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DAX-Visionen auf dem Prüfstand

Sind die Dax30 glaubwürdig dabei, ihre Geschäftspraktiken in nachhaltige Praktiken zu verändern? Oder versuchen sie hinter einem Abwehrschirm von kleinen "grünen" Aktivitäten ihre gewohnten Methoden der Profiterzielung beizubehalten? Bei Indikatoren wie Lieferanten-Qualifizierung, Einsatz für Erneuerbare Energien und dem Umgang mit Treibhausgasemissionen wird klar: Für eine gute Nachhaltigkeitsperformance der Unternehmen braucht es ein noch stärkeres Commitment - vom Anspruch zur Tat.


Foto: © Antonio Nunes/Fotolia
Unternehmens-Netzwerke wie Econsense weisen auf vielfältige Initiativen hin, die zeigen sollen, dass die Unternehmen verantwortlich handeln. Viele Organisationen der Zivilgesellschaft kritisieren am Unternehmenssektor eine generelle Tendenz zur Externalisierung von Umweltschäden und eine Nutzung der wirtschaftlichen Macht für die Durchsetzung von Zielen im politischen Raum. Häufige Skandale um Gesetzesübertritte (Korruption, Betrug, Kartellbildung) würden zudem eine Macht-schafft-Recht-Haltung zum Ausdruck bringen.

Der Verfasser hat für den Dachverband der Kritischen Aktionäre und Aktionärinnen e.V. diese Fragestellung untersucht. Es wurden die Nachhaltigkeitsberichte von vierzehn der dreißig Dax-Konzerne analysiert. Die Einschätzung der Nachhaltigkeitsleistung wurde auf Basis der von IÖW/future e.V. entwickelten Kriterien vorgenommen, die eine trennscharfe Einschätzung der Essenz von Nachhaltigkeitsleistungen ermöglichen.


Grafik1: Nachhaltigkeitsleistung ausgewählter Dax-Konzerne
Die Ergebnisse könnten, wenn man sie bildhaft darstellen wollte, wie in der Grafik 1 sichtbar gemacht werden. Auf der vertikalen Achse ist die Qualität der Nachhaltigkeitsvision eines Konzerns abgebildet; klare Vorstellungen für den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise sind die Voraussetzungen für Veränderung. Die horizontale Achse gibt wieder, wie glaubwürdig die praktischen Umsetzungsschritte sind und welcher Ressourceneinsatz dahinter steht.



Gestaltungselemente für die Transformation eines Unternehmens in ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen

  1. Fundamentale Ausrichtung / Identität / Wer wir sind

    1. Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung der privat-wirtschaftlichen

      • Entscheidungen

      • Business Case für Nachhaltigkeit

      • Ethische Grundwerte für Nachhaltigkeit

    2. Stakeholder-Engagement

      • Dialoge mit Lernchancen

      • Beteiligung der Stakeholder an Entscheidungen

    3. Nachhaltigkeitsstrategie

      • Risiko-/Chancen-Profil und Materialitätsmatrix

      • Vision / Werte / Ziele

    4. Umsetzungsinstrumente

      • Roadmap / Zielmarken / KPI's

      • Verknüpfung mit Boni der Führungskräfte und Mitarbeiter

      • Code of Conduct für Führungskräfte und Mitarbeiter

  2. Kerngeschäft / Was wir tun

    • Öko-sozial optimierte Produkte und Prozesse

    • Legitime Gewinne innerhalb des Werterahmens

    1. Energie-Produktivität und CO2-Reduzierung

      • Erneuerbare Energien (CO2-Vermeidung)

      • Energieeffizienz (CO2-Verringerung)

      • Kompensationsprojekte (Ausgleich von CO2-Eintrag durch CO2-Entnahme)

    2. Ressourcenproduktivität

      • Ressourceneffizienz

      • Recycling / geschlossene Stoffkreisläufe

      • Erneuerbare Rohstoffe

    3. Innovationen

      • Innovationsprogramme für Produkte, Prozesse, Geschäftsmodelle

    4. Mitarbeiter

      • Beschäftigungssicherung, Einkommen, Arbeitsbedingungen

      • Diversity, auch in den Führungsebenen

      • Mitarbeiter-Weiterbildung und -Beteiligung

    5. Nachhaltigkeit in der Lieferkette

      • Code of Conduct für Lieferanten

      • Selbstauskünfte, Audits, Lieferanten-Entwicklung

      • Know-how-Transfer an Lieferanten

  3. Gesellschaftliche Wirkung / Was wir beitragen

    1. Branchen-Initiativen für nachhaltige Praktiken

      • Progressive Initiativen in Verbänden

      • Lobbying in politischen Gremien für nachhaltigkeitskonforme Regeln

    2. Fairness, Transparenz, Gesetzestreue

      • Fairer Wettbewerb (Korruption, Kartelle, Insiderhandel etc. unterlassen)

      • Guter Nachbar (Schadstoff-Emissionen beseitigen u.a.)

