Nachhaltige Schülerfirmen
Was die Generation Greta anders macht
Schülerfirmen sind nichts Besonderes mehr in der deutschen Schullandschaft. Auf der JUNIOR-Schülerfirmen-Plattform des Instituts der deutschen Wirtschaft werden aktuell 781 Schülerfirmen verzeichnet, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung zählt in ihrem Netzwerk 580 Schülerfirmen und im Netzwerk „Nachhaltige Schülerfirmen" der FU Berlin sind ca. 100 Schülerfirmen angemeldet. Eine Gesamtstatistik wird nirgendwo geführt, da Schülerfirmen sich nicht ins Handelsregister eintragen müssen und oft keine dauerhafte Geschäftstätigkeit entwickeln. Die Grundidee, die in den 90er Jahren entstand, richtete sich ja auch primär auf die Vermittlung von ökonomischem und betriebswirtschaftlichem Know-how während der Schulzeit. Der Großteil der Schülerfirmen ist deshalb auch eine weitgehend pädagogisch dominierte Veranstaltung unter der Ägide der jeweiligen Schule. Erst mit der Herausforderung der Nachhaltigkeit entstand tendenziell ein neues Paradigma der Schülerfirma. Es sind drei Aspekte, die nachhaltige Schülerfirmen „anders" machen:
- die inhärente Komplexität des Nachhaltigkeitsthemas,
- die Tatsache, dass Nachhaltigkeit letztlich eine Transformation unseres Wirtschaftssystems bedeutet,
- die besondere Motivationskraft, die das Nachhaltigkeits- und Klimathema bei Schülerinnen und Schülern der „Generation Greta" zu erzeugen scheint.
Nachhaltigkeit ist komplex
Die Komplexität von Nachhaltigkeit liegt an sich schon im Anspruch
begründet, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte gleichzeitig und
gleichwertig im Blick zu haben. Noch komplexer wird die Sache, wenn
(Schüler-)Firmen versuchen wollen, die 17 Ziele und 169 Unterziele der Agenda
2030 im Blick zu behalten. In der Realität haben sich deshalb auch nachhaltige
Schülerfirmen bislang auf einige wenige und eher traditionell dem Umwelt- und
Naturschutz zuzurechnende Bereiche fokussiert. Die Website
des Netzwerks „Nachhaltige Schülerfirmen" zählt diese Bereiche auf:
- gesunde Ernährung
- Fairer Handel
- Imkerei
- Streuobstwiese
- Recycling/Upcycling
- nachhaltiges Schulmaterial
- soziales Engagement
- Energie- und Klimaschutz
Bezeichnenderweise ist das Thema Energieeffizienz und Klimaschutz ein erst vor kurzem hinzugekommenes Handlungsfeld. Wenn man jedoch die drei Beispiele von Schülerfirmen, die unter dieser Rubrik auf der Netzwerk-Website aufgeführt sind, genauer anschaut, findet man, dass entweder gar keine Infos mehr verfügbar sind oder dass die tatsächlich wirtschaftlich relevanten Aktivitäten sich auch hier auf den Verkauf von Schulheften aus Recyclingpapier oder Obstsaft von Streuobstwiesen beschränken.
Das gute Beispiel
Hingegen hat eine Schülerfirma, die auf der Netzwerk-Seite noch nicht
zu finden ist – energyECO aus
Berlin-Karow – tatsächlich Dienstleistungen und Produkte auf ihrer Website, die
anderen Schulen zugutekommen - von messtechnisch
und kommunikativ unterstützten Lüftungskampagnen über den Poster-Verkauf für
Kampagnen bis hin zu selbst entwickelten Feinstaub-Messstationen und
Echtzeit-Messnetzen für die Raumklima- und Energiekontrolle in Klassenräumen.
