Lifestyle | Geld & Investment, 08.07.2008
Mikrofinanzierung, eine ethische Kreditform
von Gerhard Novy
In den Schwellenländern ist die Infrastruktur oft mangelhaft, ein staatliches Sozialsystem fehlt, die Kindersterblichkeit ist hoch. Abhilfe schaffen hier Mikrokredite. Dabei werden Kleinstdarlehen von lokalen Kreditorganisationen an die Ärmsten der Armen in Gruppentranchen ausgegeben, die sich damit eine Existenzgrundlage schaffen. Die Darlehen werden ohne Bürgschaft oder andere Sicherheiten gewährt.
Hilfe zur Selbsthilfe
Die international tätige Kreditgenossenschaft Oikocredit stellt dabei lokalen Banken Kreditfazilitäten zur Verfügung, also einen größeren Kreditbetrag zum Verleih von Mikrokrediten. Mit Hilfe dieses Kreditrahmens können die Bankmanager vor Ort, die den lokalen Markt und die landestypischen Gepflogenheiten besser kennen, operieren.Die Kleinstkreditnehmer gründen dank des Darlehens beispielsweise einen Handwerksbetrieb, arbeiten als fliegende Händler auf den Marktplätzen oder kaufen Saatgut für die Bestellung ihrer Felder. Bei den Krediten handelt es sich nicht um staatlich geförderte Kredite, die durch eine Entwicklungsbank geschirmt werden. Die Darlehen werden zu normalen ortsüblichen Marktzinssätzen ausgegeben. Die meisten Darlehensnehmer sind glücklich über die Chance, sich eine Existenz aufbauen und damit die Familie ernähren zu können.
Mikrokredite setzen Standards für eine nachhaltige Entwicklung
Viele Sparer fragen sich, was mit ihren Ersparnissen geschieht und in welche Geldkreisläufe sie investiert werden. Diese Frage treibt auch den Vorstand von Oikocredit um: "Selbstverständlich ziehen auch wir Negativkriterien wie ausbeuterische Kinderarbeit oder einen verschwenderischen Umgang mit Ressourcen heran. Wir erweitern das Spektrum bei unseren Investments jedoch insbesondere auf randständige Gruppen wie die mittellose Landbevölkerung, die keinen Zugang zu Banken hat. Gerade Frauen, denen aufgrund des soziokulturellen Hintergrundes eine eigene Entwicklung von den Dorfältesten oder ihren Männern nicht zugestanden wird, sind unsere primäre Zielgruppe. Sie ernähren mit Hilfe des Kredits in vielen afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern die Familie und können dafür sorgen, dass die Kinder eine Schulbildung erhalten, die ihnen in den meisten Fällen selbst verwehrt wurde. Eingeschlossen ist darum stets eine Beratung der Kreditnehmer.
Die Laufzeit der Oikocredit-Kleinstkredite beschränkt sich nicht auf drei oder vielleicht sechs Monate, wie es bei vielen anderen Mikrofinanziers üblich ist. Ziel der Fokussierung auf den ländlichen Raum ist es, die Landflucht einzudämmen und die Entwicklungsarbeit vor Ort voranzutreiben. Das reduziert in der Folge Migrationsströme."
Währungsturbulenzen ausgleichen
"Die Inflationsrate in einigen Schwellenländern ist nach wie vor unbefriedigend. Dennoch ist es besser, die Landeswährung zu nutzen. Wenn wir an die Lateinamerikakrise zurückdenken, waren viele Kreditnehmer gezwungen, das Darlehen in USDollar zurückzuzahlen, was durch die Währungsturbulenzen seinerzeit oft das Doppelte ausmachte. Durch den Klimawandel sind künftig Naturkatastrophen in einigen Regionen nicht ausgeschlossen. Darum bemüht sich Oikocredit einen Risikopuffer zu schaffen, der es uns erlaubt, nicht gleich vor Gericht zu gehen, wenn eine örtliche Mikrokreditorganisation in der Folge einer Überschwemmung in die Krise gerät."
