BIOFACH 2025

Werbung? Nein Danke!

Ist Werbung volkswirtschaftliche Verschwendung?

Werbung und Nachhaltigkeit passen nicht zusammen. Werbung treibt die Menschen zu immer mehr Haben statt Sein, zu immer mehr Konsum, immer mehr Ressourcen- und Energieverbrauch. Eine Streitschrift von Christian Kreiß

© foodwatchStatt innezuhalten, Maß zu halten oder gar Befreiung vom Überfluss zu propagieren, feuert Werbung die Menschen an, immer noch mehr und noch mehr zu verbrauchen. Deshalb ist Werbung, vor allem im derzeitigen Umfang, einer der größten Gegenspieler von Nachhaltigkeit. Im Folgenden geht es ausschließlich um kommerzielle Werbung gewinnorientierter Unternehmen, also nur um Werbung zu Profitzwecken. Es geht nicht um Bekanntmachungen oder Werbung für kulturelle, politische, behördliche oder ähnliche Zwecke.

Werbeinformationen sind meist irrelevant oder wertlos für unsere Kaufentscheidungen
Nehmen wir eine typische Fernseh- oder Plakatwerbung: „Jetzt ein Pils!" Was erfahren wir über Preis, Alkohol-, Kaloriengehalt usw.? Oder „Freude am Fahren". Was lernen wir über Benzinverbrauch, Beschleunigung, PS, Preis usf.? Oder „Maybe never wrote a song". Im Werbetext finden sich weder Preis- noch sonstige Angaben.

Schwere Zeiten für die Werbung: Ad Buster verändern Werbeaussagen und provozieren zum Nachdenken. Wissenschaftler prangern die volkswirtschaftlichen Kosten der Werbung an und Bürgerinitiativen wehren sich gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. © Dies Irae
Wissenschaftliche Studien, Lehrbücher und Fachleute sind sich einig: Kommerzielle Werbung soll den Kunden nicht ernsthaft informieren. Es geht um emotionale Botschaften, die den Verbraucher mittels Gefühlen zum Kaufen bringen sollen. Wirkliche Produktinformationen sind für die Kauf­entscheidungen häufig hinderlich und werden deshalb normalerweise weggelassen. Daher sind die Werbeinformationen für die Verbraucher in der Regel wertlos. Sinnvolles Produktwissen wird durch Werbung im Normalfall nicht vermittelt.

Werbung ist einseitig und führt in die Irre
Werbung ist immer einseitig. Sie spricht ausschließlich von der Sonnenseite der Produkte, von den Vorzügen und verschweigt systematisch die Schattenseiten und Nachteile. Ihr Grundprinzip sind Viertel- oder Zehntelwahrheiten. Das systematische Unterdrücken bestimmter Eigenschaften führt strukturell in die Irre. Das ist auch gewollt. Wer kauft schon ein Produkt, von dem man alle Nachteile aufzählt?

Eine andere Methode der Irreführung ist die Nutzung des von Fachleuten sogenannten „fundamentalen Attributionsirrtums". Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der Marlboro-Mann, der über vierzig Jahre für Philip Morris ritt. Ein positiv besetztes Attribut – Freiheit, eine positive Umgebung, Reiten in der Wildnis – wird willkürlich einem Produkt, einer Zigarette zugeordnet, obwohl die beiden Dinge inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Man sollte dies zutreffender eine „fundamentale Attributions-Irreführung" nennen. Diese Art Irreführung wird von fast jeder Werbung verwendet.

Wer nicht wirbt, stirbt
Es stellt sich die Frage: Wenn Werbung so schlecht informiert und Verbraucher in die Irre führt, warum gibt es dann so viel davon? Das liegt daran, dass der Spruch „Wer nicht wirbt, stirbt" für viele Unternehmen stimmt. Für einzelne Unternehmen ist es durchaus vernünftig, Werbung zu machen, kollektiv oder volkswirtschaftlich gesehen ist es dagegen Unsinn.

