Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.06.2019
„Ich bin, weil du bist”
Von der Weltbank-Chefin zur Aktivistin
Als Aktivistin in Südafrika kämpfte Mamphela Ramphele für Gerechtigkeit. Heute sieht die ehemalige Geschäftsführerin der Weltbank eine veränderte Denkweise als Grundvoraussetzung für eine gerechte und nachhaltige Welt.

Dr. Mamphela Aletta Ramphele, geboren 1947, ein Jahr bevor die Apartheid* in Südafrika eingeführt wurde, weiß um die Notwendigkeit von Veränderungen. Bereits während ihres Studiums an der medizinischen Hochschule engagierte sie sich als Aktivistin und war gemeinsam mit Bantu Stephen Biko, mit dem sie zwei Kinder hat, eine der Gründerinnen der „Bewegung des schwarzen Selbstbewusstseins" (Black Consciousness Movement). Biko wurde wegen seiner Protestaktionen gegen die Apartheid verhaftet und starb 1977 an den Folgen von Folterungen im Gefängnis. Der Tod von Steve Biko wurde zum Symbol für die Grausamkeit und den Machtmissbrauch des Apartheid-Systems. Buch und Film "Schrei nach Freiheit” setzen ihm ein erschütterndes Denkmal. Peter Gabriel würdigt Biko im gleichnamigen, legendären Song als großen Freiheitskämpfer.
Ramphele setzte ihr politisches Engagement während der ganzen Zeit unvermindert fort und promovierte 1991 in Sozialanthropologie an der Universität von Kapstadt, ein Jahr nachdem Nelson Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden war.
Jeder kann Teil des Wandels sein
Weil sie das schreckliche Regime in ihrem Geburtsland erlebt hat, freut sich Ramphele nun auf einen radikalen Wandel in der Weltwirtschaft. Sie ist der Meinung, dass nicht Regierungen oder die Wirtschaft die notwendigen Veränderungen einleiten, sondern verweist auf ihre Erfahrungen im Kampf gegen den politischen Rassismus: „In der ganzen Weltgeschichte wurde der Wandel von Individuen ausgelöst. Und dennoch können Individuen den Wandel nicht aufrechterhalten, wenn sie nicht zu Katalysatoren für andere Individuen werden, damit sich diese ihrer Sache anschließen. Veränderung geschieht, wenn engagierte Menschen zu wirksamen Katalysatoren werden – in Schulen, Kirchen, Unternehmen oder Regierungen."
Eine umfassende Praxis von Corporate Social Responsibility (CSR) unterstützt nach Ansicht von Ramphele den Wandel zum Gemeinwohl in der Unternehmenswelt. Doch die Aktivistin, die von 2000 bis 2004 Geschäftsführerin der Weltbank war, ist nicht überzeugt vom Engagement der Firmen. Sie stellt fest, dass viele multinationale Unternehmen ihre Werte und Ethik außer Acht lassen, wenn sie in Entwicklungsländer kommen, wo die rechtsstaatlichen Mechanismen schwach sind. Sie verweist auf die jüngste Katastrophe, bei der die Unternehmensberatung McKinsey einen Großauftrag in Südafrika unterzeichnete – der sich als illegal herausstellte. „Wenn sie das in den Vereinigten Staaten versucht hätten, wären sie im Gefängnis gelandet. In einer vernetzten Welt können wir es nicht zulassen, dass Unternehmen einen Wertekanon in ihren Heimatländern anwenden und einen anderen Wertekanon, wenn sie in Entwicklungsländern tätig sind", sagt Ramphele.
Small is beautiful
„Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell", so Ramphele weiter, „wir brauchen die multinationalen Konzerne und die großen Agrarkonzerne von gestern nicht, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Der Gedanke, dass größer besser ist, hat sich als nicht wahr erwiesen. Größenvorteile mögen für eine begrenzte Gruppe von Aktionären gut sein, aber den Wettbewerb töten sie: Sie verhindern den Eintritt junger Menschen und kleinerer Betriebe, die der Gesellschaft Innovation und Lebendigkeit bringen.”
Gefragt nach einem Beispiel für die Art von Geschäftsinitiativen, die die Welt braucht, spricht Ramphele begeistert über M-Pesa, das 2007 in Kenia als mobiltelefonbasierter Geldtransfer-, Finanzierungs- und Mikrofinanzierungsservice eingeführt wurde und sich seitdem schnell zum erfolgreichsten Finanzdienstleister in den Entwicklungsländern entwickelt hat.
