Volle Kraft voraus
Von Laternenparkern und Power-Chargern für E-Autos
Neue Elektroautos, steigende Batteriekapazität und mehr Saft am Stecker verändern die Nutzung von Elektroautos und schaffen innovative Businessmodelle. Auch das Laden an öffentlichen Ladesäulen wird immer transparenter und günstiger. forum zeigt den E-Weg in Sachen Mobilität.
Die meisten bisherigen E-Auto-Modelle haben eine Batteriekapazität zwischen 20 und 60 Kilowattstunden. Inzwischen kommen immer mehr neue E-Fahrzeuge mit Batterien von bis zu 100 Kilowattstunden und damit einer deutlich höheren Reichweite auf den Markt. Diese Entwicklung beeinflusst die Nachfrage und das Mobilitätsverhalten grundlegend. Schließlich zeigen Umfragen wie der DAT-Report 2019, dass die Reichweite für die meisten potenziellen E-Autokäufer bisher der stärkste Hinderungsgrund für den Umstieg ist. Sebastian Bobeth erforscht am Institut für Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die Verbreitung der Elektromobilität. Er betont: „Die bisherigen Vorbehalte bei Reichweite und Ladeinfrastruktur basieren nicht auf einer realistischen Einschätzung des eigenen Mobilitätsverhaltens. Sie sind vielmehr ein typisches Phänomen gegenüber Innovationen." Tatsächlich sei der Großteil der zurückgelegten Wege im Alltag kürzer und für ein E-Auto schon längst kein Thema mehr. Darauf baut die Autoindustrie. Die TU Chemnitz analysierte die Strategien und Produktplanungen großer Hersteller in Deutschland und kommt zum Ergebnis, dass diese davon ausgehen, dass bis 2025 der Anteil an Elektroautos in Deutschland stark zunehmen wird, von heute rund 1 bis 2 Prozent auf dann rund 10 Prozent. Bereits 2018 wurden hierzulande laut Kraftfahrt-Bundesamt rund 54 Prozent mehr Elektroautos als im Vorjahr zugelassen.
Woher kommt der Strom und was kostet er?
Mit der gestiegenen Akku-Kapazität und der höheren Reichweite ändert sich nicht nur die Nutzung des Elektroautos, sondern auch das Ladeverhalten. Es reicht in immer mehr Fällen, wenn daheim geladen wird. „Das macht ein Elektroauto vom Zweit- zum Erstwagen, erhöht aber auch den Strombedarf zuhause", sagt Florian Henle, Geschäftsführer des Ökoenergieversorgers Polarstern. „Spezielle Ladetarife und -lösungen zum preiswerten Laden werden wichtiger." Zumal das Laden zuhause nicht nur bequem, sondern auch deutlich transparenter sei als an öffentlichen Ladestationen, wo die verschiedensten Strom- und Ladepreise gelten und Kunden oft mehr als das Doppelte des typischen Haushaltsstrompreises zahlen müssten. Doch auch hierfür gibt es bereits Lösungen. „Wer seinen eigenen Stromtarif beim Laden an öffentlichen Ladesäulen „mitbringen" kann, ist im Vorteil", erklärt Alexa Thiele, Sprecherin von Ubitricity. „Das ist ganz einfach: Bei der Lade- und Abrechnungslösung mit einem intelligenten Ladekabel, in dem ein Zähler und moderne Kommunikationstechnologie integriert sind, kann der Nutzer seinen selbstgewählten Energievertrag an vielen Steckdosen und Ladepunkten in Anspruch nehmen. Vor allem an einer Systemsteckdose geschieht das immer exakt zu den Konditionen dieses Energie-Vertrags, kilowattstundengenau.
In Deutschland sind solche Systemsteckdosen bisher vor allem in Mehrfamilienhäusern oder bei Firmennetzwerken zu finden. Sie ermöglichen das Laden und Abrechnen als Teil einer Fuhrpark- oder Gemeinschaftslösung, so dass hier alle Ladevorgänge direkt auf den Arbeitgeber oder innerhalb der Mietergemeinschaft abgerechnet werden können. In London gibt es dagegen bereits über 1.000 dieser Ladepunkte im öffentlichen Raum. Sie zeichnen sich durch ihre vielfältigen Installationsvarianten aus, etwa in und an Immobilien oder einfach integriert in bereits vorhandene Stadtmöbel wie Laternen, Stromverteiler oder Wartehäuschen. So wird das (über Nacht) Parken auf der Straße einfach und unkompliziert zum Laden genutzt und am nächsten Morgen kann das E-Mobil wieder mit frischer Energie durchstarten.