Ein Beispiel: Nehmen wir an, zwei Eiskremhersteller haben eine Milliarde Euro Gewinn pro Jahr und überlegen, wie viel Marketing sie machen sollen. Falls beide die Werbung einstellen würden, hätte jeder zwei Milliarden Euro Gewinn, weil dann die hohen Werbekosten wegfallen würden. Wenn aber nur einer von beiden die Werbung einstellt, verliert er Marktanteile und sein Gewinn bricht ein, während der, der weiter wirbt, höhere Gewinne macht.

Gesamtwirtschaftlich betrachtet, wäre es daher vernünftig, Werbung einzustellen, dann ersparen sich alle den Aufwand. Derjenige aber, der damit beginnt, wird für dieses vernünftige Verhalten vom Markt bestraft. Die Wettbewerber sind daher gefangen in einer Situation, die alle zu unvernünftigem Verhalten treibt. Die Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom Gefangenendilemma. Kompetitive Werbung – das ist Werbung, bei der es nur um Marktanteile geht – ist also gesamtwirtschaftlich betrachtet Verschwendung und dennoch ein Muss aus der Sicht der Firmen.

Werbung ist Ressourcenverschwendung
Berlin Werbefrei
Am 26. Juni 2017 hat die Bürgerinitiative „Berlin Werbefrei" einen umfassenden Gesetzentwurf im Berliner Senat eingereicht, um 2019 einen Volksentscheid über Werbung in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Raum in Berlin herbeizuführen. Das Ziel der Initiative ist, kommerzielle Werbung in Berlin einzuschränken. Werbung vor Ort, beispielsweise Werbeschilder von Laden- oder Restaurantbesitzern sowie Werbung für Veranstaltungen, für kulturelle oder politische Ereignisse, soll weiterhin zugelassen sein. Insbesondere die Werbung in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Hochschulen, Kindergärten und Behörden müsste nach dem Willen der Initiative verboten und das Sponsoring strengen Regeln unterworfen werden.
 
Hauptmotiv für die Initiative: Werbung beansprucht immer mehr Fläche. Die zunehmende Kommerzialisierung des öffentlichen Raums durch Werbung konkurriert mit den eigentlichen Funktionen des Raumes als Ort des gesellschaftlichen Lebens, der Begegnung und der Kommunikation der Menschen untereinander. Der öffentliche Raum soll wieder den Menschen zurückgegeben werden und die Stadt an Ästhetik gewinnen.
Einige sehr bekannte Ökonomen haben schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass kompetitive, nur um Marktanteile kämpfende Werbung Unsinn ist. Insbesondere die beiden britischen Klassiker der Nationalökonomie Alfred Marshall und Arthur Pigou plädieren dafür, dass man sie verbieten oder hoch besteuern sollte.

Laut Aussage der Werbeverbände ist heute der größte Teil der Werbung, vermutlich über 90 Prozent, kompetitiv. Dieser Teil der Werbung ist volkswirtschaftlich betrachtet also Unsinn und könnte ohne Verlust eingestellt werden. Dadurch würde die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöht, weil sinnloser Aufwand, sinnlose Arbeit erspart wird. Leider sind diese ausgezeichneten Einsichten berühmter Ökonomen vollkommen in Vergessenheit geraten.

Die Folgen sind verheerend: In Deutschland arbeiten etwa eine Million Menschen für Werbezwecke. Um das Werbematerial für die Papierwerbung herzustellen, werden jedes Jahr 2,7 Millionen Bäume gefällt. Die jährlichen Papierwerbesendungen erzeugen so viel Kohlendioxid wie 840.000 Autos, verbrauchen 1.157 Millionen Kilowattstunden Strom und verschmutzen 4,62 Milliarden Liter Wasser. Ein Großteil der Papierwerbung wird ungelesen weggeworfen.