      • Transparente Kommunikation (vollständige und wahrheitsgemäße Berichte
        und Bilanzen)

    3. Entwicklung der Zivilgesellschaft

      • Steuerzahlungen

      • Spenden

      • Volunteering

      • BoP-Produkte (Bottom of the Pyramid)

      • Milleniumsziele unterstützen
Bei den Dax-Konzernen im grünen Bereich gibt es glaubwürdige Schritte (in unterschiedlicher Ausprägung), wie der Konzern seine Geschäftstätigkeit in eine nachhaltige Richtung verändern will und wie der Beitrag zu einer nachhaltigen Gesellschaft gestaltet werden soll. Die Dax-Konzerne im roten Bereich lassen diese Vorstellungen und klare Schritte missen bzw. konterkarieren sie mit nicht-nachhaltigen Aktivitäten, so dass bisher keine glaubwürdige Nachhaltigkeitsleistung entsteht.

Adidas z.B. kennt die Risiken der Lieferkette und unternimmt viel, um durch Audits und Lieferanten-Qualifizierung menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sichern. Am entscheidenden Punkt der Lohnhöhe allerdings zieht man sich auf gesetzliche Mindestlöhne zurück. Kritiker des Konzerns weisen darauf hin, dass die Bezahlung von "Living Wages" erst wirklich menschenwürdige Arbeitsbedingungen schafft.

Die Deutsche Bank sagt in ihrer Vision, dass (a) die Vermögensverwaltung erreichen soll, dass Kundenvermögen verstärkt in Nachhaltigen Fonds angelegt wird. (b) Mit der Vergabe von Krediten an Wirtschaftsbereiche, die für die Nachhaltige Entwicklung wesentlich sind, will die Deutsche Bank ihren Teil zur CO2-Reduzierung beitragen. (c) Das Reichtums-Armutsgefälle soll durch Mikrokredit-Investments verringert werden. (d) Die ökologischen Auswirkungen des Bankbetriebs sollen reduziert werden. Das ist eine grundlegend richtige Orientierung.

Allerdings werden bisher noch sehr kleine Schritte gemacht, diese Vision umzusetzen. Die CO2-Neutralität will man erst 2013 erreichen, wobei Banken wie die ING und HSBC bereits seit mehreren Jahren CO2-neutral arbeiten. Das Engagement im Mikrokreditbereich mit Mitteln, die die Bank selbst beisteuert, beträgt zum Ende 2008 lediglich 5,8 Millionen US-Dollar; bezogen auf das Eigenkapital von 32 Milliarden sind das 0,2 Promille. Das Kreditvolumen an Unternehmen im Bereich Erneuerbare Energie betrug zu Ende 2008 1,3 Milliarden Euro - die Bilanzposition "Forderungen aus dem Kreditgeschäft" im Jahresbericht 2008 beträgt 269 Milliarden Euro; der Anteil der Kredite im "grünen Bereich" beträgt damit 0,5 Prozent des gesamten Kreditvolumens. Das Kundenvermögen in nachhaltigen Fonds wird mit 2,8 Milliarden Euro angegeben (2008) - die Gesamtsumme der verwalteten Vermögensanlagen beläuft sich für Ende 2008 auf 816 Milliarden Euro. Damit nehmen die nachhaltigen Investments mit 0,34 Prozent einen verschwindend geringen Stellenwert ein.

Das wichtigste Ziel aus Nachhaltigkeitsperspektive ist die Klima-Neutralität, die Energieversorgung ohne CO2-Ausstoß, wobei verbleibende Emissionen kompensiert werden sollten. Diese umfassenden Ziele postulieren lediglich die Banken und die Telekom.

Das Teilziel der Verringerung von CO2-Emissionen ist als Notwendigkeit bei fast allen Dax-Konzernen in der Untersuchungsauswahl angekommen. Glaubwürdige Erfolge erzielen BMW (in der eigenen Produktion und bei Produkten) und Siemens (vorwiegend mit Produkten des sog. Umweltportfolios); Schlusslichter sind die Energie-Erzeuger, die mit Abstand die höchsten CO2-Emissionen haben (147 Millionen Tonnen bei E.ON gegenüber vier Millionen Tonnen bei Siemens).

Kompensationszahlungen für CO2-Emissionen sind für die produzierenden Unternehmen erstaunlicherweise kein Thema. Die offizielle Linie bei Daimler und BMW ist, man investiere lieber in die Verbrauchseffizienz der Fahrzeuge. Das geht am Kern der Sache vorbei. Die Unternehmenstätigkeit führt täglich zu CO2-Emissionen in die Atmosphäre. Kompensationszahlungen sind für Projekte bestimmt, die den CO2-Eintrag einer Firma in die Atmosphäre ausgleichen, indem der Atmosphäre Kohlendioxid entnommen wird. Mit Kompensationen können diese laufend verursachten Umweltschäden tendenziell beseitigt werden. Eine verantwortliche Umweltpolitik tut beides: den Treibhausgasausstoß minimieren und den verbleibenden Eintrag kompensieren.

