Durch mehr weibliches Bewusstsein die Welt verändern

forum im Gespräch mit Gabi Lück

Kann es sein, dass sich unsere Gesellschaft deshalb in einem problematischen Zustand befindet, weil wir den Ausgleich zwischen männlichen und weiblichen Werten jahrelang versäumt haben? Die gute Nachricht: Dies scheint sich jetzt zu ändern. forum sprach mit der Autorin Gabi Lück über die Bedeutung der weiblichen Werte in der Wirtschaft.

Frau Lück, wie sieht aus Ihrer Sicht der Zustand der heutigen Wirtschaft aus?
Gabi Lück ist Gründerin der Marketing-Agentur thinknewgroup, die als eine der ersten Agenturen konsequent neue Rollenbilder verfolgt und Marken dadurch unter anderem für das Thema Diversity und Nachhaltigkeit öffnet. Außerdem ist Gabi Lück als Autorin, Mentorin und Speakerin tätig und hat bereits drei Excellence Awards gewonnen. Zuletzt erschien ihr Buch 'Mann, fürchte dich nicht. Mit mehr weiblichem Bewusstsein die Welt verändern' (Mentoren Media Verlag 2022). Gabilueck.de © Sarah Larissa HeuserDie derzeitige Wirtschaft zeigt sich in ihrem Zustand und ihren Konsequenzen bedrohlich männlich und materiell dominiert, ich nenne es einmal „yang-lastig". Sie betont durch und durch den Wettbewerbsgedanken, den Fortschritt, den Wohlstand. Laut einer Studie des dänischen Unternehmens Peakon vom März 2020 geht jede/r vierte Deutsche unmotiviert zur Arbeit. Alles Folgen des Leistungsdrucks und der in ihrem Kern rein materiell getriebenen Funktionalität. Sie schließt das Geistig-Seelische aus.
 
Und die Lösung liegt in mehr weiblichen Werten?
Das kann man so sagen. Es gab eine groß angelegte Studie, die sogenannte Athena Doctrine. 64.000 Menschen in über 13 Ländern wurden dabei befragt. Diese fand heraus, dass weltweit Menschen, die auf eine weibliche Art und Weise denken, fast zweimal so glücklich und optimistisch in Bezug auf ihre Zukunft sind, verglichen mit Leuten, die eher in einer männlichen Denkweise verhaftet sind.
 
Das ist enorm. Aber geben die Menschen den weiblichen Werten auch bewusst einen Stellenwert?
Ja. Fast zwei Drittel der Befragten, einschließlich der Mehrheit der Männer, gaben in der oben genannten Studie an, dass sie glauben, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Männer mehr wie Frauen dächten. In Deutschland stimmten 70 Prozent der Studienteilnehmer dieser Aussage zu. Unabhängig von Alter, Einkommen oder Staatszugehörigkeit teilten die Menschen also diese Annahme. Und in allen Ländern stimmten die Befragten darin überein, dass typisch weibliche Eigenschaften wie Loyalität, Geduld sowie Flexibilität mit dem Empfinden von Glück und Zufriedenheit korrelieren. Keine der Eigenschaften der Yang-Energie wie dominant, mutig oder arrogant kam auf die ersten Plätze, wenn es darum ging, die Qualitäten eines großartigen Anführers oder glücklichen Menschen zu beschreiben.
 
Warum haben wir dann angesichts dieser Ergebnisse noch nicht den Umbruch?
Ich glaube, dass zur Zeit tatsächlich ein Umbruch stattfindet. Gerade die jüngeren Generationen richteten ihre Aufmerksamkeit weniger auf Geld und Status, sondern auf menschliche Beziehungen. Insbesondere die Generation Z, die unter 21-jährigen, zeigen in Umfragen, dass sie viel Wert auf weibliche Werte, wie Authentizität und Nachhaltigkeit legt. Sie möchten in ihrem Berufsleben Tätigkeiten ausführen, die Sinn stiften und in den Diensten von Natur und Gemeinschaft stehen. Wir sehen hier also bereits den Wunsch einer Hinwendung in Richtung einer Yin-orientierten, weiblicheren Arbeitswelt.
 
Sie schreiben, dass sich Frauen von über 90 Prozent der Werbung nicht angesprochen fühlen. Liegt das Problem vielleicht darin, dass wir häufig glauben, die anderen dächten „männlich"?
Wahrscheinlich. Denn ein wesentlicher Grund dafür, dass sich Frauen in der großen Mehrheit von Werbung nicht angesprochen fühlen, ist die oftmals reißerische, laute Art der Kommunikation, alte Rollenbilder, Sexismus und fehlendes Bewusstsein für Symbolik, Sprache, Design und die Gefühlswelten von weiblichen Kunden. Im Jahr 2006 zeigten wir als erste Agentur in Deutschland einen Mann vor der Waschmaschine in einem TV-Spot für die Firma Dr. Beckmann. Damit konnten wir ein neues empathisches Rollenbild inszenieren. Europaweit erreichte der TV-Spot über ein Jahr ein Absatzplus von 30 Prozent.
 