Werbung macht uns häufig krank
Die meiste kommerzielle Werbung ist nicht nur gesamtwirtschaftlich betrachtet sinnlos, sondern ein großer Teil davon macht uns darüber hinaus krank. Das bekannteste Beispiel ist Tabakwerbung. Jeder zweite Raucher stirbt an einer Krankheit, die durch Rauchen verursacht wird, die Lebenserwartung von Rauchern ist etwa sieben Jahre geringer als die von Nichtrauchern. Auch die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkoholkonsum sind nicht günstig. Tabak- und Alkoholwerbung richten sich ganz überwiegend an Jugendliche, trotz bestehender Selbstverpflichtungserklärungen, dies zu unterlassen.

Wir können uns als Gesellschaft die Frage stellen: Wollen wir wirklich unsere Jugend dazu auffordern, mehr zu rauchen und zu trinken? Macht das Sinn? Wem nützt das – außer den Industriegewinnen?

Ähnlich ist es bei Lebensmittelwerbung für Kinder. Sie vermarktet praktisch ausschließlich Ungesundes: Cola, Eis, Schokolade, Gummibärchen, Pommes usw. Wollen wir das wirklich? Wollen wir, dass unsere Kinder ständig animiert werden, mehr ungesunde Lebensmittel zu essen?

Besonders schädlich ist Pharmamarketing. Die hohen Werbeausgaben für Medikamente werden auf die Produktpreise aufgeschlagen. So erhöhen sich die Medikamentenpreise im Durchschnitt um etwa ein Drittel. Praktisch alle unabhängigen Fachleute sind sich einig, dass Pharmamarketing darüber hinaus zu einer gezielten Verwirrung der verschreibenden Ärzte und zur Untergrabung der evidenzbasierten Medizin führt, sodass wir durch Pharmamarketing nicht nur teurer, sondern häufig auch schlechter therapiert werden. Daher sollte nach Ansicht führender unabhängiger Ärzte Medikamentenmarketing so bald wie möglich schlichtweg verboten werden.

Werbung lügt häufig
Werbung arbeitet nicht nur mit wertlosen Informationen und führt die Verbraucher in die Irre, sondern lügt häufig auch ganz offen. Prominente Beispiele aus der Geschichte der Werbelügen sind die Tabak- und Säuglingsnahrungsindustrie. Sie bestritten in ihren Werbespots systematisch jahrzehntelang die gesundheitsschädlichen Folgen ihrer Produkte. In jüngerer Zeit wurden von Konzernen in Chatforen bewusst Lügen verbreitet: Erfundenen privaten Anwendern wurden Aussagen untergeschoben, die Konzernprodukte lobten. In der Kosmetikwerbung werden heute praktisch alle verwendeten Bilder digital überarbeitet, das heißt geschönt, oder richtiger: gefälscht. Praktisch alle in Kosmetikwerbung verwendeten Bilder entsprechen nicht der Wahrheit. Auch bei Autoherstellern zeigte sich im Rahmen der Dieselaffäre eindrucksvoll das alte Werbemotto: Gewinn geht vor Wahrheit.

Auch der deutsche Werbeverband ZAW e.V. fälscht meiner Meinung nach wissenschaftliche Ergebnisse: Er behauptet, dass das in der kanadischen Region Quebec seit etwa 25 Jahren geltende Verbot von Lebensmittelwerbung für Kinder nichts für das Eindämmen von Übergewicht bringe. Diese Aussage lässt sich aus dem vom ZAW zitierten wissenschaftlichen Aufsatz „Geographic and Demographic Variation in the Prevalence of Overweight Canadian Children" (May 2003) jedoch nicht belegen, sondern das Gegenteil.

