"Geplante Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ist eine verpasste Chance"
KIT-Experte Staudt sieht in der Novelle insgesamt nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer umfassenderen Neuregelung.
Am Mittwoch (23.09.2020) hat die Bundesregierung den Regierungsentwurf für eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) auf den Weg gebracht. Seit mehr als 20 Jahren regelt das EEG die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien und stellt das zentrale Element für ihren Ausbau dar. Heute decken Wind- und Solarkraft sowie andere erneuerbare Energien an vielen Tagen bereits die Hälfte des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Mit Hilfe von im Gesetz definierten Ausbaupfaden soll dieser Anteil nun bis 2030 auf 65 Prozent wachsen.
"Ob dieses Ziel grundsätzlich genügt, um unseren Verpflichtungen im Klimaschutz nachzukommen, darüber lässt sich streiten", sagt Dr. Philipp Staudt, der am Institut für Wirtschaftsinformatik und Marketing des KIT zur Gestaltung und Regulierung von Energiemärkten forscht. "Allerdings enthält der Regierungsentwurf einen Strickfehler: Im Gesetzesentwurf beziehen sich die 65 Prozent auf einen zukünftigen Bruttobedarf von 580 Terawattstunden. Das ist aber viel zu wenig!" Im Jahr 2018 habe allein der Nettostromverbrauch 526 Terawattstunden betragen. Berücksichtigen müsse man zusätzlich den Energieverbrauch der Wärme- und Kälteversorgung mit 1207 Terawattstunden und den Energieverbrauch im Verkehrswesen mit weiteren 739 Terawattstunden, erklärt er. "Deutschland hat sich vorgenommen, den Wärme- und Verkehrssektor zu elektrifizieren und will in die industrielle Erzeugung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien mittels Elektrolyse einsteigen. Das wurde von der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf schlichtweg nicht berücksichtigt."
Um die 65-Prozent-Marke vor diesem Hintergrund tatsächlich zu erreichen, müssten die Anstrengungen beim Ausbau deutlich intensiviert werden. Außerdem müssten neue Marktmechanismen etabliert werden, was Staudt in der Gesetzesvorlage ebenfalls vermisst: "Wenn im Gesetzesentwurf vom Markt die Rede ist, geht es eigentlich immer nur darum, dass erneuerbare Energien in der Lage sein sollen, sich ohne Subventionen zu refinanzieren. Das ist aber in Verbindung mit einem Ausbauziel 65 und langfristig sogar 100 Prozent gar nicht so einfach. An windigen und sonnigen Tagen kann der Preis schon heute auf null oder unter null sinken. Wer stellt ein teures Windrad auf, wenn sich damit kein Geld verdienen lässt? Ohne die Flexibilität der Sektorenkopplung und entsprechende neue Geschäftsmodelle ist das der aktuelle Ausblick. Hier bietet beispielsweise die Elektromobilität viele Chancen, die aber in dem Gesetzesentwurf, abgesehen von einem Passus zur Weitergabe der EEG-Umlage, gar nicht erwähnt werden."
Um die negativen Strompreise zu vermeiden und Anreize für eine weitere Elektrifizierung zu schaffen, sollte also am besten der Markt für netzdienliche Flexibilitätspotenziale geöffnet werden. Der Gesetzesvorschlag in der aktuellen Form sei dafür aber eher hinderlich: "Wind- und Solarenergie sind maximal unflexibel. Je mehr wir davon im Stromnetz haben, umso wichtiger werden Speicheroptionen", sagt Staudt. "Das ist nicht nur wichtig für die Netzstabilität, entsprechende Anbieter könnten vielmehr die Preise stabilisieren und gleichzeitig teure und sogar klimaschädliche Reservekapazitäten in Form von fossilen Kraftwerken überflüssig machen. Doch mit Ausnahme der Wasserstoffproduktion können Energiespeicher auch zukünftig beim Ein- und Ausspeichern mit Umlagen und Entgelten doppelt belastet werden. Das ist eine verpasste Chance."
Insofern sieht Staudt in der Novelle insgesamt nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer umfassenderen Neuregelung. Positiv hervorzuheben sei die Festschreibung von Vergütungen von Gemeinden, in denen Windprojekte durchgeführt würden sowie die Vereinfachungen für Mieter, von Photovoltaikanlagen zu profitieren, betont er. Auch dass für den Weiterbetrieb von privaten Photovoltaikanlagen, deren Förderung nach 20 Jahren nun auslaufe, eine Regelung gefunden worden sei, sei grundsätzlich zu begrüßen: "Die Möglichkeit einer marktorientierten Einspeisevergütung ohne Smartmeter bietet Rechtssicherheit und verhindert den Rückbau. Allerdings sendet der jetzt gefundene Kompromiss kein besonders positives Signal und bessere Lösungen wären denkbar, wie beispielsweise lokale Flexibilitätsmärkte oder angepasste Standardlastprofile. Auch hier fehlte leider der Mut etwas Neues auszuprobieren", so Staudt.
Technik | Energie, 23.09.2020
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