Fußball als Spiegel der Gesellschaft
Als Fan sieht Christoph Quarch die geplanten DFB-Reformen kritisch.
Für die Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft war die zurückliegende Woche eine Berg- und Talfahrt: Erst die 1:4 Niederlage gegen Japan, dann das Aus für Bundestrainer Hansi Flick, zuletzt die Kehrtwende mit einem 2:1 gegen Vize-Weltmeister Frankreich unter Interimscoach Rudi Völler. Immerhin ein Hoffnungsschimmer nach den zwei weiteren sportlichen Tiefschlägen, die der Deutsche Fußball zuletzt hinnehmen musste: das Vorrunden-Aus der Frauennationalmannschaft bei der WM in Australien und das Vorrunden-Aus der U-21 bei der Europameisterschaft. Ob damit das Ende der Krise eingeläutet ist, muss die Zukunft weisen. Lehren kann man aber jetzt schon aus ihr ziehen. Der Philosoph und Autor Christoph Quarch vertritt die These, der Fußball sei ein Spiegel der Gesellschaft.
Herr Quarch, was lehrt die zurückliegende Fußballwoche über den Zustand unseres Landes?
Bei den fünf sieglosen Spielen, von denen das Match gegen Japan den Tiefpunkt markierte, hatte ich den Eindruck, dass die Spieler von Partie zu Partie mehr Blei in den Füßen haben: viel Wille, aber keine Leidenschaft, keine Leichtigkeit, keine Freude – eine Diagose, die ich genauso unserer Gesellschaft ausstellen würde. Der Grund dafür scheint mir folgender: Wir kommen schlecht damit zurecht, wenn wir unseren eigenen Erwartungen nicht genügen. Nicht nur im Fußball haben wir nach großartigen Erfolgen der Vergangenheit den Anspruch, zur Weltspitze zu gehören. Und wenn wir feststellen, dass das nicht mehr zutrifft, verfallen wir in eine merkwürdige Agonie. Alles wird forciert und krampfig.Das 2:1 gegen Frankreich zeigt aber doch, dass es auch anders geht. War es nicht einfach nur der Trainerwechsel, der die Wende bewirkt hat?
Sicher war es der Trainerwechsel, aber wir müssen uns fragen, warum. Ich denke, Rudi Völler hat eine gute Antwort gegeben: Hansi Flick ist es nicht gelungen, die Last nach dem frühen WM-Aus in Katar abzuschütteln – nicht nur ihm, sondern auch einigen Schlüsselspielern. Deshalb war seine Ablösung unausweichlich. Das können wir auf unsere Gesellschaft übertragen – auch wenn es hier keinen Coach gibt, den wir austauschen können. Aber auch da gibt es etwas, das wir loswerden müssen: die Erwartung, wir seien eigentlich die Besten und es liege nur an einer schlechten Regierung, wenn wir diesen Erwartungen nicht genügen. Diese typische AfD-Denke bringt uns überhaupt nicht voran, sondern verstärkt die Agonie.Wenn Ihre These zutrifft, dann müsste uns der Erfolg von Rudi Völler und seinem Team einen Wink geben, wie man aus dieser Agonie herausfindet.
Genau. Was die Jungs richtig gemacht haben, ist, dass sie die Situation akzeptiert haben, wie sie ist. Sie haben nicht an dem Maß genommen, was man mal konnte und gern wiederhätte, sondern was jetzt und hier der Fall ist. Und dann haben sie auf dieser Grundlage die Mannschaft geformt. So einfach ist das in der Gesellschaft aber nicht. Scholz und Habeck sind nämlich durchaus die Völlers in der Politik. Aber ihr Versuch, das Land aus der Merkel-Trance zu wecken und eine den Realitäten angemessene Politik zu machen, stößt überall auf diese zähe Agonie der Frustrierten und Nörgler, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ihr Deutschlandbild veraltet ist.Der Deutsche Fußballbund will Ende des Monats eine Reform des Kinderfußballs einleiten, bei der es mehr um die Freude am Spiel und weniger um Leistung und Gewinnen geht. Wäre das auch ein Programm für die Gesellschaft?
Naja, die vom DFB geplante Reform ist heftig umstritten. Gerade erst hat DFB-Vize Hans-Joachim Watzke zu bedenken gegeben, dass durch die Neuregelung des Spielbetriebs die Frustrationstoleranz und Leistungsbereitschaft der Kinder unterentwickelt bleiben könnten. Diese Kritik verkennt zwar, dass die Kids auch künftig um Sieg und Niederlagen spielen sollen, aber an dem Punkt Frustrationstoleranz ist trotzdem etwas dran. Es ist keine gute Idee, Kindern auf dem Sportplatz die Erfahrung des Verlierens nehmen zu wollen. Niederlagen hinzunehmen ist wichtig – und das lernt man nirgends so gut wie auf dem Fußballplatz. Ebenso wie eine realistische Einschätzung des eigenen Könnens. Denn nur so kommt man voran – wie Rudi Völler es jetzt vorgemacht hat.Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit "Platons Meisterdialogen" in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen.
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