Inspiration für eine neue Wirtschaft
Vielleicht ist es besser, in den Garten als nach Davos zu gehen …
Der Garten als Lehrmeister für Wirtschaftswissenschaftler und Manager. Die Banken als Sauerkrauttopf der Geldwirtschaft. Die Natur als Impulsgeber für Wirtschaft und Wachstum.
„Gegen Wachstum ist nichts zu sagen. Im Gegenteil. Doch permanentes Wachstum führt zur Zerstörung", schreibt Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau und findet dafür das Bild von Seifenblasen, die platzen, wenn sie größer werden…
Im Wirtschaftsteil derselben Zeitung wird ein Manager interviewt: „Unser gut gefülltes Auftragsbuch ist kein Grund zum Ausruhen, sondern Ansporn noch schneller in neue Märkte vorzustoßen."
Was hat der Mann gegen die „Ausruhe"?
Man hat ja längst erforscht, dass Arbeitnehmer mit Pausen effizienter arbeiten als ohne. Google inszeniert die Pause gar als Innnovationsmotor. Doch das Interview mit dem deutschen Manager trägt die Überschrift „Wer stehen bleibt, verliert". Tatsächlich? Ich würde sagen: Stehenbleiben ist gut zum Vorwärts-, zum Sich-Um- und zum Zurückschauen. Der Vorstandsmanager weiter: „Ich halte es für wünschenswert, dass sich unsere Zulieferfirmen zu größeren Verbünden zusammenschließen. Mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sichern wir nicht nur Arbeitsplätze, sondern legen auch die Grundlagen für weiteres Wachstum von Beschäftigung." Da ist er wieder, der Begriff: Wachstum. Ein angenehmes Wort, das jeden Baum einschließt, jeden Menschen, jeden Grashalm und – so scheint’s – auch jede Firma und jedes Konto.
Das Wort Wachstum führt direkt in meinen Garten
In England ist das Thema Garten Hauptgesprächsthema auf Partys, in New York ist home gardening ein großer Hype, doch hierzulande hat man das Gärtnern mit dem Wirtschaftswunder aufgehört, in falsche Wege geleitet. Hier gibt es keine Gärten mehr, sondern Grünanlagen, Grüngürtel, Grünzüge, integrierte Landschaftsflächen, Promenaden mit Blick auf Skylines. Die Gärtner wurden die Mörder, statt ihrer gibt es jetzt Grünflächenplaner, die darauf hinwirken, dass ein grünes Netz von Parks und Grünflächen die Stadt durchzieht und in unterschiedliche Quartiere gliedert.
Doch wo bleibt die Verbindung aus Natur und Wirtschaft? Es wird nicht darauf geachtet, dass Bewohner noch den Wert und die Bedeutung des Arbeitens in der Natur erleben können. Es geht um die Umwelt, um die Passivhaustechnologie, die Energieversorgung. Nur in Berlin gibt es noch eine Domäne Dahlem mitten in der City – eine Felder- und Weidenansammlung mit Kühen, Schweinen, Pferden, Schafen, Hühnern, Ziegen, Bienen. Ein Produkt der ehemals gefangenen Stadt, die den existentiellen Wert von Nutzgärten und Landwirtschaft noch kannte.
Seit ich eine Wohnung mit Garten habe, bin ich zum Gartenfan geworden. Ich kaufe mir keine Fotomagazine über Gärten, ich erlebe und betrachte die Bilder lieber direkt in der Natur. Mir ist unser Garten inzwischen wichtiger als vieles andere. Er ist ein Lebewesen. Kein Tag vergeht, ohne dass ich mich in ihm tummele. Ich besuche ihn fast täglich, sorge für ihn und lasse ihn manchmal auch bewusst links liegen, um am übernächsten Tag umso größere Überraschungen mit ihm zu erleben.