Gruppendynamik, die wirkt
"Die Besonderheit an Oikocredit ist, dass Darlehen nicht an EinzelMikrofinanz personen, sondern an Gruppen vergeben werden und das in fast 70 Ländern weltweit. Das fördert das gegenseitige Einstehennach dem Motto "Einer für alle, alle für einen". Dieser Zusammenhalt ist gerade in ländlichen Gebieten enorm wichtig, besonders unter Frauen, wenn sie mit Problemen im häuslichen Umfeld oder ihrem Kleinbetrieb zu kämpfen haben. Der wesentliche Punkt jedoch ist, dass diese Netzwerke über unser reines Kreditengagement hinaus fruchten und die örtliche Gemeinschaft stärken. Es entwickeln sich tagtäglich neue Initiativen, die das Leben der Gemeinden verbessern. Arme Leute sind ungeheuer kreativ und dieses Potential heben wir durch den Kredit. Auf der anderen Seite sind wir Risikomanager, denn im Vergleich zu vielen westlichen Banken operieren wir ohne Sicherheiten. Kredit hat immer etwas mit Vertrauen zu tun. Das Vertrauen wird durch die relativ geringe Ausfallwahrscheinlichkeit unseres Produktes honoriert, denn die Rückzahlungsrate liegt durchschnittlich bei weit über 90 Prozent."
Eine Win-Win-Situation für alle
Der Anleger kann hierzulande Genussscheine erwerben oder eine Mindesteinlage von 200 Euro tätigen. "Unsere Kunden verzichten bei ihrer Anlage auf einen kleinen Teil des Zinsertrages, nehmen das jedoch gerne in Kauf. Damit ist Hilfe zur Selbsthilfe bereits mit geringen Summen möglich. Man ist auch anders als bei der Zeichnung von Anleihen nicht über mehrere Jahre gebunden, sondern kann sein Geld zum Teil oder in Gänze jederzeit zum Nennwert zurückbekommen. Dieser Vorteil bindet immer mehr Anleger an unser Produkt, so dass zwischenzeitlich 80 Prozent unseres Mittelzuflusses von privaten Investoren kommen und nur mehr 20 Prozent von Seiten der Kirchen und anderen Großinvestoren."
Gerhard Novy, 69, ist ehrenamtlicher Vizepräsident im Vorstand von Oikocredit International
Oikocredit ist einer der weltweit größtenRefinanziers im Mikrofinanz-Sektor mit Sitz in den Niederlanden. Der gemeinnützige Verein wurde 1975 auf Initiative des Weltkirchenrates gegründet. Heute hat Oikocredit 29.000 Investoren mit einem Durchschnittsinvestment von 11.000 Euro, die bis dato 319 Millionen Euro aufgebracht haben. Von institutioneller Seite gehören neben den Kirchenbanken aber auch einige Groß- und Entwicklungsbanken zum Anlegerkreis. 80 Prozent des Gesamtanlagevermögens sind laufend in Mikrofinanzorganisationen, Genossenschaften und kleine und mittlere Unternehmen reinvestiert. Die verbleibende 20-prozentige Reserve dient dazu, neue Projekte zu initiieren und in Krisenfällen einen hinreichenden Liquiditätspuffer zu haben. www.oikocredit.org
Hilfe zur Selbsthilfe
Die international tätige Kreditgenossenschaft Oikocredit stellt dabei lokalen Banken Kreditfazilitäten zur Verfügung, also einen größeren Kreditbetrag zum Verleih von Mikrokrediten. Mit Hilfe dieses Kreditrahmens können die Bankmanager vor Ort, die den lokalen Markt und die landestypischen Gepflogenheiten besser kennen, operieren.Die Kleinstkreditnehmer gründen dank des Darlehens beispielsweise einen Handwerksbetrieb, arbeiten als fliegende Händler auf den Marktplätzen oder kaufen Saatgut für die Bestellung ihrer Felder. Bei den Krediten handelt es sich nicht um staatlich geförderte Kredite, die durch eine Entwicklungsbank geschirmt werden. Die Darlehen werden zu normalen ortsüblichen Marktzinssätzen ausgegeben. Die meisten Darlehensnehmer sind glücklich über die Chance, sich eine Existenz aufbauen und damit die Familie ernähren zu können.
Mikrokredite setzen Standards für eine nachhaltige Entwicklung
Viele Sparer fragen sich, was mit ihren Ersparnissen geschieht und in welche Geldkreisläufe sie investiert werden. Diese Frage treibt auch den Vorstand von Oikocredit um: "Selbstverständlich ziehen auch wir Negativkriterien wie ausbeuterische Kinderarbeit oder einen verschwenderischen Umgang mit Ressourcen heran. Wir erweitern das Spektrum bei unseren Investments jedoch insbesondere auf randständige Gruppen wie die mittellose Landbevölkerung, die keinen Zugang zu Banken hat. Gerade Frauen, denen aufgrund des soziokulturellen Hintergrundes eine eigene Entwicklung von den Dorfältesten oder ihren Männern nicht zugestanden wird, sind unsere primäre Zielgruppe. Sie ernähren mit Hilfe des Kredits in vielen afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern die Familie und können dafür sorgen, dass die Kinder eine Schulbildung erhalten, die ihnen in den meisten Fällen selbst verwehrt wurde. Eingeschlossen ist darum stets eine Beratung der Kreditnehmer.
