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Lifestyle | Kunst & Kultur, 01.03.2019

Die Alchemisten des Designs

Die Ausstellung „Pure Gold – Upcycled! Upgraded!“

Billigmaterialien, Sperrmüll, Unkraut und Müll – das alles kann durch Kreativität zur Kunst werden. Die Ausstellung „Pure Gold – Upcycled! Upgraded!" befasst sich mit dem alten Traum der Alchemisten: Der Verwandlung von Müll in etwas Wertvolles – und zeigt dabei erstaunliche Transformationen.
 
Rubber Stool R1 ist Teil einer Serie, die verschiedene Möbel wie Sessel, Bänke und Tische aus alten Autoreifen umfasst. © Institut für AuslandsbeziehungenRubber Stool R1 ist Teil einer Serie, die verschiedene Möbel wie Sessel, Bänke und Tische aus alten Autoreifen umfasst. © Institut für Auslandsbeziehungen
Die forum-Serie „NachhaltigKunst" stellt in dieser Ausgabe die Kunst- und Designausstellung Pure Gold – Upcycled! Upgraded! vor, die internationale Positionen und Vorgehensweisen zeigt, aus kostenlosen oder billigen Materialien wie Baustahl, Plastikbechern oder Plastiktüten wertvolle, ästhetische und nützliche Objekte zu schaffen.
 
Eine Idee geht auf Welttournee
Pure Gold ist ein echtes Gemeinschaftsprojekt. 2014 von Volker Albus initiiert, wird die Ausstellung von acht Kuratoren betreut. Sie entstand in Zusammenarbeit mit regionalen Künstlern, Designern und Kreativen und wird finanziell und organisatorisch getragen vom Institut für Auslandsbeziehungen.
 
Das Ausstellungskonzept basiert dabei auf zwei Säulen: der physischen Ausstellung und einer digitalen Plattform. Die physische Ausstellung, die insgesamt 70 Exponate zeigt, wurde erstmalig von September 2017 bis Januar 2018 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gezeigt. Nun befindet sie sich für die nächsten zehn Jahre auf Welttournee. Die Stationen für 2018 waren Bangkok und London. Die Ausstellung wird vor Ort nicht nur durch Workshops und Konferenzen ergänzt. Auch lokale Designer und Künstler sind eingeladen, sich mit Exponaten zu beteiligen.
 
Upcycling – der neue Megatrend
Das Designobjekt 'Beam armchair with cushions' des Niederländers Piet Hein Eek. Das Polster ist mit Militärzeltstoff bezogen. © Piet Hein EekDas Designobjekt 'Beam armchair with cushions' des Niederländers Piet Hein Eek. Das Polster ist mit Militärzeltstoff bezogen. © Piet Hein Eek
„Upcycling" ist als Begriff noch relativ jung. Er wurde 1994 vom Ingenieur und Unternehmer Reiner Pilz in der Zeitschrift Salvo verwendet und richtete sich damals gegen eine Abfallrichtlinie. Pilz äußerte sich dazu folgendermaßen: „Recycling‘ ... I call it down-cycling. They smash bricks, they smash everything. What we need is up-cycling where old products are given more value, not less". Im industriellen Umfeld hat insbesondere der Cradle-to-Cradle-Ansatz von Michael Braungart und William McDonough zur Verbreitung des Upcycling-Gedankens beigetragen. Allerdings ist die Idee, die hinter dem Begriff Upcycling steht, bereits viel älter. Ein klassisches Beispiel ist die Umnutzung von Kriegsmaterial, wie zum Beispiel von Helmen oder Granatenhülsen, in Kochgeschirr und Lampen nach dem zweiten Weltkrieg.
 
Heute lässt sich Upcycling einerseits im privaten Hobby- und Do-it-yourself-Umfeld vorfinden. Allein bei Amazon liefert etwa die Suche nach Büchern zum Upcycling mehr als 200 Ratgeberbücher und auch die sogenannte „Maker-Szene" wird immer größer. Andererseits findet man Upcycling-Ansätze zunehmend auch im kommerziellen Umfeld. H&M etwa ruft im Rahmen seiner „Garement Collection" zum Abgeben alter Kleidung auf, um daraus Neues herzustellen. Bei anderen großen Marken gibt es Ähnliches. Upcycling ist auf dem Weg, zum Megatrend zu werden.
 
Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine einheitliche Strategie, denn das Konzept kann vielfältige Ausprägungen annehmen. Beispielsweise produzieren die Modemarke Ecoalf oder Patagonia, der Schulranzen-Hersteller Ergobag und das Bodenbelagsunternehmen Interface ihre Produkte aus Materialien, die vorher Fischernetze oder PET-Flaschen waren. In den neuen Endprodukten sind das Ausgangsmaterial sowie die frühere Nutzung nicht mehr erkennbar. Dieser Ansatz zielt darauf ab, konventionelle oder gar „ökologisch unkorrekte" Rohmaterialien durch „upgecycletes Material" zu ersetzen und dabei trotzdem die Ästhetik und Qualität der konventionellen Produkte zu erreichen.
 
Das Produkt bleibt, die Nutzung ändert sich
Die Ausstellung Pure Gold präsentiert mit der sogenannten „as found-Strategie" einen anderen Ansatz des Upcyclings. Bei diesem Ansatz werden ver- und gebrauchte Gegenstände oder relativ billige Alltagsgegenstände ebenfalls zu neuen Produkten verarbeitet; die Ursprungsobjekte bleiben hierbei jedoch für den Nutzer und Betrachter mehr oder weniger klar erkennbar. Die neuen Produkte negieren die Vorgängerverwendung also nicht, sondern sollen durch handwerkliche Qualitäten und Ästhetik ein neues Begehren erzeugen. Dieser „as found-Ansatz" ist sehr breit einsetzbar, da er keine teuren Maschinen zur technischen Zerlegung des Ausgangsmaterials erfordert. Er funktioniert manuell und mit einfachsten Werkzeugen. Außerdem kommuniziert er den Gedanken des Upcyclings auch gegenüber dem Rezipienten viel stärker, denn das Erkennen der Ausgangsmaterialien macht das Upcycling für den Nutzer erleb- und nachvollziehbar.
 
Die Highlights der Ausstellung
Den Korpus der Hocker Knit-Knacks bilden alte Waschmaschinentrommeln, die in Anlehnung an arabische Muster farbenprächtig verziert sind. © Institut fu?r AuslandsbeziehungenDen Korpus der Hocker Knit-Knacks bilden alte Waschmaschinentrommeln, die in Anlehnung an arabische Muster farbenprächtig verziert sind. © Institut fu?r Auslandsbeziehungen
Es ist hier nicht möglich, alle Exponate der Ausstellung vorzustellen, weshalb ich die persönlichen Highlights meines Streifzugs durch die Ausstellung vorstelle. Objekte, die ich als besonders überraschend, ästhetisch oder nützlich empfand.
 
Der englische Designer Paul Cocksedge ist in der Ausstellung mit seiner 2002 erstellten Lampe „Styrene" vertreten. Diese Arbeit verarbeitet hunderte erhitzte Plastikbecher aus Polystyrol zu einer kugelförmigen Lampe. Durch die unregelmäßigen Ränder entstand eine interessante, ästhetische und fast organisch wirkende Lampe, die erst auf den zweiten Blick das Geheimnis ihres Ursprungs verrät. Dieses Objekt ist ein starkes Beispiel dafür, wie aus dem Prinzip des Wegwerfens ein Prinzip des Begehrens wird. Volker Albus merkte dazu in einem Interview für die Zeitschrift Arch+ an, dass die Konsumgesellschaft nach dem Prinzip des Begehrens funktioniere und ein dauernder Appell mit erhobenem Zeigefinger zum Konsumverzicht nicht zu dem notwendigen Wandel der Konsummuster führen werde. Das zweite Objekt ist der „Beam armchair with cushions" des Niederländers Piet Hein Eek. Dieser ist aus verwitterten und gut abgelagerten Holzplanken produziert und jede Verbindung und Schraube ist deutlich zu sehen. Das Polster ist mit Militärzeltstoff bezogen. Das Exponat wirkt wuchtig, massiv und brachial. Piet Hein Eek bietet seinen Sessel in seinem Onlineshop und seinem „Kaufhaus" zum Kauf an – für 2.090 €. Dieser stolze Preis ist ein weiterer Indikator für das Prinzip des Begehrens, für das Habenwollen von Upcycling-Design und für den Wert von Dingen ...
 