Gärten sind nicht nur Liebhaberinseln. Das Pflanzen, Gießen, Sorgen, Freuen, Beobachten, Werken halte ich nicht nur für ein Hobby. Die Medien haben noch nicht begriffen, dass diese landpflegerische Tätigkeit eine geradezu hochaktuelle und philosophische ist. Sie handeln das Thema Garten unter Freizeit, Optik oder Kochstudio ab, verwursten es im Hausfrauenprogramm. Sie haben noch nicht erkannt, welch existentielle Bedeutung die Natur und deren „Wachstum" für uns hat. Die Wirtschaft benutzt die Sprache der Biologie für ihr Plädoyer für „Wachstum". Dabei hat sie jedoch nicht genau genug hingeschaut und deshalb kann jeder Unternehmenslenker aus einem Garten, ja selbst einem bepflanzten Balkon inspirierende Erkenntnisse ziehen.
Der Garten als Lehrmeister
In einer endlichen Welt ist das Wachstum nicht unendlich. Intellektuell weiß man das und praktisch zeigt es der Garten täglich. Diese Botschaft des Gartens sollte endlich auch in der Wirtschaft verstanden werden. Jeder Garten hat seine Grenzen des Wachstums. Jeder Garten hat seine Ruhezeit im Winter. Wo bleibt die Ruhezeit der Wirtschaft? Man spricht von Krise statt von Ausruhen. Man spricht von Stagnation statt von Entspannung.
Hat ein Garten eine Krise? Ein Garten ruht mitunter ein Vierteljahr lang aus. Das aber will sich die Wirtschaft nicht leisten. Wenn sie eine Ware oder Maschine hat, will sie diese immer maximal ausnutzen. Erlahmt sie, wird sie nahtlos ersetzt, denn auf eine Reparatur kann man nicht warten.
Wirtschaft sollte betrieben werden nach den Gesetzen des Landes und inspiriert sein von der Natur. Und diese weiß: Unaufhörliches Wachstum ist der Tod, ist wie Krebs. Es ist dumm, noch im Oktober zu düngen. Es geht erst wieder im März los. Es ist falsch, zu früh zu säen, der Boden muss bereitet sein und die Temperatur stimmen. Es gilt, rechtzeitig zu ernten und einzulagern. Und dann sollte die Wirtschaft auch zur Ruhe kommen dürfen, einen Gang zurückschalten. Das zu viel Produzierte muss nicht in neue Märkte hineingedrückt werden, sondern kann warten und wirken. Tulpenblätter schneidet man nicht ab, wenn sie noch nicht komplett vergilbt und vertrocknet sind. Warum nicht? Nach der Blüte beginnt der Rückfluss der Nährstoffe, die Pflanze lagert jetzt Reserven für die nächste Wachstumsperiode ein.
Wachstum ist also nur nachhaltig, wenn es auch den Rückfluss ermöglicht, die „Ausruhe". Ausruhe sollte als Wirtschaftsfaktor gelten, so wie das Wachstum. Auch Ein- und Ausatmen gehören zusammen. Das trennt man nicht ohne Not. Wer immer nur einatmet, bläht sich auf. Am Garten kann man miterleben – hautnah – wie sich die Welt erhält. Wer langfristig erfolgreich und nachhaltig wirtschaften möchte, sollte der Natur auf die Finger schauen.
Frederike Frei
Die Bank als Sauerkrauttopf
Die Gedanken von Frederike Frei zu den Inspirationen aus dem Garten haben mich noch weiter geführt: zu Überlegungen, wie und wann man sich die „Ausruhe" leisten kann. Beim Hobeln von Krautköpfen und dem Einstampfen von Sauerkraut entdeckte ich die Analogien zwischen naturgemäßem Wirtschaften, Vorratshaltung, einer ausgeglichenen Bilanz und der richtigen Geldmenge; zwischen dem Gartenzyklus und dem Lebenszyklus.
Unsere Arbeit im Garten und unser Wirtschaftsleben bescheren uns Erträge. Im Garten oder am Balkon geschieht das in Jahreszyklen. Wir säen im Frühjahr, pflegen und ernten im Sommer, lagern die Erträge im Herbst ein und leben von unseren Vorräten im Winter.
