Reformation zum Genug?
Kirchliches Netzwerk für Nachhaltigkeit jetzt mit Sitz in Lutherstadt Wittenberg
Katholisches Hilfswerk Misereor & Evangelische Akademie finanzieren neue Stelle
Was können wir Menschen tun, damit die Erde für Menschen bewohnbar bleibt? Welchen Beitrag können die christlichen Kirchen dabei
leisten? Und welches Wissen brauchen sie dazu?
Für diese Fragen hat die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt eine neue Stelle eingerichtet: Die Politikwissenschaftlerin (M. A.)
Constanze H. Latussek wird ab sofort von Wittenberg aus ein bundesweites, kirchliches Netzwerk koordinieren: den Ökumenischen
Prozess "Umkehr zum Leben - den Wandel gestalten".
Finanziert wird die neue Stelle vom katholischen Bischöflichen Hilfswerk Misereor und der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.
Dass die Stelle in Wittenberg, am Ursprungsort der Reformation angesiedelt ist, hält Akademiedirektor Friedrich Kramer für ein
Zeichen der Hoffnung: "Um die Erde bewohnbar zu halten, brauchen wir einen grundlegenden Wandel - vielleicht sogar eine neue, eine
ökumenisch-ökologische Reformation, eine planetare Reformation zum Genug."
Die Bedeutung dieser Fragen für die christlichen Kirchen unterstreicht Dr. Georg Stoll, der bei Misereor für Globale Zukunftsfragen
zuständig ist: "Die Kehrseiten der Wohlstands- und Fortschrittsgeschichten der sogenannten entwickelten Länder sind inzwischen für
alle sichtbar, die sehen wollen. Die Frage drängt sich auf: Wie wollen und können wir in unserem gemeinsamen Zuhause, auf diesem
Planeten leben? Sie berührt die christlichen Kirchen im Innersten ihres Selbstverständnisses und ihres Auftrags. Deshalb ist die
Arbeit dieses kirchlichen Netzwerks für Nachhaltigkeit so wichtig."
Begriff "Anthropozän": Das Zeitalter des Menschen
Da der Mensch als erste Art überhaupt dabei ist, die Erde unumkehrbar zu
verändern, wird die aktuelle Epoche zunehmend auch als Anthropozän bezeichnet - das Zeitalter, das von Menschen gemacht wird.
"Erdgeschichtlich könnte es ein sehr kurzes Zeitalter sein, denn der Mensch entzieht sich in atemberaubender Geschwindigkeit die
eigenen Lebensgrundlagen wie saubere Atemluft, Trinkwasser oder überlebensfreundliches Klima," so Latussek.
Planetare Grenzen
Der Mensch bedroht sein eigenes Überleben derzeit in neun Bereichen, so zum Beispiel durch die menschengemachte Klimaveränderung,
die Überdüngung der Böden mit Stickstoff, die Versauerung der Meere oder das Aussterben von Arten wie zum Beispiel das
Bienensterben. "Damit die Erde auch künftig bewohnbar bleibt, müssen wir globale Stoppschilder aufstellen. Wissenschaftler nennen
diese Stoppschilder planetare Grenzen", beschreibt Latussek. Ein einfaches Ampelmodell (s. Abb.) zeige, wo die Menschheit gerade
steht: "Rot bedeutet höchstes Risiko, grün steht für einen (noch) sicheren Handlungsraum."
Große Transformation
Um die Erde auch im Anthropozän bewohnbar zu erhalten, braucht es eine "Große Transformation" - so die Forderung des
Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2011. Dabei kommen in den vergangenen
Jahren die Kirchen wieder verstärkt ins Blickfeld von Wissenschaft und Politik. "Kirchen haben große Erfahrungen mit tiefgreifenden
Transformationen", so Latussek. "Zudem bieten die Kirchen mit ihren Wertemodellen Gegenentwürfe zum Streben nach Wachstum und Status
an. Wenn mir bewusst wird, dass mich ein großes Auto und ein volles Konto weniger glücklich machen, als anderen zu helfen und Teil
einer Gemeinschaft zu sein, kann das ein Anfang sein. Wenn das immer mehr Menschen erleben, kann das vielleicht sogar eine
gesellschaftliche Revolution auslösen. Hier bieten die Kirchen ein Riesenpotenzial an Geschichten, Traditionen und Ideen."