Das Objekt „Knit-Knacks" aus dem Jahre 2012 stammt vom Kreativduo Junk Munkez, hinter dem Xavier Baghdadi und Lea Kirdikian aus dem Libanon stehen. Sie kreieren aus lokalen Abfällen witzige und inspirierende Objekte. Den Korpus der Hocker Knit-Knacks bilden alte Waschmaschinentrommeln, die in Anlehnung an arabische Muster von Gebäuden und Artefakten farbenprächtig verziert sind. Auf seiner Facebook-Seite bietet das Designkollektiv aktuell auch zwei Knit-Knacks für 200 $ an, die mit Motiven von Picasso und Jean Cocteau verziert sind.
 
Auch das Exponat „Rubber Stool R1" von Khmissa Morocco Design aus München lädt zum Sitzen ein. Hinter Khmissa Morocco Design stehen die deutsche Bettina Gousset und der Marokkaner Said Lamghari, die mit ihren Entwürfen marokkanische Traditionen mit modernem Design verbinden wollen. Rubber Stool R1 aus dem Jahre 2005 ist Teil einer ganzen Serie, die verschiedene Möbel wie Sessel, Bänke und Tische aus alten Autoreifen umfasst. Die Autoreifen werden bei diesem Stuhl auf einen Holzkorpus genagelt. Die verschiedenen Profile der Autoreifen und das Anmalen der Reifen in Silber, Gold und Kupfer lassen die ausrangierten Reifen modern erscheinen und bilden einen echten Hingucker in urban-modernen Wohn- und Büroumgebungen.
 
Das letzte Exponat meines Streifzugs bildet die Serie „Mein Name ist Hase", „Death in Venice" und „Forest Gump" (alle 2015) der Künstlerin und Schneiderin Waltraud Münzhuber, ebenfalls aus München. Schon seit vielen Jahren produziert sie aus Plastiktüten Taschen. Dabei wird aus jeweils einer Plastiktasche durch Zerschneiden in dünne Bahnen und Weben eine neue Tasche ohne Nähte erschaffen. Bei den drei Objekten in der Ausstellung Pure Gold verarbeitet die Künstlerin alte Videobänder mithilfe einer Webtechnik zu beutelartigen Gebilden. Jedes Exponat besteht genau aus einem Film und weckt damit beim zweiten Blick Erinnerungen an Meisterwerke des Kinos. Neben diesem symbolischen Wert, der durch die Namensgebung und durch die „Vorgeschichte" auch vielen anderen Exponaten der Ausstellung innewohnt, erzeugt hier die besondere Beschaffenheit des Materials Magnetband interessante, metallische-glänzende Lichtreflexionen.
 
Die vorgestellte Auswahl stellt nur einen kleinen Ausschnitt der gezeigten Exponate dar. Diese wie auch die übrigen Objekte inspirieren und machen Lust auf eigenes Upcycling oder den Kauf von Upcycling-Produkten. Aber wie bei vielen Ausstellungen erschließt sich der volle Wert der Objekte nur, wenn man sich genauer mit den Kreativen dahinter, den Philosophien und Ideen der Exponate sowie den angewandten (handwerklichen) Techniken auseinandersetzt. Der zur Ausstellung erschienene Katalog sowie die digitale Plattform bieten deshalb gute Möglichkeiten, sich mit kreativem Upcycling-Design intensiver auseinanderzusetzen.
 

Die Serie „NachhaltigKunst" stellt in jeder Ausgabe einen Künstler, eine Künstlergruppe, ein Kunstwerk und/oder ein Kunstprojekt vor, welche die Sphären Nachhaltigkeit und Kunst interessant verbinden. Das soll Sie als Leser berühren und für Kunst begeistern. Es darf aber auch als Inspiration für Unternehmen, Institutionen und NGOs dienen, sich mit den Potenzialen von Kunst für die Nachhaltigkeitskommunikation auseinanderzusetzen. Gerne nehmen wir auch Ihre Vorschläge für Beiträge zu „NachhaltigKunst" entgegen.
 
Prof. Dr. Carsten Baumgarth ist Professor für Marketing, insbesondere Markenführung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Verbindung von Marke und Nachhaltigkeit sowie den Verknüpfungen zur Kunst. Speziell die Kooperation von Kunst und Unternehmen ist ihm ein Anliegen.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
     
        
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