Dem stimmt die Telekom zu und stellt z.B. Kongresse klima-neutral durch Zuwendungen an CO2-Kompensationsprojekte. Im Kerngeschäft will die Telekom durch Vermeiden, Verringern und Kompensieren letztlich die gesamten Emissionen neutralisieren. Beim Vermeiden greift sie zu Lieferanten, die Strom aus Wasserkraftwerken erzeugen. Der Strom ist in der Tat CO2-frei. Wirklich vermieden werden CO2-Emissionen dadurch aber nicht, denn die Hydro-Kraftwerke des Stromlieferanten existieren schon seit Jahrzehnten. Die Telekom greift zu dieser Lösung, weil Strom aus neu erzeugten Kapazitäten erneuerbarer Energie teurer ist; unter Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit verzichtet sie auf die Entlastung der Atmosphäre. Die Commerzbank geht in gleicher Weise an die Reduktion ihrer CO2-Emissionen.

Ambivalentes Handeln
Viele Vorstände der Dax30-Unternehmen handeln ambivalent: Einerseits wird erklärt, dass die gesellschaftliche Dimension der Unternehmenstätigkeit im Blick ist und verantwortlich gehandhabt werden soll. Gemessen an den Anforderungen einer generationsübergreifenden Gerechtigkeit, nach der künftigen Generationen tragfähige Ökosysteme übergeben werden sollen und einer internationalen Fairness, die Reichtums-Armuts-Unterschiede ausgleicht, sind die Dax-Konzerne allerdings noch sehr schwach aktiv.

CO2-Emissionen werden nicht im erforderlichen Tempo reduziert, die Umstellung auf erneuerbare Energien wird nicht energisch genug vorwärts gebracht, die Ökosysteme Wasser, Luft, Wälder nicht angemessen geschützt. Importe von Konsumgütern und Rohstoffen nehmen keine faire Rücksicht auf die Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern. Der Unternehmenssektor gibt bei Entscheidungen noch zu ausschließlich den Kapitalrentabilitätszielen den Vorrang.

Diese enge Sicht weicht langsam einem Bewusstsein von Verantwortung für Ökosysteme und zivilgesellschaftliche Fortschritte in globaler Dimension. Die fortschrittlichsten Dax-Unternehmen begreifen, dass die Zukunftsfähigkeit der eigenen Existenz mit der Zukunftsfähigkeit von natürlichen und gesellschaftlichen Systemen verknüpft ist. Einzelne Vorstände sehen, dass das Priorisieren von gesellschaftlichen und ökologischen Themen bei manchen Entscheidungen im wohlverstandenen langfristigen Selbstinteresse liegt. Das ist die ethische Seite der Unternehmensverantwortung.

Ethik ist erwünscht - Pragmatismus ebenso
Daneben gibt es noch eine pragmatische Seite, die Veränderungen der globalen Gesellschaft zur Kenntnis nimmt: Das Wachstum wird stärker in den BRIC-Staaten und den anderen Entwicklungsländern stattfinden. Umwelt-Systeme sind überstrapaziert und werden künftige Generationen vor allem in den ärmeren Ländern nicht mehr ausreichend mit Wasser, Energie und Nahrungsmitteln versorgen; hier müssen innovative Lösungen geschaffen werden, die langfristig praktikabel und den unterschiedlichen Bedingungen der reichen und der ärmeren Regionen angepasst sind: Bio-Agrikultur zum Schutze der Böden und zur Absorption von Kohlendioxid; erneuerbare Energien; Wasser-Management durch Aufforstung, biologischen Ackerbau und Wasser-Reinigung sowie Gewinnung von Trinkwasser aus dem Meer; Transportmittel die mit nicht-fossilen Energieträgern bewegt werden, Mobilitätssysteme, die den individuellen Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbinden; mehrfache Verwendung von natürlichen Ressourcen in geschlossenen Stoffkreisläufen; zunehmende Nutzung nachwachsender Rohstoffe und Ausgleichszahlungen an Länder mit großen Waldbeständen, um deren Abholzung zu verhindern.

Fortschritte in diesen Themen verbessern die Zukunftschancen der Gesellschaften. Unternehmen, die in der Lage sind, die Bedürfnisse der globalen Gesellschaft zu erkennen und umsetzen, die eine gute Veränderungskompetenz haben, werden besonders stark gewinnen. Die Dax-Konzerne sind gut beraten, wenn sie sowohl die Produkte, wie die Produktionsprozesse, wie die Interaktion mit der Zivilgesellschaft auf diese neuen Prioritäten hin verändern.

 
Von Gerd Hofielen


Im Profil
Gerd Hofielen ist Mitglied im Dachverband der Kritischen Aktionäre und Aktionärinnen e.V. Die einzelnen Konzernstudien sind auf der Website des Dachverbandes verfügbar: www.kritischeaktionaere.de/konzernstudien.html








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