Die Laufzeit der Oikocredit-Kleinstkredite beschränkt sich nicht auf drei oder vielleicht sechs Monate, wie es bei vielen anderen Mikrofinanziers üblich ist. Ziel der Fokussierung auf den ländlichen Raum ist es, die Landflucht einzudämmen und die Entwicklungsarbeit vor Ort voranzutreiben. Das reduziert in der Folge Migrationsströme."
Währungsturbulenzen ausgleichen
"Die Inflationsrate in einigen Schwellenländern ist nach wie vor unbefriedigend. Dennoch ist es besser, die Landeswährung zu nutzen. Wenn wir an die Lateinamerikakrise zurückdenken, waren viele Kreditnehmer gezwungen, das Darlehen in USDollar zurückzuzahlen, was durch die Währungsturbulenzen seinerzeit oft das Doppelte ausmachte. Durch den Klimawandel sind künftig Naturkatastrophen in einigen Regionen nicht ausgeschlossen. Darum bemüht sich Oikocredit einen Risikopuffer zu schaffen, der es uns erlaubt, nicht gleich vor Gericht zu gehen, wenn eine örtliche Mikrokreditorganisation in der Folge einer Überschwemmung in die Krise gerät."
Gruppendynamik, die wirkt
"Die Besonderheit an Oikocredit ist, dass Darlehen nicht an EinzelMikrofinanz personen, sondern an Gruppen vergeben werden und das in fast 70 Ländern weltweit. Das fördert das gegenseitige Einstehennach dem Motto "Einer für alle, alle für einen". Dieser Zusammenhalt ist gerade in ländlichen Gebieten enorm wichtig, besonders unter Frauen, wenn sie mit Problemen im häuslichen Umfeld oder ihrem Kleinbetrieb zu kämpfen haben. Der wesentliche Punkt jedoch ist, dass diese Netzwerke über unser reines Kreditengagement hinaus fruchten und die örtliche Gemeinschaft stärken. Es entwickeln sich tagtäglich neue Initiativen, die das Leben der Gemeinden verbessern. Arme Leute sind ungeheuer kreativ und dieses Potential heben wir durch den Kredit. Auf der anderen Seite sind wir Risikomanager, denn im Vergleich zu vielen westlichen Banken operieren wir ohne Sicherheiten. Kredit hat immer etwas mit Vertrauen zu tun. Das Vertrauen wird durch die relativ geringe Ausfallwahrscheinlichkeit unseres Produktes honoriert, denn die Rückzahlungsrate liegt durchschnittlich bei weit über 90 Prozent."
Eine Win-Win-Situation für alle
Der Anleger kann hierzulande Genussscheine erwerben oder eine Mindesteinlage von 200 Euro tätigen. "Unsere Kunden verzichten bei ihrer Anlage auf einen kleinen Teil des Zinsertrages, nehmen das jedoch gerne in Kauf. Damit ist Hilfe zur Selbsthilfe bereits mit geringen Summen möglich. Man ist auch anders als bei der Zeichnung von Anleihen nicht über mehrere Jahre gebunden, sondern kann sein Geld zum Teil oder in Gänze jederzeit zum Nennwert zurückbekommen. Dieser Vorteil bindet immer mehr Anleger an unser Produkt, so dass zwischenzeitlich 80 Prozent unseres Mittelzuflusses von privaten Investoren kommen und nur mehr 20 Prozent von Seiten der Kirchen und anderen Großinvestoren."
Gerhard Novy, 69, ist ehrenamtlicher Vizepräsident im Vorstand von Oikocredit International
Oikocredit ist einer der weltweit größtenRefinanziers im Mikrofinanz-Sektor mit Sitz in den Niederlanden. Der gemeinnützige Verein wurde 1975 auf Initiative des Weltkirchenrates gegründet. Heute hat Oikocredit 29.000 Investoren mit einem Durchschnittsinvestment von 11.000 Euro, die bis dato 319 Millionen Euro aufgebracht haben. Von institutioneller Seite gehören neben den Kirchenbanken aber auch einige Groß- und Entwicklungsbanken zum Anlegerkreis. 80 Prozent des Gesamtanlagevermögens sind laufend in Mikrofinanzorganisationen, Genossenschaften und kleine und mittlere Unternehmen reinvestiert. Die verbleibende 20-prozentige Reserve dient dazu, neue Projekte zu initiieren und in Krisenfällen einen hinreichenden Liquiditätspuffer zu haben. www.oikocredit.org
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