"Positive Kultur statt Untergangsszenarios und Gängelei" Dabei ist sie überzeugt, dass ein Umdenken nur über eine "positive Kultur
der Nachhaltigkeit" gelingen kann. "Untergangs-Szenarios und Gängelei führen meines Erachtens zu Angst, Abwehr oder gar Resignation;
sie sind keine guten Ratgeber. In unserem christlichen Glauben finden wir dagegen eine lebensbejahende, freudige Kraft für eine
spirituelle Erneuerung und Umkehr."
Umkehr zum Leben - den Wandel gestalten
Doch wie schaffen wir Menschen eine solche Umkehr oder eben auch große Transformation, wie können Kirchen dabei mitgestalten und wie
kann die Theologie dabei mithelfen? Um diese Frage zu klären, fördert und fordert der Ökumenische Prozess seit 2013 vor allem offene
Such- und Konsultationsprozesse, erschließt Forschungsergebnisse und bringt Veröffentlichungen auf den Weg. Künftig sollen verstärkt
auch konkrete Schritte der Umkehr und Transformation gesucht werden.
Kurzvorstellung: Constanze H. Latussek
Die gebürtige Leipzigerin studierte Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Umwelt- und Internationale Politik in Berlin, Münster und
Leeds und arbeitete als Journalistin und Chefredakteurin bei Zeitungen, Radio- und Multimedia-Formaten im In- und Ausland, u. a. im
Deutschen Bundestag. Später war sie als Marketingdirektorin & Pressesprecherin der Sparkasse Leipzig tätig. Mit ihrer 2011
gegründeten PR-Agentur Korax Kommunikation betreut sie gemeinnützige Kunden wie z. B. Diakonische Werke und Einrichtungen der
Kinder- und Jugendhilfe, aber auch Dax-Konzerne. Als Koordinatorin und Sprecherin des Ökumenischen Pilgerwegs für Klimagerechtigkeit
(Bonn-Katowice) war sie bereits für die Organisation, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit eines großen länderübergreifenden
ökumenischen Projektes zuständig. Auch privat spielen für die Mutter von zwei Kindern Nachhaltigkeit, Umweltpolitik und christliches
Engagement eine elementare Rolle. So hat sie eine Bürgerinitiative für umweltfreundliche Mobilität mitgegründet, autofreie
Aktionstage durchgeführt, engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Heimatgemeinde und hat das Leipziger "Südcafé" für Geflüchtete
mitgegründet. Beim Ökumenischen Prozess reizt sie die Suche nach konkreten Schritten der Umkehr.
Der Ökumenische Prozess "Aufbruch zum Leben - den Wandel gestalten"
Welchen Beitrag können kirchliche Akteure, lokal oder national,
zur Gestaltung einer nachhaltigen, sozial gerechten und klimagerechten Wirtschaft leisten? Wie können sie zu relevanten Akteuren des
Wandels werden? Auf welchen Wegen können Gemeinden zu einer "Ethik des Genug" finden? Diesen und ähnlichen Fragen widmet sich seit
2013 der bundesweite Ökumenische Prozess "Umkehr zum Leben - den Wandel gestalten", getragen von aktuell 25 kirchlichen Trägern wie
Landeskirchen, dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor, Brot für die Welt, Bistümern, Akademien, Diensten, Vereinen, Instituten und
Stiftungen (Stand 7/2019). Aktuelle Sprecher des Prozesses sind Christoph Fuhrbach (Bistum Speyer) und Christine Gühne (Brot für die
Welt). Mehr Informationen, Publikationen und Kampagnenmaterial unter www.umkehr-zum-leben.de
Kontakt: Constanze H. Latussek, Ev. Akademie Sachsen-Anhalt e.V.
latussek@ev-akademie-wittenberg.de | www.umkehr-zum-leben.de
latussek@ev-akademie-wittenberg.de | www.umkehr-zum-leben.de
Umwelt | Klima, 15.08.2019
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