Christoph Santner
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 06.09.2016
Das Neue denken in der Ideenschmiede Alpbach
Das Europäische Forum Alpbach setzt Impulse für Nachhaltigkeit
Das Europäische Forum Alpbach setzt Impulse für Nachhaltigkeit: 18 Tage lang dachten über 5.300 Teilnehmer aus 102 Nationen über eine „Neue Aufklärung" nach und vor. Aber es blieb nicht bei Visionen: Internet-Aktionen für den ländlichen Raum in Zeiten der totalen Digitalisierung bringen konkrete Erfolge.
Das idyllische tiroler Bergdorf Alpbach, eingerahmt von Bergketten, ist der perfekte Platz, um einen weiten Blick in die Zukunft zu werfen und neue Horizonte auszuloten. Wie jeden Sommer seit 1945 geht es hier darum, neue Perspektiven für Europa und die Welt zu entwickeln. Gerade in den gesellschaftlichen Verwerfungen unserer Tage sind starke und einigende Visionen unverzichtbar. So wie die historische Zeit der Aufklärung Zukunftsoptimisums und Fortschrittsglauben brachte, ist dieser Spirit auch heute ein Gebot der Stunde, um die vielfältigen globalen Herausforderungen zu meistern.„Geschichte wendet sich nicht von allein zum Besseren. Es braucht neugierige und enthusiastische Menschen, die der Skepsis und dem Zweifel der Gegenwart mutige Ideen und Tatkraft entgegensetzen," sagt Franz Fischler, Präsident des Forums und ehemaliger EU-Landwirtschaftskommissar. Auch in diesem Jahr wurde Alpbach seinem Ruf als Biotop neuer Denkweisen und mutiger Ideen wieder gerecht. Diese wurden neben hunderten Rednern aus allen Bereichen der Gesellschaft gerade auch von den 700 Studenten-Stipendiaten und mehr als 100 Künstlern mit entwickelt. So entstand über die Jahrzehnte eine Denkfabrik und Ideenschmiede, die ihresgleichen sucht. Viele der ehemaligen Stipendiaten sind heute Führungskräfte in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft – und kommen dann selbst immer wieder gerne nach Alpbach. Der Netzwerkfaktor dort ist nicht nur für Österreicher enorm.
Kraftfutter für’s Gehirn
Sowohl im nun erweiterten Konferenzzentrum, gut versteckt in den Berg hineingebaut, als auch in den Gasthöfen, Schulen und idyllischen Almhütten reihten sich Roundtables, informelle Gespräche und große Plenarsitzungen aneinander. Einzelne mehrtägige Foren über Technologie, Gesundheit, Wirtschaft, Finanzen Baukultur und Bildung zogen namhafte Experten und Vordenker aus aller Welt an: Vom MIT in Boston bis zu den Brüsseler Polit-Spitzen. So forderte Jean Claude Juncker für Europa einen Blick über den Tellerrand hinaus: „Wir sind nicht alleine auf der Welt!"
Grundtenor also: Im Zweifel zwar für Europa – dieses muss aber auf allen Ebenen erneuert werden. Nicht nur von den Politikern und Wirtschaftsführern, sondern von allen Bürgern. Dass dieses Europa durchaus kontroversiell gesehen und diskutiert wurde, bewies auch Griechenlands streitbarer Ex-Finanzminister und Polit-Popstar Prof. Yanis Varoufakis. Er warnte vor einem Zerfall Europas und postulierte, „dass der freie Markt alleine nicht funktioniert." Ebenso forderte er: „Die Fehler unserer Vorfahren aus den 30-er Jahren dürfen sich nicht wiederholen!" Damit die Arm-Reich-Kluft zwischen Staaten und sozialen Schichten nicht noch tiefer wird, setzt er sich für ein Grundeinkommen für Familien ein. Dazu sollten Firmenanteile in einen öffentlichen Fonds eingebracht werden, um von dort Ausschüttungen tätigen zu können.
Digitalisierung als Chance für den ländlichen Raum
Ein weiterer Schwerpunkt des diesjährigen Forums war die schöne neue Welt des digitalen Zeitalters. Gefahren und Chancen wurden heftig debattiert. „Das Internet erlaubt uns, an fast jedem Ort zu jeder Zeit miteinander zu diskutieren oder zu streiten," meint Franz Fischler. „Doch für eine richtige Streitkultur braucht es Orte wie Alpbach, an denen sich Menschen auf Augenhöhe treffen und sich begegnen können." Gerade hier zeigt sich, dass Alpbach nicht nur geistige Impulse setzt, sondern auch zupacken kann. Denn es wäre naiv zu glauben, dass die europaweit oft vernachlässigte Provinz überall so idyllisch wäre wie im tiroler Bergdorf.
Die Rolle des Internets als Motor für Lebensqualität und für wirtschaftliches Überleben im ländlichen Raum war deshalb eines der vielen Gesprächsthemen. „Alle Menschen am Land brauchen Zugang zum Internet und sollen es kompetent nützen können”, betonte die aus Tirol stammende und jetzt in Wien wirkende A1-CEO Margarete Schramböck.Der Bauer und die digitale Power
Österreichs größter Mobilfunkanbieter setzt konkrete Schritte, um die digitale Kluft zwischen Stadt und Land zu schließen. So investiert A1 nicht nur massiv in den Breitbandausbau am Land, sondern tourte mit der Schulungs-Initiative „Internet für alle" bereits durch mehr als 160 Gemeinden. In Summe besuchten bereits rund 100.000 Teilnehmer die kostenlosen Workshops. Damit sollen Landbewohnern mehr Chancen geboten werden, vor Ort die eigene Existenz zu stärken. Das gelingt nicht nur über verbesserte Online-Buchungen von Urlaub am Bauernhof und über web-basierte Bestellsysteme für den virtuellen Hofladen. Auch das Thema Farm-Management, u.a. für einen nachhaltigen Ressourceneinsatz, wird in der Landwirtschaft immer wichtiger. Die richtige Fütterung und ein besserer Maschineneinsatz lassen sich digital optimieren. So soll der Bauer die Power des Internets besser nützen können, gerade um unter den schwierigen Produktionsbedingungen in den Alpen durch Konzentration auf Nachhaltigkeit und Bio-Erzeugung auch europaweit noch mithalten zu können. CEO Schramböck: „Wir machen nicht nur Netze, sondern auch die Menschen fit für die Digitalisierung". So festigt Alpbach nicht nur seinen Ruf als führende alpenländische Ideenschmiede, sondern setzt auch Akzente für die Menschen vor Ort. Damit es dort auch in hundert Jahren nicht nur ein weit ausstrahlendes Europäisches Forum gibt, sondern auch noch eine nachhaltige Bewirtschaftung des Gebirgstales.
Weitere Informationen finden Sie unter www.alpbach.org/de/.
Christine Papadopoulos und Christoph Santner
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