Es geht auch anders! 

Nachhaltigkeitspioniere krempeln die Smartphone-Branche um

Jedes Jahr ein neues Smartphone, das alte landet in der Schublade. Und das, obwohl die Produktion mit massiven Umweltschäden und schlechten Arbeitsbedingungen einhergeht. Doch es geht auch anders: Pionierunternehmen zeigen neue Wege durch den Bezug von fairen Rohstoffen, längere Nutzungsdauer, vereinfachte Reparierbarkeit und ein Pfandsystem für die Geräte. Können sie damit den Markt verändern?

Familienbetrieb – die stolzen Gründer wollen mehr Nachhaltigkeit in die Branche bringen. © ShiftphoneNur jeder achte Deutsche benutzt sein Smartphone länger als zwei Jahre, das zeigen Zahlen des Branchenverbands Bitkom. Dabei gehen Handys mit einer Vielzahl von Nachhaltigkeitsproblemen entlang des gesamten Lebenszyklus einher: Die elektronischen Bauteile beinhalten Konfliktmineralien und seltene Erden, die Geräte selbst werden oft unter schlechten Arbeitsbedingungen gefertigt und der weltweite Ressourcenverbrauch ist enorm. Durch ihre kurzen Innovationszyklen fördern die Hersteller den häufigen Wechsel. Darüber hinaus sind die Geräte oft nicht reparierbar oder ein attraktives Reparaturangebot der Hersteller fehlt. Zusammen mit fehlenden Software-Updates verringert das die Nutzungsdauer zusätzlich. Und auch die Ressourcen-Rückgewinnung ist problematisch, da sich Mobiltelefone nur teilweise recyceln lassen und ihren Lebensabend wahrscheinlich zu Milliarden in Schubladen verbringen.

Innovationsgeist von KMUs
Hier ist Veränderung angesagt. Oft sind es kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die solche Missstände beseitigen wollen und dazu radikale Nachhaltigkeitsinnovationen entwickeln. Auch eine wachsende Zahl an Start-ups hat einen klaren Fokus auf Nachhaltigkeit. Kleinere und junge Unternehmen sind hier auch klar im Vorteil, denn sie sind flexibler und können interne Veränderungen schneller umsetzen. Als Pioniere können sie kleinere Marktnischen besetzen, die für größere Firmen uninteressant erscheinen. Eine Studie des Centre for Sustainability Management (CSM) zeigt: In der Smartphone-Branche gibt es mehr nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen als der erste Blick vermuten lässt. Viele lokale Reparaturbetriebe bringen defekte Geräte wieder auf Trab, im lukrativen Zweitmarkt tummeln sich millionenschwere Start-ups, die aufbereitete Smartphonesanbieten und es gibt Hersteller, wie zum Beispiel Fairphone oder die Shift GmbH aus Hessen, die sich gar an die Produktion neuer Geräte heranwagen und damit Zeichen setzen.

Pionier in der Smartphone-Branche
Besucher sind in der Fabrik willkommen. © Lin Shii Das junge Familienunternehmen Shift spricht mit derzeit zwei Modellen der eigenen Shiftphones-Reihe nachhaltigkeitsorientierte Marktsegmente an – weitere Modelle sind in Planung. Äußerlich sind Shiftphones nicht von konventionellen Smartphones zu unterscheiden und auch die Fertigung erfolgt in China. Doch anders als Fairphone (forum berichtete) legt Shift den Fokus seiner Nachhaltigkeitsbemühungen nicht auf den Rohstoffbezug, sondern auf die noch immer stark manuell geprägte Endfertigung der Geräte. Shift montiert deshalb in einer eigens eingerichteten Manufaktur in Hangzhou (China), um bessere Arbeitsbedingungen umsetzen zu können. Eine Zertifizierung hierfür steht jedoch noch aus. Im Gegensatz zu den etablierten Herstellern zielt Shift durch ein modulares Produktdesign auf eine möglichst lange Nutzungsdauer der Geräte ab. Beim Gerätedesign werden deshalb laufend Reparaturstatistiken einbezogen. So können Nutzer häufig auftretende Reparaturen, wie beispielsweise einen Akkutausch oder eine Displayreparatur, selbst durchführen. Ein passender Schraubendreher ist bereits im Lieferumfang enthalten. Unterstützung gibt es durch eigens vom Hersteller angefertigte Video-Anleitungen. Eine zusätzliche Modularisierung der Hauptplatine soll darüber hinaus auch komplexere Reparaturen durch Shift-Techniker ermöglichen. Das Produktdesign ist somit zweistufig modular. Reparatur-Dienstleistungen und Ersatzteilverkauf sind Teil des Geschäftsmodells von Shift. Zusätzlich wird in der Grundausstattung auf ein Ladegerät verzichtet, das die meisten Nutzer sowieso schon besitzen.