Aber kann man mit diesen weiblichen Werten in einer kapitalistischen Welt auch Geld verdienen?
Durchaus. Das zeigen die vielen Sozialunternehmen. Eine Studie von McKinsey und Ashoka aus dem Jahr 2019 attestiert sozialen Innovationen ein Milliardenpotenzial. Viele Unternehmen verpassen es dennoch, den neuen Ansprüchen im Sinne der Nachhaltigkeit und Weltverbesserung Genüge zu tun. Dabei ist dies zunehmend auch ein Geschäftsfaktor. Denn für Frauen und auch die neuen Generationen nimmt der soziale und kulturelle Kontext von Marken und Unternehmen eine ganz wesentliche, kaufentscheidende Rolle ein, wie zum Beispiel: Ist das Produkt Fairtrade? Ist es umweltfreundlich? Ist es ohne Chemie?
 
Welchen Stellenwert nehmen Frauen denn real in der heutigen Wirtschaft ein?
Yin und Yang – zwei Begriffe aus der chinesischen Philosophie, dargestellt als Kreissymbol, mit je einer schwarzen und einer weißen Seite, geschwungener Mittellinie und je einem weiteren schwarzen bzw. weißen kleinen Kreis in jeder der beiden Hälften. Der Hauptgedanke dahinter ist die Balance, die Ausgeglichenheit in der Welt und in uns selbst.Auf der einen Seite sind Frauen etwas seltener erwerbstätig und haben ein zu 18 Prozent niedrigeres Einkommen als Männer. Auf der anderen Seite stellen seit den 90er-Jahren Mädchen und Frauen in Realschulen und Gymnasien, beim Abitur und bei Hochschulabschlüssen die Mehrheit und haben auch bessere Noten. Zudem sind Frauen laut Untersuchungen mit 80 Prozent die Triebfeder bei den meisten Kaufentscheidungen, wie zum Beispiel: 92 Prozent bei Urlauben, 94 Prozent bei Einrichtungsgegenständen, 91 Prozent bei Wohnungen, 60 Prozent bei Automobilen und 51 Prozent bei der Unterhaltungselektronik. Frauen sind also eine nicht zu unterschätzende Wirtschaftsmacht. Wenngleich es, was Frauen in Vorständen und Geschäftsführungen betrifft, noch viel Luft nach oben gibt: Nur jede dritte Führungskraft ist eine Frau.
 
Aber wirtschaften Frauen auch besser als Männer?
Frauen haben einen sehr hohen Anspruch – an sich, an Produkte, an die Welt im Allgemeinen. Eine US-Studie hat herausgefunden, dass Frauen nachhaltiger wirtschaften als Männer. So schlagen Firmen mit mehr Frauen in Spitzenpositionen den Branchendurchschnitt um 34 Prozent in Bezug auf die Einnahmen und um 18 Prozent bei der Steigerung des Firmenvermögens sowie um 69 Prozent beim Wert der
Aktien.
 
Sind Frauen also etwa die besseren Kapitalisten?
So würde ich das nicht gerade sagen. Denn Frauen sind gleichzeitig tendenziell empathischer als Männer. Dadurch können sie besser auf Mitarbeiter eingehen, diese motivieren und sie gezielter nach Fähigkeiten einsetzen sowie Konflikte schneller deeskalieren. Laut einer Studie der University of California haben Unternehmen mit Frauen in Top-Führungspositionen auch stärkere Beziehungen zu Kunden und Aktionären.

Wie sieht es mit den eher männlichen Tugenden aus?
Es ist wichtig, unsere Wirtschaft zwischen männlichen und weiblichen Komponenten auszubalancieren. Es geht also nicht um ein Dominanzsystem von Frau oder Mann und um eine Polarisierung, sondern um die weiblichen und männlichen Anteile, die jeder in sich selbst trägt. Die Ergebnisse der Athena Doctrine zeigen es übrigens deutlich: Als der Schlüssel zum Erfolg sieht die Mehrheit der Menschen weltweit das Gleichgewicht von männlichen und weiblichen Werten an. Schaffen wir das, schaffen wir den nötigen Bewusstseinswandel, dann bin ich zuversichtlich, dass wir unsere weltweiten Probleme lösen können.

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.08.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
     
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