Wir werden geboren und von den Eltern versorgt, wir gehen zur Schule und investieren in unsere Ausbildung. Früher oder später arbeiten wir, um zunächst uns selbst zu versorgen. Wir erwirtschaften in unserer Lebensmitte, dem Sommer, Geld für uns und die Familie und im Herbst arbeiten wir, um Vorräte für das Alter zu haben. Wir lagern Geld ein. Doch anstatt zu akzeptieren, dass wir dieses Geld nur „lagern", um später die gleiche Menge an Geld wieder zur Verfügung zu haben, vielleicht mit einem kleinen Abzug für das Lagern als Bezahlung des Lagerhauses (der Bank), erwarten wir, dass sich das Geld während des Lagerns auch noch so schnell als möglich vermehrt. Es soll arbeiten, während wir ruhen. Anstatt zu akzeptieren, dass wir einfach nur unsere Vorräte ruhig und sparsam verbrauchen, erwarten wir, dass sich das Kraut im Keller vermehrt, die eingelagerten Vorräte im Winter wachsen. Welch Wunder. Im Zyklus aus Wachsen und Schrumpfen wollen wir das Schrumpfen einfach eliminieren...
Blasen, Inflation und andere Krisen
Bevor ich jetzt noch auf Themen wie Inflation, Burn Out, Ausbeutung oder Krieg eingehe, möchte ich alle, die nach steigenden Zinsen rufen, bitten, sich jetzt, in der ruhigen Winterszeit, noch ein paar Gedanken zu machen. Über das rechte Maß an Wachstum und wie wichtig es wirklich ist, den Wachstumsmotor weiter anzukurbeln. Welche Folgen es hat, ihr „sauer verdientes Geld" zum „Arbeiten" zu schicken und eine Rendite zu erzielen, die über der „Peanutgrenze" eines Herrn Ackermann liegt. Welche Folgen es hat, wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich „automatisch" erhöht. Und ob es in diesem Sinne nicht vielleicht klüger wäre, eine Winterruhe einzulegen, um für sich oder auch ein Unternehmen den richtigen Kurs zu suchen.
Meine Erkenntnis aus dem Garten lautet: Nur wenn ich säe und laufend pflege, kann ich ernten. Eine gesunde Vorratshaltung ist nötig, um Ruhephasen zu überstehen. Unser Wunsch, dass die „Vorräte" schneller wachsen, als die Güter es tatsächlich tun, führt dazu, dass die Vorräte insgeheim an Wert verlieren…
Unsere Gier nach dem Wachstum von Geld führt somit zu einem Wachstum, das allen schadet. Wir brauchen Wachstum, aber intelligentes Wachstum! Wir brauchen Zeit und Muße, um den rechten Weg und das richtige Maß zu finden. Ein Garten lehrt uns, organisch und in Harmonie zu wachsen, in Zyklen zu leben, im Einklang mit uns und der Natur. Und: Ein Garten oder die Mini-Plantage auf dem Balkon machen ganz einfach Spaß, lehren uns den wahren Wert von Lebensmitteln und geben die Grundlektionen für nachhaltiges Wirtschaften.
Fritz Lietsch
Frederike Frei und Fritz Lietsch sind Autoren und begeisterte Gärtner. Sie möchten auch Sie einladen, über die Zusammenhänge von Hauswirtschaft, Landwirtschaft, Mensch, Natur, Technik und Wirtschaft nachzudenken, und die Erkenntnisse mit ihnen zu teilen. Schreiben Sie Ihre Erfahrungen aus Wirtschaft und Garten an redaktion@forum-csr.net
Frederike Frei ist freie Schriftstellerin, absolvierte ihr Studium in Germanistik und Theologie und erlangte ihr Diplom an der Staatlichen Hochschule für Darstellende Kunst. Wichtige Stationen in ihrem Leben sind ihre Bücher: Losgelebt, Ich dich auch, Unsterblich, Weg vom Festland!, Bissiges Gras u. a. „Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen/ Ich schulde ihnen noch/ mein Leben."
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