Umwelt | Umweltschutz, 01.03.2020
„Tanzen statt Böllern?“
Die durch das Silvesterfeuerwerk freigesetzten Feinstaubemissionen haben nicht nur enorme Auswirkungen auf Mensch und Umwelt
Jährlich werden in Deutschland für über 100 Millionen Euro Feuerwerkskörper in die Luft gejagt, Folgekosten für Schäden an Mensch und Umwelt und Kosten für die Beseitigung der hunderten Tonnen Abfall nicht eingerechnet. Außerdem verursacht das Silvesterfeuerwerk über 4.000 Tonnen Feinstaub. Das entspricht circa einem Viertel der jährlich durch Holzfeuerungen freigesetzten Menge und ist in etwa so viel, wie alle Autos und LKW in Deutschland in zwei Monaten freisetzen. (1; 2)
Diese Emissionen ziehen normalerweise innerhalb weniger Stunden nach Mitternacht ab, doch in diesem Jahr war das aufgrund der Wetterlage, die vielerorts herrschte, nicht der Fall. Auch noch am 2. Januar 2020 wurden beispielsweise in Essen und Dortmund Werte gemessen, die mit mehr als 100 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft weit über dem Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm liegen. Auch in anderen Städten, wie beispielsweise Mannheim und Regensburg, lagen die Feinstaub-Messwerte am zweiten Tag des Jahres 2020 ebenfalls noch deutlich über dem Grenzwert. Dieser darf an maximal 35 Tagen im Jahr überschritten werden; mindestens einer dieser Tage ist meist der erste Tag des neuen Jahres. (3; 4) Feinstaub wirkt schon in geringer Konzentration gesundheitsschädigend und kann die Sterblichkeit erhöhen und Erkrankungen der Atemwege, des Herz-Kreislauf-Systems und weitere Erkrankungen, wie etwa Allergien, Asthma oder sogar Lungenkrebs, verursachen. (5; 6 S. 9 f.) Außerdem schaden Feinstaubemissionen, vor allem der darin enthaltene Ruß, dem globalen Klima. (7) So gilt Ruß laut dem Weltklimarat als drittstärkster Einflussfaktor auf den Klimawandel. (8; 9)
Die durch das Silvesterfeuerwerk freigesetzten Feinstaubemissionen haben nicht nur enorme Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Jedes Jahr kommt es außerdem zu unmittelbaren gesundheitlichen Schäden durch eine unsachgemäße Verwendung von Feuerwerkskörpern mit entsprechenden Folgekosten: Tausende Menschen, erleiden durch Knalltraumata eine Schädigung des Innenohrs, häufig mit bleibenden Folgen (2) viele verlieren Gliedmaßen (10), immer wieder gibt es sogar Tote. Und dies alles für eine Stunde Knallerei und schöne Lichtspektakel am Himmel.