Ladetarife für Vielfahrer und Eigenheimbesitzer
Analysen, unter anderem des ADAC, ergeben, dass schon heute die Betriebskosten eines Elektroautos deutlich unter denen eines Verbrenners liegen. Noch attraktiver ist es, wenn Hausbesitzer ihr Fahrzeug daheim zu einem günstigeren Stromtarif laden können. Dafür brauchen sie spezielle Zähler für ihre Ladestelle. Haben Haushalte einen HT/NT-Zähler, auch Zweitarifzähler genannt, können sie meist ab 22 Uhr vergünstigt laden. Der NT-Arbeitspreis liegt ein paar Prozent unter dem HT-Arbeitspreis. Zeitlich unabhängiger sind Haushalte mit einem eigenen, unterbrechbaren Stromzähler für die Ladestelle des Elektroautos. Bei diesen Tarifen sind gewisse Strompreisbestandteile reduziert, weil der Netzbetreiber bei hoher Netzauslastung die Erlaubnis hat, die Stromversorgung des Elektroautos zeitweise zu unterbrechen oder bei Bedarfsspitzen sogar Strom aus der Autobatterie zu ziehen. E-Autos werden damit zum Kurzzeitpuffer für das gesamte Stromsystem. Besonders gefragt sind auch die Kombination von Elektroauto und PV-Anlage im Eigenheim sowie der Zugang zu Lademöglichkeiten für Mieter in Mehrparteienhäusern – oftmals kombiniert mit Mieterstrom. Damit lassen sich die mittlerweile niedrigen Gestehungspreise für Strom aus Photovoltaikanlagen optimal für eine preisgünstige Mobilität nutzen. Insbesondere Photovoltaik-Anlagen deren EEG-Förderung abläuft, bekommen hier ein optimales Einsatzgebiet zur Eigennutzung. Leider wird das sogenannte bidirektionale Laden, also die Entnahme des Batteriestroms aus dem Auto und die Einspeisung ins eigene Haus oder gar in das öffentliche Netz, in Deutschland noch nicht vom Gesetzgeber erlaubt. Fachleute erwarten hier jedoch baldige Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Vorteile des Ladens an einer Ladestation
Grundsätzlich gilt: Elektroautos können ganz einfach an einer Steckdose geladen werden. Um die oben genannten Vorteile nutzen zu können, empfiehlt es sich, Elektroautos an einer intelligenten Ladestation bzw. Wallbox zu laden. Die Ladevorgänge werden dort digital erfasst und sind jederzeit über eine App einseh- und oft auch steuerbar. Das rechnet sich vor allem für Haushalte mit einer PV-Anlage. Sie können ihren Eigenverbrauch optimieren, wenn das Auto bevorzugt mit eigenem PV-Strom geladen wird. Außerdem sind die Integration in einen Ladeverbund sowie die vereinfachte Abrechnung eines elektrischen Dienstwagens möglich. Bei der Installation einer Ladestelle zuhause sollte man unbedingt mit einem Elektrofachmann zusammenzuarbeiten. Denn um einen Akku schnell zu laden, muss seine Ladeleistung der Ladeleistung der Ladestelle entsprechen.
Psychologische Einflüsse auf das Kauf- und Nutzungsverhalten
Viele Vorbehalte gegenüber Elektroautos sind, wie eingangs erwähnt, psychologischer Art. Studien belegen, dass die Reichweiten-Angst aus Nutzungssicht absolut unbegründet ist. Nach Analysen des Kraftfahrt-Bundesamtes werden mit einem Pkw jährlich im Schnitt 13.922 Kilometer zurückgelegt. Das sind pro Tag rund 38 Kilometer. Auch Berechnungen basierend auf dem Deutschen Mobilitätspanel ergeben, dass die Fahrtstrecke an einem durchschnittlichen Tag von 80 Prozent aller Pkw bei weniger als 60 Kilometer und von 90 Prozent unter 100 Kilometer liegt.
Um dem Elektroauto zum Durchbruch zu verhelfen, müssten also nicht nur Stromzapfsäulen errichtet, sondern vor allem Informationsdefizite abgebaut werden, etwa durch Foren und Informationsportale. Laut Mobilitätsforscher Bobeth würden eine konstruktive Berichterstattung in den Medien sowie öffentliche Vorbilder seine Verbreitung maßgeblich unterstützen. „Das Auto ist nach wie vor ein Statussymbol. Elektroautos entsprechen mit ihrem grünen und zukunftsträchtigen Image dem Trend eines nachhaltig orientierten Lebensstils." Aber noch viel wichtiger ist die Umstellung der Unternehmensflotten. Fast zwei Drittel der Neuzulassungen sind gewerblich. Hier liegt das Potenzial für den Durchbruch! E-Autos als Firmenwagen sind steuerlich begünstigt und können hervorragend in ein innovatives Mobilitäts- und Energiekonzept des Unternehmens integriert werden. Denn eines muss unmissverständlich klargestellt werden: Noch mehr als bei Autos mit Verbrennungsmotoren gilt es, Elektroautos vielseitig einzusetzen, um die Kapazität der Batterien optimal zu nutzen. Nutzt man das Auto etwa nur für eine kurze Strecke zum Arbeitsplatz und verbringt dort die Zeit auf dem Parkplatz stehend, kann es auch dort in einem Car-Sharing Verbund oder vor Ort als intelligenter Stromspeicher eingesetzt werden. Car-Sharing, der flexible Einsatz unterschiedlicher Verkehrs- und Transportmittel, intelligente Ladeinfrastruktur mit Einbeziehung der Wetterprognosen und ein verändertes Verhältnis zu Besitz und Nutzung sind damit Gebote der Zukunft.