Modularität transformiert Lieferketten
In der Endfertigung werden alle Komponenten gesteckt oder geschraubt. © Ferdinand RevellioDas modulare Produktdesign hat weitreichenden Einfluss auf die Lieferkette und die Produktion. Die Endfertigung in der kleinen Manufaktur wäre ohne ein Baukastensystem nicht so leicht umsetzbar. Zwar wird auch bei Shift am Fließband gearbeitet, doch jeder Mitarbeiter beherrscht jeden Produktionsschritt und es wird häufiger durchgewechselt. Durch die Steck- und Schraubverbindungen kommt die Endfertigung ohne Lötarbeiten und Chemikalien aus. Dies ermöglicht den Verzicht auf Schutzausrüstung und schafft ein angenehmeres Arbeitsumfeld. Das Baukastensystem vereinfacht aber auch das Lieferantenmanagement, da Bauteile teilweise über Modellreihen hinweg kompatibel sind. In der schnelllebigen Technologiebranche sieht sich Shift durch das modulare Design aber auch vielen Trade-offs ausgesetzt. Bauteile, für die es durch das eigene Design oft Sonderanfertigungen bedarf, veralten schneller und Lieferengpässe bei Ersatzteilen können sich negativ auf die Lebensdauer der Geräte auswirken. Es gibt auch Komponenten, bei denen auf den konventionellen Massenmarkt zurückgegriffen werden muss, wie zum Beispiel beim Hauptprozessor.

Geschlossene Produkt- und Materialkreisläufe als Beginn des Wandels
Einzigartig im Markt ist jedoch das Pfandsystem von 22€ pro Shift-Smartphone, das auch für defekte Geräte erstattet wird. Damit kommen diese wieder zurück zum Hersteller und können gezielt aufbereitet werden, funktionsfähige Ersatzteile können wiederverwendet werden. Dies soll in Zukunft geschlossene Produkt- und Materialkreisläufe ermöglichen, die Abhängigkeit von Lieferanten verringern und die Ersatzteilverfügbarkeit erhöhen. Als vergleichsweise kleinem Akteur ist der Handlungsspielraum von Shift jedoch eingeschränkt. So lassen sich die Produktion und damit der Ressourcenbezug bei größeren Zulieferern nur bedingt beeinflussen. Außerdem ist der Einkauf aufgrund von fehlenden Skaleneffekten teurer als für die Branchenriesen. Dennoch setzen kleine Hersteller Zeichen, und damit findet auch im Massenmarkt langsam ein Umdenken statt. Der Branchenriese Apple setzt auf bessere Recyclingfähigkeit und seit Neuestem zerlegt Recyclingroboter „Daisy" die Apple-Smartphones zerstörungsfrei in einzelne Module – ihr Verbleib ist allerdings ungewiss...


Ferdinand Revellio ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am CSM und Projektleiter des Innovationsverbundes Nachhaltige Smartphones. In seiner Promotion an der JKU Linz forscht er an der Schnittstelle zwischen Technik, Nachhaltigkeit und Management zu geschlossenen Produkt- und Materialkreisläufen in der Elektronikindustrie.
Simon Norris ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am CSM. In seiner Forschung widmet er sich der Frage, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsherausforderungen durch ihr Geschäftsmodell adressieren können.

Integration von Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft
Engagierte Pioniere bieten über ein nachhaltiges Geschäftsmodell Alternativen zu bestehenden Produkten und Dienstleistungen an. Die gesamte Geschäftslogik – auch Lieferketten und Produkt-Lebenszyklen – wird dabei auf Sozial- und Umweltprobleme hin geprüft. Es gilt, Nachhaltigkeits- und Geschäftsaktivitäten im Geschäftsmodell intelligent zu integrieren, um einen Mehrwert für Stakeholder, Kunden, die Umwelt und damit letztlich auch für das Unternehmen zu schaffen. Neue, nachhaltige Geschäftsmodelle können durch die systematische Kombination von Produkten und Dienstleitungen entstehen. Ein Beispiel hierfür ist das Bike-Sharing, das durch flexible Fahrradleihe umweltfreundliche innerstädtische Mobilität bietet.
 
Markttransformation durch Interaktion
Mit wachsendem Markterfolg entwickeln sich die Pioniere aus der Nische. Dadurch wird auch der Massenmarkt auf das Geschäftsmodell aufmerksam. Akteure des konventionellen Massenmarktes reagieren und interagieren mit den erfolgreichen Pionieren. Dies führt zu einem Nachhaltigkeitswandel des Massenmarktes. Auf der einen Seite kann ein Nachhaltigkeitspionier wachsen, Marktanteile erobern und in den Massenmarkt skalieren. Auf der anderen Seite können konventionelle Firmen versuchen, den Pionier zu imitieren oder aufzukaufen. Die Nachhaltigkeitspioniere haben also auch einen indirekten Einfluss, der über ihren direkten Marktanteil hinausgeht Außerdem verändert ihr Bedarf an nachhaltigen Rohstoffen, wie zum Beispiel der Einsatz von Fairtrade-Gold bei Fairphone, Lieferketten und damit den Markt.

Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS)
Als Teil des seit 2015 von der Volkswagen Stiftung geförderten Transferprojektes eCoInnovateIT wurde unter akademischer Leitung von Prof. Dr. Erik G. Hansen (Johannes Kepler Universität Linz) und Prof. Dr. Stefan Schaltegger (Centre for Sustainability Management der Leuphana Universität Lüneburg) der Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS) gegründet. Darin entwickeln Akteure aus der Smartphone-Wertschöpfungskette gemeinsam nachhaltigere Geschäftsmodelle.
 
Die Analyse und Weiterentwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle wird am CSM auch im MBA Sustainability Management gelehrt und im vom BMBF geförderten Verbundprojekt MoDeSt (Produktzirkularität durch modulares Design – Strategien für langlebige Smartphones) in Kooperation mit dem Fraunhofer IZM, der TU Berlin, der JKU Linz, sowie den Unternehmen AfB und Shift vorangetrieben. 

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 04.12.2019
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