erfolgreiche Messeveranstaltung etabliert. Beim Tiny House Festival im Rahmen der Messe New Housing trifft sich dort jeweils Ende Mai die Community aus dem deutschsprachigen Raum. Gezeigt werden die neuesten Tiny Häuser und Trends zum minimalistischen Wohnen. Nachhaltige Materialien und Autarkie runden das Ausstellungsspektrum ab. Erbauer und Tiny House-Bewohner berichten in Vorträgen und Workshops von ihren Erfahrungen.
Hersteller aus verschiedenen Branchen
Vom Tiny House-Boom wollen vor allem Zimmereien und Anbieter aus dem Fertighausbau profitieren, doch auch aus anderen Branchen kommen wegweisende Initiativen. Der Online-Shop greenakku.de, der Produkte rund um die Solarenergie anbietet, hat das Aktionsfeld für sich entdeckt und konsequent umgesetzt. „Ich bin von der Idee und dem Konzept begeistert", schwärmt Inhaber Wolfgang Felzen. „Am Beispiel Tiny House können wir die vielfältigen Möglichkeiten der Nutzung von Solarenergie – auch im Inselbetrieb – wirkungsvoll demonstrieren. Ich bin überrascht über die enorme Nachfrage nach unseren Tiny Häusern."
Ähnlich sieht es die Chefin von Werkhaus. Das erfolgreiche Unternehmen für steckbare Ordnungsutensilien und Kleinmöbel mit Filialen in mehreren deutschen Städten bietet jetzt auch steckbare Tiny Homes, Gartenhäuser und die Sauna auf Rädern an. „Wir sind", so Eva Danneberg, „mit voller Begeisterung in das Thema eingestiegen und wollen alles rund um die Tiny House-Bewegung anbieten. Von der Komposttoilette über Ferienhäuschen bis zur Wellnesshütte. Auch das erste Fahrrad-Feriendorf ist in Planung."
Je nachdem, welcher Aspekt beim Thema Tiny House es also sein mag, der unter Umständen mit Ihrem Unternehmen räsoniert, können sich verschiedene Möglichkeiten eröffnen. Sei es die eigene Produktion von Tiny Häusern oder einfach nur die Nutzung als Pop-up-Store, mobiler Repairshop für Outdoor-Mode, fahrendes Büro, Unterkunft für Firmengäste oder cooler Messestand zum Thema Smart Home. Nehmen wir zum Beispiel an, Sie haben ein Unternehmen, das örtlich etwas abseits liegt, grüne Technologien oder Produkte anbietet oder sich gerade im Wandel in Richtung mehr Nachhaltigkeit befindet. Anstatt Ihre Kunden im nächstgelegenen Dorfhotel einzuquartieren, gestalten und nutzen Sie Ihre firmeneigenen Tiny Homes und machen so den Kundenbesuch zu einer einzigartigen Erfahrung.
Vielleicht haben Sie auch eine Markenerlebniswelt, an die man ein Tiny House-Dorf konzeptuell anschließen kann und ganzjährig vielseitig für Besucher, Kunden und interne Workshops bespielt. Auf alle Fälle können Firmen davon profitieren, den Trend aufzugreifen und Services oder Produkte speziell auf die Bedürfnisse der Bewegung abzustimmen. Apropos: Haben Sie schon in Betracht gezogen, Ihrem Kind ein Tiny House zu bauen oder dafür einen Sparvertrag abzuschließen? Falls diese Idee nicht schon in der Pubertät Früchte trägt, kann sie die Finanzierung der Ausbildung an einem variablen Ort deutlich vergünstigen. Zudem ermöglicht sie Ihrem Sprössling vielleicht später, flexibel auf Umbrüche im Lebenslauf zu reagieren, denn bis dahin ist hoffentlich auch die Stellplatzsuche leichter als heute.
DI (FH) Frauke Pietzner wurde auf der Suche nach einem ARTgerechten Lebenstil zum Tiny House-Fan und träumt von einer Tiny House-Insel, die gleichzeitig als ökologischer Lern-, Erfahrungs-, Gemeinschaftsort und kreativer Spielplatz dient. Sie hat Interior Design studiert und arbeitet seit mehreren Jahren als Trendforscherin und Storytellerin.
Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 01.06.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.

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