Die Werbeflut und ihre Folgen
Jeder Bundesbürger ist zwischen 3.000 und 13.000 Werbebotschaften pro Tag ausgesetzt. Das entspricht 250 bis 1.000 Milliarden (in Zahlen: 1.000.000.000.000) bei Bürgern ankommenden Werbebotschaften pro Tag. Es verwundert daher nicht, dass 80 Prozent der Bundesbürger der Meinung sind, es gäbe viel zu viel Werbung und dass sich ein Großteil der Bevölkerung durch Werbung belästigt fühlt. Mehr als 25 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind für ein totales Werbeverbot. Wegen der großen Unehrlichkeit von Werbung hat die Werbebranche seit vielen Jahrzehnten einen sehr schlechten Ruf. Das ist kein Zufall. Vor Jahrzehnten sagte einmal eine führende Marketingfrau, die Suche nach ehrlicher und aufrichtiger Werbung sei wie die Suche nach einer Kontaktlinse im Swimmingpool.

Werbeeinschränkungen: nachahmenswerte Beispiele
Es gibt heute bereits einen starken Trend zur Abwehr der Werbeflut. Außer den Millionen Aufklebern „Werbung, nein danke!" und Adblockern im Internet sowie vielen Adbusting-Aktionen gibt es inzwischen auch zahlreiche politische Gegenmaßnahmen.

Tabak- und Alkoholwerbeverbote sind weltweit stark verbreitet. In Skandinavien existieren seit langem Kinderwerbeverbote. Fernsehwerbung ist in vielen Ländern streng reguliert. Die brasilianische Metropole Sao Paulo hat seit 2007 ein Werbeplakatverbot – die Paulistas sind bis heute sehr zufrieden damit und wollen es beibehalten. Die französische Stadt Grenoble erließ 2014 ein Außenwerbeverbot. In Berlin gibt es seit Juni 2017 die Initiative Berlin Werbefrei, die das Ziel hat, 2019 ein Außenwerbeverbot in Berlin einzuführen (siehe Kasten).

Über 1.500 Städte weltweit haben Werbeeinschränkungen verfügt. In den USA existieren in vier Bundesstaaten strenge Außenwerbeverbote, die von der Bevölkerung stark befürwortet werden. In etwa einem Dutzend Länder gibt es zudem Werbeabgaben, also eine Verteuerung von Werbung, beispielsweise in Österreich. Auch die kanadische Stadt Toronto hat Werbung mit einer Abgabe belegt.

Was tun?
Am wichtigsten wäre, sofort Kinderwerbung zu verbieten, wie es die Skandinavier seit Jahrzehnten tun. Kinder sind besonders wehrlos gegenüber den ständigen Manipulationen und Irreführungen der Werbung, sie sollten wir also besonders schützen.

Auf der steuerpolitischen Seite wäre die beste Maßnahme, die derzeit geltende steuerliche Absetzbarkeit von Werbeaufwand abzuschaffen. Eine Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Werbeaufwand würde Werbung verteuern und dadurch vermindern. Die Steuereinnahmen könnte man für Fonds zur Unterstützung von werbefreier Presse verwenden.

Außerdem sollten wir den Deutschen Werberat wegen Befangenheit sofort auflösen – er ist eine reine Lobbyveranstaltung – und stattdessen eine unabhängige Werbebehörde nach britischem Vorbild einführen.

Kommerzielle Werbung hält uns mit 3.000 bis 13.000 Kaufbotschaften pro Kopf täglich davon ab, nachhaltig zu wirtschaften. Je mehr und je schneller wir sie eindämmen, umso besser für uns und unsere Umwelt.

Prof. Dr. Christian Kreiß studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte in München über die Große Depression 1929 bis 1932. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Er ist Buchautor und verantwortet zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge, Rundfunk- und Fernsehinterviews zu Finanzkrise, geplantem Verschleiß, gekaufter Forschung, Werbekritik und menschengerechter Wirtschaft.

Wirtschaft | Marketing & Kommunikation, 01.12.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2017 - Jetzt die SDG umsetzen erschienen.
     
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