Würde man mit Vernunft argumentieren, müsste die private Böllerei verboten werden. Doch warum geschieht das nicht, obwohl sich laut einer Umfrage bereits über die Hälfte der Bevölkerung dafür ausgesprochen hat, das private Abschießen von Silvesterknallern zu verbieten und stattdessen offizielle Feuerwerke in großen Städten zu veranstalten? (11)
Laut der ersten Sprengstoffverordnung können Böller „in der Nähe von Gebäuden oder Anlagen, die besonders brandempfindlich sind" sowie Böller „mit ausschließlicher Knallwirkung" in dichtbesiedelten Gebieten verboten werden. (12) Einige Gemeinden haben bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht: auf den Nordseeinseln Sylt und Amrum etwa herrscht im Hinblick auf die erhöhte Brandgefahr wegen der vielen reetgedeckten Häuser (13) ein komplettes Böllerverbot und in bestimmten Teilen der Innenstädte von beispielsweise Köln, Hamburg, München und Berlin ist das Abschießen von Feuerwerkskörpern ebenfalls verboten. (14)
Doch Verbote, die über das Gesetz hinausgehen, sind bislang nicht umsetzbar. Bereits 2017 wurde beispielsweise ein Antrag der Grünen/Rosa Liste des Bezirksausschusses Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt abgelehnt, in dem ein Verbot von Feuerwerksraketen direkt an der Isar und in zwei Parallelstraßen gefordert wurde. Die Begründung: Es gäbe keine rechtliche Möglichkeit, „aus sicherheitsrechtlichen Gründen", ein Feuerwerksverbot zu erlassen. (15) Ebenso in München, wo der Stadtrat erreichen wollte, ein solches Verbot auf die gesamte Innenstadt auszuweiten. Doch aufgrund der Formulierung des Sprengstoffgesetzes konnte die Verwaltung dem nicht zustimmen. (16)
Ende letzten Jahres kündigte Innenminister Horst Seehofer zwar an, dass das Sprengstoffrecht überarbeitet werden sollte – jedoch erst zur nächsten Legislaturperiode Ende 2021. Erst dann soll ein Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht und geprüft werden, ob die bisherigen Regelungen an die veränderten Rahmenbedingungen und eine veränderte Akzeptanz in der Bevölkerung anzupassen sind. (16)
Obwohl eine Einschränkung der Feuerwerke in anderen Ländern bereits gang und gäbe ist und obwohl angesichts der massiven Schäden für Mensch und Umwelt und entsprechender Folgekosten seit Jahren gefordert wird das Gesetz zu ändern, wird die politische Entscheidung aufgeschoben. Möglicherweise will man es sich in Berlin nicht verscherzen: nicht mit manchen Wählergruppen, die „Freies Böllern für freie Bürger" (17) fordern und auch nicht mit Teilen der Wirtschaft, die an Herstellung und Verkauf von Feuerwerkskörpern gut verdienen.
Damit an Silvester nicht mehr jeder Haushalt sein eigenes privates Feuerwerk veranstaltet – mit allen negativen Folgen – bedarf es nicht nur schneller und durchgreifender politischer Entscheidungen; es geht in dieser Frage auch um einen gesellschaftlichen Wandel. Wir brauchen mehr Alternativen zum privaten Feuerwerk, wir brauchen neue Rituale. So sollte es, wenn überhaupt, ausschließlich zentral organisierte Feuerwerke oder besser Lichtershows geben. Wir können uns auch von anderen, im Land bereits bestehenden Ritualen inspirieren lassen, etwa vom sogenannten „Hulken" auf Amrum, bei dem die Inselbewohner am Silvesterabend verkleidet von Haus zu Haus ziehen. Wird man von den Hausbewohnern erkannt, wird man mit einer Kleinigkeit verköstigt. (18) Oder wir führen ganz neue Rituale ein. Etwa indem wir, wie die Einwohner auf den Philippinen, um Mitternacht hüpfen, um unser Wachstum anzuregen (19) oder indem wir um null Uhr alles stehen und liegen lassen und, wie in Österreich, Walzer tanzen – egal wo wir gerade sind (20). Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Klar ist: Es geht auch anders!
Marilen Sieker, Kummer:Umweltkommunikation GmbH
1. Umweltbelastung zum Jahreswechsel - Wir zünden ein Feinstaub-Feuerwerk. [Online] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/feuerwerk-hohe-feinstaubbelastung-zu-silvester.
2. Zum Jahreswechsel: Wenn die Luft "zum Schneiden" ist. Umweltbundesamt. [Online] 12 2019. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/jahreswechsel-wenn-die-luft-schneiden-ist.
3. Feinstaubwerte bleiben vielerorts hoch. tagesschau.de. [Online] 02. 01 2020. [Zitat vom: 27. 02 2020.] https://www.tagesschau.de/inland/feinstaub-silvester-101.html.
4. Aktuelle Luftdaten - Luftqualitätsindex. Umweltbundesamt. [Online] [Zitat vom: 27. 02 2020.] https://www.umweltbundesamt.de/daten/luft/luftdaten/luftqualitaet/eJzrWJSSuMrIwMhA18AQiBaVZC4yNFyUl7pgUXHJYgsTs8UpbkVAeUNLXUMjXSPTxSkh-cjKc6vYFuUmNy3OSSw57eC5KrA69_TZxTl56acdVK40MDAwMAIAijIjKw==.