Die Gymnasiasten, die energyECO betreiben, bezeichnen sich selbstbewusst als „Deutschlands jüngste Energieberater". Auch in der Pressearbeit ist die Gruppe versiert. Dennoch würden sie durch ein strenges Nachhaltigkeitsraster fallen, denn bei energyECO arbeiten ausschließlich Jungs mit. Die Schülerfirma ist aus einem mehrjährigen Energieprojekt von „Köpfchen statt Kohle" entstanden. Unter den zehn Schülern, die die Schüler-Aktiengesellschaft jüngst gegründet haben, ist mehr als die Hälfte schon seit drei und vier Jahren dabei. Die Schüler haben sich also aus sich selbst heraus und in der Auseinandersetzung mit ihren Aufgaben zu einem ehrgeizigen Team entwickelt. Dass während der ganzen Zeit Mädchen nie in der Gruppe Fuß fassen konnten, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Jungs die Chance gesehen haben, hier mal „ihr Ding" zu machen. Die kontinuierlich involvierten Projekt-Coaches der Nachhaltigkeitsagentur stratum haben keinen Grund gesehen, ein Gender Mainstreaming in der Schülergruppe durchzuboxen und die Aufnahme von Mädchen zur Pflicht zu machen. Thematisiert wurde die Frage wohl, aber ein Zwang zur politisch korrekten Zusammensetzung wäre kontraproduktiv gewesen. Ist energyECO also nicht nachhaltig?
Schülerfirmen ändern Schulen…
Dass Nachhaltigkeit die Transformation unseres Wirtschaftssystems
bedeutet, lässt sich an einem anderen Beispiel verdeutlichen. Im bayerischen
Donauwörth hatte eine Lehrerin das Interesse, ein berufsvorbereitendes Seminar,
wie es an ihrem Gymnasium während der letzten eineinhalb Jahre vor dem Abitur
üblich ist, mit dem Thema Nachhaltigkeit zu kombinieren. Das Seminar, an dem 12
Schülerinnen und Schüler teilnehmen, sollte den Ehrgeiz wecken, die
praktizierte Nachhaltigkeit an der Schule einen Schritt voranzubringen. Der
Schulträger unterstützte diesen Ehrgeiz, durch die Finanzierung eines externen
Beraters für den Kick-off des Seminars. Aus dem zuständigen Landratsamt kam die
Idee, die Schüler mit den Sustainable Development Goals (SDG) zu konfrontieren.
Im Kick-off-Workshop bildeten die SDG das Kriterienraster für die Einschätzung
vorhandener Handlungsoptionen.
... und gestalten eine neue Mensa
Was zunächst sehr theoretisch anmutete, endete in einer wirklich
ehrgeizigen Zielsetzung: Die Schüler nahmen sich vor, für die wenig attraktive
Mensa ein neues Konzept zu erarbeiten, das die Mitschüler anspricht, einen
maximal geringen ökologischen Fußabdruck hat und ein Beitrag zur gesunden
Ernährung ist. Als sie umgehend ihr Konzept dem Landrat persönlich vorstellten,
zeigte dieser sich sehr angetan. Da ohnehin ein Betreiberwechsel bevorsteht,
ergibt sich jetzt sogar die Chance, die Kriterien der Ausschreibung um
nachhaltige Aspekte zu ergänzen. Inzwischen haben die Schüler, die ihr Projekt
unter dem Titel time4action auch auf
einer Website nachverfolgbar machen, die Zusage des Landratsamts, dass rein
ökonomische Kriterien für die Auswahl des künftigen Mensabetreibers nicht mehr
ausschlaggebend, sondern auch ökologische und soziale Aspekte gleichgewichtig,
wenn nicht sogar entscheidend sein sollen. Da das Mensa-Konzept der
Schüler/innen eine aktive Mitbestimmung und Beteiligung vorsieht, ist es nicht
unwahrscheinlich, dass für die Verstetigung und Multiplikation des neuen
Mensa-Typs auch eine Schülerfirma gegründet wird, die den begonnenen
Transformationsprozess bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen einer
nachhaltigen Schulverpflegung fortsetzt und weiterverbreitet.