Unterwegs schnell laden
Falls dann doch weitere Strecken mit einem Elektroauto zurückgelegt werden müssen, sind Ladeangebote entlang der Hauptverkehrsachsen wichtig. Hier liefern sich große Anbieter ein Rennen um die Vorherrschaft in Sachen Schnell-Ladung. Tesla hat zur Zeit mit seinem Ladenetz von Super-Chargern die Nase vorn, doch die deutsche Autoindustrie will dieses langfristig lukrative Feld und den damit verbundenen Technologievorsprung nicht der Konkurrenz überlassen. Um sich vom Pionier in Sachen E-Mobilität abzugrenzen, setzt man auf 800-Volt-Ladetechnik und Grünstrom. Die dafür gegründete IONITY GmbH ist ein Joint Venture der Automobilhersteller BMW Group, Daimler AG, Ford Motor Company sowie des Volkswagen Konzerns mit den Marken Audi und Porsche. Das erklärte Ziel ist, bis 2020 an 400 Standorten ein Netz von High-Power-Charging-Ladestationen für Elektroautos entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen aufzubauen und zu betreiben. Vorteil der neuen 800-Volt-Technik ist ein extrem schnelles Laden, wobei die Ladesäulen auch abwärts kompatibel sind und sein müssen. Die ersten Ultra-Schnelllader des australischen Herstellers Tritium sind bereits in Betrieb genommen. Die 100 in Deutschland geplanten Ladesäulen werden mit echtem Ökostrom von Polarstern versorgt und sollen dabei künftig Ladestärken von bis zu 350 Kilowatt ermöglichen, ein entsprechendes Elektroauto mit ausreichend starker Batterie vorausgesetzt. Aktuell hat Ionity 88 Ladeparks europaweit in Betrieb und 47 weitere sind im Aufbau.
Wer ist noch am Start?
Neben Ionity arbeitet eine ganze Reihe weiterer Unternehmen am Aufbau eines komfortablen und leistungsfähigen Ladenetzes. Hier sei beispielsweise e.on genannt, die konsequenterweise diesen Markt für sich entdeckt hat. Oder die Vispiron Systems GmbH, die vom Bau großer Photovoltaikanlagen bis hin zum Flottenmanagement eine enorme Bandbreite an visionären Dienstleistungen bietet. Sie hat erste 150-Kilowatt-Stationen gebaut, welche die sinnvolle Kombination von Freiflächenanlagen mit Stromspeicherzellen wirkungsvoll demonstrieren. Vor allem aber sind nun auch etablierte Konzerne wie Siemens auf den Zug aufgesprungen, und wo es vor ein paar Jahren kaum nennenswerte Investitionen gab, werden jetzt ernsthafte Summen aufgeboten. Es liegt auf der Hand, dass viel Kapital aus den Budgets der Automobil- und Energiewirtschaft kommt und noch kommen wird, denn andernfalls wäre die Zukunftsfähigkeit dieser Unternehmen mittelfristig gefährdet und langfristig wahrscheinlich unmöglich. Es sind jedoch nicht nur die großen Konzerne, die sich diesem komplexen Thema widmen. Gerade der innovative Mittelstand und eine Reihe von Start-ups liefern die dafür notwendige Technik oder Software. Die Entwicklung von Ladestationen, Stromspeicherzellen und intelligentem Energiemanagement wird rasant und engagiert durch diese Unternehmen vorangetrieben. Das Schnellladeunternehmen Fastned aus Holland ist hier ein Schrittmacher und erreichte bereits zum Jahresende 2018 die Gewinnschwelle mit seinem gesamten Netzwerk. Eines steht auf alle Fälle fest: Die Mobilität der Zukunft verändert sich rasant. Dabei entstehen neue Technologien, Geschäftsmodelle und Chancen für Start-ups. Es bleibt spannend.
Technik | Mobilität & Transport, 01.06.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.
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