Heute hat fast die Hälfte der Bevölkerung Kenias ein M-Pesa-Konto, und der Dienst wurde auch in Tansania, Afghanistan, Südafrika und Indien erfolgreich eingeführt. M-Pesa wurde dafür gelobt, Millionen von Menschen Zugang zum formellen Finanzsystem zu verschaffen und die Kriminalität in ansonsten weitgehend auf Bargeld basierenden Gesellschaften zu reduzieren. Ramphele: „M-Pesa ist besser als die Western Union Bank, die traditionell von Wanderarbeitern genutzt wurde und hohe Gebühren verlangte. M-Pesas Gebühren sind gering und sie verdienen dennoch genügend Geld!"
Landwirtschaft ist ein Schlüssel für Veränderung
Trotz des inspirierenden Beispiels von M-Pesa bedeutet Veränderung in Afrika in erster Linie Veränderung in den ländlichen Gebieten. Sechzig Prozent der Afrikaner leben von ihren Farmen. Mit ihrer umfangreichen Gemeindeentwicklungsarbeit in Südafrika und ihrer Erfahrung bei der Weltbank ist sich Ramphele dieser Realität sehr bewusst. „Wenn wir einen nachhaltigen Planeten haben wollen, können wir es uns nicht leisten, von großen Farmen abhängig zu sein, die von Robotern und Chemikalien gesteuert werden. Wir scheinen vergessen zu haben, dass Afrika die Wiege der Menschheit war, in der die Landwirtschaft vor langer Zeit perfektioniert wurde. Wir haben Kohlenstoff als Dünger verwendet. Das ist die Art und Weise der Natur, wie man recycelt und regeneriert. Wir müssen den Lehren der Natur und der Geschichte mehr Beachtung schenken."
Den Fokus auf Natur und Landwirtschaft zu halten, ist nach ihrer Meinung entscheidend, um sicherzustellen, dass die notwendige Veränderung alle Menschen einbezieht. „Solange wir Regierungen und Wirtschaftssysteme haben, die die Menschen außer Acht lassen, können wir keine nachhaltigen Gesellschaften aufbauen, und wir sind weiterhin in Gefahr, dass Populisten an die Macht kommen." Sie sieht eine klare Verbindung von Jakob Zuma, der kürzlich in Südafrika zurücktreten musste, zu Donald Trump, Vladimir Putin und aufstrebenden radikalen Führern in Europa. Ramphele fasst die Botschaft zusammen, die diese demagogischen Führer ihren Wählern geben: „Du hast nichts zu verlieren. Wenn du zerstörst, was Deine Gegner haben, wirst du dich besser fühlen und deine Belohnung spätestens im Himmel bekommen."
Sie ruft deshalb ihre Mitstreiter in der Welt auf: „Wir müssen verstehen, dass es ausreicht, zu sagen: ‚Ich lebe in einer Demokratie.‘ Es ist wichtig, die Frage zu stellen: ‚Wie gut ist diese Demokratie? Wie inklusiv ist sie? Welche Personengruppen könnten außen vor gelassen worden sein? Was kann ich als fortschrittlicher Bürger tun, um mich denen verpflichtet zu fühlen, die sich außer Acht gelassen fühlen, und ihnen die Erfahrung zu nehmen, dass die ganze Welt sie vergessen hat?’"
Dieses gesellschaftliche Engagement bedeutete für Ramphele früher endlose Tage des Reisens an ferne, schwer erreichbare Orte. „Heute ist es viel einfacher, sich zu engagieren", sagt sie, „Dank der neuen Informationstechnologie." Aber sie fügt schnell hinzu: „Wir müssen sie effektiver nutzen, bisher sind uns hier Populisten und Radikale voraus." Dennoch äußert sie sich optimistisch. „Die gute Nachricht ist, dass es nur einen Planeten gibt. Wenn wir es vermasseln, spielt es keine Rolle, wie viele Milliarden man besitzt – sie sind wertlos. Die Realität ist, dass wir nur überleben werden, wenn alle Menschen nachhaltig blühen und gedeihen können."
Ihre Worte geben die Inspiration von Ubuntu wieder, der afrikanischen Philosophie, die lehrt: „Ich bin, weil du bist."
* Als Apartheid wird eine geschichtliche Periode der staatlich festgelegten und organisierten so genannten Rassentrennung in Südafrika bezeichnet. Sie war vor allem durch die autoritäre, selbsterklärte Vorherrschaft der „weißen", europäischstämmigen Bevölkerungsgruppe über alle anderen gekennzeichnet.
Von Jurriaan Kamp
Autor: Jurriaan Kamp
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