Demonstrieren UND handeln!
Nachhaltigkeits-Pädagogen mögen sich wünschen oder erwarten, dass die
Jugendlichen der Generation Greta besonders für Nachhaltigkeit motiviert sind
und für „nachhaltige" Schülerfirmen deshalb eine besondere Konjunktur entsteht.
Bisher ist das freilich noch nicht zu beobachten. Möglicherweise ist die
Motivation, zu demonstrieren und über die Medien öffentlichen Druck auf die
Politik auszuüben, eine ganz andere als die, eine Schülerfirma zu gründen.
Zumindest legt dies eine Aussage der Schüler von energyECO nahe, die einer
Journalistin des "Neuen
Deutschland" Rede und Antwort standen: „An den seit einem Jahr laufenden
Schulstreiks beteiligen sich die Energieberater nicht. Levi war zwar schon bei "Fridays
for Future", allerdings als ohnehin schulfrei war. Die drei finden gut und
wichtig, was Fridays for Future macht, sagen sie, hätten für sich aber einen
anderen Weg gewählt. Sie wollen durch das Streiken nicht ihre persönliche
Zukunft gefährden. ‚Ich finde es sinnvoller, mich dort zu engagieren, wo ich
direkt und effektiv was bewirken kann‘, sagt Hannes. Ein echter Unternehmer
eben."
Drei Aktionsfelder erfolgreicher Schülerfirmen
- Komplexität: Nachhaltige Schülerfirmen sollten
sich nicht mit den überkommenen Themen und Lösungen begnügen, die – wie mir
scheint – sehr von der Öko-Sozialisation ihrer in die Jahre gekommenen
Lehrkräfte bestimmt sind. Es ist wichtig, dass auch Schüler sich wirklich in
die Probleme vertiefen und mit einem hohen Anspruch, Kreativität und Ehrgeiz an
die Lösung gehen. Unternehmerisch denken lernt man nicht, indem man nachmacht,
was andere längst vorgemacht haben.
- Transformation: Nachhaltigkeit erfordert auch,
bestehende Werte, Übereinkünfte und Routinen zu hinterfragen und „out of the
box" zu denken. Das ist nicht nur eine Frage des Intellekts, sondern auch des
Mutes, Machtverhältnisse herauszufordern und politisch Verantwortliche unter
Argumentationszwang zu setzen. Schüler und Jugendliche, die aktiv werden,
Kompetenzen erwerben und für ihre Vorschläge argumentativ und
öffentlichkeitswirksam eintreten können, haben eine vielfach höhere
Aufmerksamkeit und ein wesentlich höheres moralisches Gewicht als jede
politische Gruppierung oder Initiative von Erwachsenen.
- Motivationskraft: Die letztgenannte Beobachtung wird durch den Erfolg von Fridays for Future eindrucksvoll belegt. Allerdings bedeutet das höchstwahrscheinlich nicht, dass die Generation Greta verstärkt erfolgreiche und innovative nachhaltige Schülerfirmen gründen wird. Es sind anders gelagerte Motive, die Menschen auf Demonstrationen führen oder zu Schüler-Unternehmern machen. Die Unterstützung, die Schüler-Unternehmer benötigen, ergibt sich viel eher aus den erstgenannten beiden Dimensionen. Der Aufmerksamkeits- und Bedeutungshintergrund, den Fridays for Future geschaffen hat, ist dennoch auch für die nachhaltigen Schülerunternehmer äußerst hilfreich.
Richard Häusler ist Diplomsoziologe und Gesellschaft-Geschäftsführer der Beratungsagentur stratum in Berlin. stratum hat seine Mandate sowohl im Profit, wie im Nonprofit-Sektor und legt Wert darauf, eigene innovative und provokative Akzente im Beratungsprozess zu setzen. Gerade auch in der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen möchte stratum immer wieder dazu beitragen, den Mainstream herauszufordern.
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