"Wenn Kulturschaffende bei allem, was sie tun, die moralische Schere im Kopf aktivieren müssen, gibt es bald keine Kunst und Kultur mehr."

Christoph Quarch hält den Stopp der Winnetou-Veröffentlichungen durch "Ravensburger" für absurd.

Große Aufregung um Winnetou: Auf den bereits von scharfer Kritik begleiteten Kinostart des Spielfilms „Der junge Häuptling Winnetou" folgte nun das Aus von zwei Kinderbüchern, die jungen Leserinnen und Lesern die Neuauflage des Stoffes von Karl May nahebringen sollten. Das Unternehmen „Ravensburger" stoppte die Auslieferung, weil das Feedback von Usern gezeigt habe, dass man mit den Winnetou-Büchern möglicherweise „die Gefühle anderer" verletze. Im Raum stehe vor allem der Vorwurf eines latenten Rassismus gegenüber den indigenen Ureinwohnern Nordamerikas. Die Reaktionen auf die Maßnahme reichen von Entsetzen über Kopfschütteln bis glühender Zustimmung. Wer hat Recht? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Herr Quarch, ist es okay eine Buchveröffentlichung zu stoppen, weil man die Gefühle anderer nicht verletzen will?
Schon Karl Mays Winnetou war eine romantisierende Verklärung, die wenig mit der historischen Realität zu tun hat. © Planet Fox, pixabay.comIch halte das schlechterdings für absurd. Niemand hat ein Recht darauf, sich wohlzufühlen – und niemand ist dazu verpflichtet, für das Wohlgefühl anderer aufzukommen. Autoren, Verlage und Kulturschaffende am allerwenigsten. Wenn Kulturschaffende bei allem, was sie tun, die moralische Schere im Kopf aktivieren müssen, gibt es bald keine Kunst und Kultur mehr. Was wir hier erleben, ist ein weiteres trauriges Beispiel für eine in den sozialen Medien wuchernde moralische Hybris von Menschen, die meinen, sich über alle anderen stellen zu können und sich dabei in Wahrheit immer mehr einer totalitären Gesinnung nähern.

Ravensburger begründet den Rückzug der Winnetou-Bücher damit, dass man sich nicht dem Vorwurf von Rassismus oder kultureller Aneignung aussetzen möchte.
Ich finde es bedauerlich, dass sich ein renommiertes Unternehmen wie Ravensburger dem Druck einer – wie ich glaube – kleinen Gruppe von Aktivisten beugt, die sich in der Rolle des Anwalts von Minderheiten gefällt, ohne je von diesen mandatiert worden zu sein. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Urteilskraft. Ich bin kein Karl-May-Fan und habe auch nicht „Der junge Häuptling Winnetou" angeschaut. Daher kann ich mir kein Urteil über den Film erlauben. Nichts destotrotz bin ich davon überzeugt, dass dieser Film nicht dazu beitragen wird, dass die jungen Zuschauer danach rassistisch auf die indigenen Völker Amerikas herabschauen werden. Eher werden sie anfangen, sich für deren Geschichte zu interessieren - und für das beispiellose Unrecht, das den Ureinwohnern Nordamerikas geschehen ist.

Ravensburger hat erklärt, „Der junge Häuptling Winnetou" zeichne angesichts der Unterdrückung der Indigenen ein „romantisierendes Bild mit vielen Klischees".
Das mag sein. Schon Karl Mays Winnetou war eine romantisierende Verklärung, die wenig mit der historischen Realität zu tun hat. Aber was ist daran falsch? Wir haben es hier mit Literatur und nicht mit Geschichtsschreibung zu tun. Im Englischen gibt es dafür das Wort „ficton". Es ist eine Fiktion, und Kunst darf verklären, romantisieren und idealisieren wie sie lustig ist. Ob sie das gut oder schlecht macht, steht dann auf einem anderen Blatt. Und natürlich darf sie sich dabei in Stoff und Form bei anderen Kulturen bedienen. Kulturen sind niemandes Eigentum. Ihre Erzeugnisse gehören immer allen. Sie sind ein Schatz der Menschheit. Deshalb gibt es auch so etwas wie ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Das heißt, Sie halten den Vorwurf kultureller Aneignung generell für ungerechtfertigt?
Jein. Berechtigt ist der Vorwurf dort, wo kulturelle Enteignung geschieht: d.h. wo bestehende Kulturformen, Kunstwerke, Songs etc. aus einer anderen Kultur ungefragt übernommen und vermarktet werden. Das ist aber etwas völlig anderes, als sich durch Kulturerzeugnisse anderer Ethnien oder Zivilisationen in seiner eigenen Arbeit inspirieren zu lassen. Die Geschichte der Kunst ist voll von Beispielen dafür, wie sehr die Begegnung mit anderen Kulturen das Kunstschaffen beflügelt hat. Man tötet jede Kunst, wenn man ihr das verbietet. Die juristischen Kategorien von Eigentum an Aneignung sind in Bezug auf Kultur fehl am Platze. Sie können allenfalls für konkrete Werke in Anschlag gebracht werden. Und selbst die sind streng genommen die Erzeugnisse eines Geistes, der keinem gehört. 

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch








Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
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Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

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