5. Feinstaub - eine Gefahr für Gesundheit und Klima. BUND. [Online] [Zitat vom: 29. 02 2020.] https://www.bund.net/themen/mobilitaet/schadstoffe/feinstaub/.
6. Dt. Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. Saubere Luft - Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen. Leopoldina. [Online] 04 2019. [Zitat vom: 29. 02 2020.] https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/Leo_Stellungnahme_SaubereLuft_2019_Web_03.pdf.
7. Luftverschmutzung und Klimawandel. Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam. [Online] [Zitat vom: 29. 02 2020.] https://www.iass-potsdam.de/de/ergebnisse/dossiers/luftverschmutzung-und-klimawandel.
8. Wie wirkt sich Ruß auf das Klima aus? Leipniz-Institut für Troposphärenforschung. [Online] 28. 05 2015. [Zitat vom: 29. 02 2020.] https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/wie-wirkt-sich-russ-auf-das-klima-aus/.
9. Bond et al. Bounding the role of black carbon in the climate system: A scientific assessment. [Online] 15. 01 2013. [Zitat vom: 29. 02 2020.] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/jgrd.50171.
10. Der absehbare Zufall. Spiegel.de. [Online] 30. 12 2018. https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/silvester-aerzte-berichten-von-den-folgen-der-verletzungen-a-1245869.html.
11. Die Deutschen sind bei Silvesterknallern skeptisch. [Online] 17. 12 2018. https://yougov.de/news/2018/12/17/die-deutschen-sind-bei-silvesterknallern-skeptisch/.
12. Erste Verordnung zum Sprengstoffgesetz §24. [Online] https://www.gesetze-im-internet.de/sprengv_1/__24.html.
13. Amtlicher Hinweis: keine Rakteten und kanonenschläge auf den Inseln Föhr und Amrum. [Online] 22. 12 2017. https://www.amrum-news.de/2017/12/22/amtlicher-hinweis-keine-raketen-und-kanonenschlaege-auf-den-inseln-foehr-und-amrum/.
14. Böllerverbot an Silvester: Diese Städte machen mit. [Online] 30. 12 2019. https://www.rtl.de/cms/feuerwerksverbot-an-silvester-in-diesen-staedten-ist-boellern-ganz-oder-teilweise-verboten-4444370.html.
15. Isar: Kein Raketen- und Böller-Verbot an Silvester. [Online] 10. 10 2017. https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.kvr-weist-antrag-zurueck-isar-kein-raketen-und-boeller-verbot-an-silvester.5c4d2f5a-4261-4de1-af93-58ed2b3d6bf4.html.
16. Raketen und Böller sollen aus der ganzen Innenstadt verbannt werden. [Online] 13. 11 2019. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-silvester-feuerwerk-verbot-1.4678924.
17. Love and Hate - Böller an Silvester. [Online] 21. 12 2018. https://www.zitty.de/boeller-an-silvester/.
18. Bräuche. [Online] https://www.amrum-travel.de/aktivitaeten/Amrum-Regionale-Besonderheiten/Braeuche/.
19. Rote Unterwäsche, Rückenhiebe, hüpfende Kinder - so feiert die Welt Silvester. [Online] 31. 12 2018. https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/silvester-diese-braeuche-und-traditionen-gibt-es-weltweit-zu-neujahr-a-1245939.html.
20. In Europa - Wo wird wie Silvester gefeiert? [Online] 30. 11 2011. https://archiv.berliner-zeitung.de/ratgeber/reise/in-europa-wo-wird-wie-silvester-gefeiert--10212018.
21. Streit über Silvesterböller - Feuerwerk zwischen Freiheit und Feinstaub. [Online] 27. 12 2019. https://www.deutschlandfunk.de/streit-ueber-silvesterboeller-feuerwerk-zwischen-freiheit.724.de.html?dram:article_id=466666.
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