Hydrogen Dialogue 2024

Wie der aktuelle Niedergang der Automobilindustrie gestoppt werden kann

12-Punkte-Plan für Klimaschutz und Arbeitsplätze

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Deutschen Autobauern droht das Nokia-Schicksal: Sie setzen trotz verschärfter Klimakrise und der weltweiten Abkehr von schmutzigen Verbrennern wie nie zuvor auf klimaschädliche Stadt-Geländewagen - Auf der zur Hausmesse von BMW, Daimler und VW geschrumpften IAA liefern sich diese Hersteller ein absurdes Rennen um die meisten und größten SUVs - Weltweite Nachfrage nach innovativen Elektro-Pkws wird Herstellern aus den USA, Frankreich und Asien überlassen - Deutsche Autobauer boykottieren insbesondere Elektro-Pkw in der wichtigen Mittelklasse und verstärken sogar ihre Diesel-Offensive - Kein einziges deutsches Fabrikat unter den weltweit zwanzig meistverkauften Elektro-Pkws - DUH fordert Ausstieg aus dem Verbrenner bis 2025 und ruft Verbraucher zum 'Verbrenner-Fasten' auf

Deutschen Autobauern droht das Nokia-Schicksal: Sie setzen trotz verschärfter Klimakrise und der weltweiten Abkehr von schmutzigen Verbrennern wie nie zuvor auf klimaschädliche Stadt-Geländewagen © Riedelmeier, pixabayDie Dramatik des aktuellen Niedergangs der deutschen Automobilhersteller - der Schlüsselindustrie Deutschlands mit über 800.000 Arbeitsplätzen - zeigt sich nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) an der nahezu kompletten Absage internationaler Autobauer für die ehemals weltgrößte Automesse IAA in Frankfurt. Innerhalb weniger Jahre ist diese zu einer regionalen Hausmesse für BMW, Daimler und Volkswagen zusammengeschrumpft. Die falsche Schwerpunktsetzung auf Klimakiller-Fahrzeuge führt nicht nur zur Absage anderer europäischer, asiatischer und innovativer US-Autobauer, sondern zeigt auch das zunehmende Desinteresse internationaler Automärkte an den veralteten und übermotorisierten Verbrennern.

Als gebe es keine sterbenden Wälder, schmelzenden Gletscher und vergiftete Luft in den Innenstädten, zelebrieren die deutschen Autokonzerne mit dem SUV als Stadt-Geländewagen das wohl absurdeste Mobilitätsangebot auf deutschen Asphaltstraßen. Um den Besuchern zu erklären, warum sie geländegängige, große und schwere SUVs benötigen, bauen BMW, Daimler und VW sogar einen 4.000 Quadratmeter großen "IAA Offroad Parcours inmitten von Frankfurt um pure Action und Fahrspaß" mit Klimakiller-SUVs erleben zu können.

"Mit Werbemillionen inszenieren sich BMW, Daimler und vor allem VW gerade angesichts ihres sich aktuell zunehmenden Niedergangs als Klimaversteher und kündigen zahlreiche Umwelt-Innovationen an. Das erinnert fatal an die vermeintlich 'grüne' IAA des Jahres 2007. In Wirklichkeit treten die Hersteller bei alternativen Antrieben weiter auf die Bremse. Aus der Erfahrung mit den nicht eingehaltenen Versprechungen bewerten wir nur die tatsächlich bestellbaren Modelle und nicht die für die Zukunft versprochenen Serienfahrzeuge, Prototypen und Design-Studien", so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

Besonders erschreckend ist die Situation nach Ansicht der DUH bei den batterieelektrischen Fahrzeugen. Unter den weltweit zwanzig meistverkauften Elektro-Pkw des Jahres 2018 findet sich kein einziges Modell eines deutschen Herstellers. Zudem hat sich in den vergangenen Monaten das Angebot an reinen Elektro-Pkw verringert. Aktuell können nur noch drei Modelle konfiguriert und geliefert werden: der in die Jahre gekommene i3 von BMW als einziger deutscher Elektro-Kompakt-Pkw und zwei schwere und sündhaft teure Elektro-SUVs, der Mercedes EQC und der Audi E-Tron. Drei andere, im In- und Ausland bekannte deutsche Elektro-Modelle können aktuell nicht einmal mehr bestellt bzw. konfiguriert werden: Still und heimlich wurden der Elektro-Smart, der E-Golf und der E-Up aus dem jeweiligen Konfigurator entfernt.

Selbst bei den wenigen für 2020 angekündigten neuen reinen Elektro-Modellen ist in der volumenstarken Mittelklasse kein deutsches Elektrofahrzeug geplant. Kia, Hyundai und Tesla mit dem Model 3 definieren den aktuellen Standard.

"Die heute bestell- und verfügbaren Modelle der deutschen Autokonzerne zeigen das ökologische, aber nun auch nicht mehr zu leugnende industriepolitische Desaster einer gescheiterten Mobilitätspolitik von Autokanzlerin Angela Merkel und ihrer industriehörigen Verkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheuer. BMW, Daimler und VW setzen weiterhin auf immer größere, schwerere und klimaschädliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren - und die von ihnen ferngesteuerte Bundesregierung lässt sie gewähren", so Resch weiter.

Aktuell leisten sich die deutschen Hersteller einen absurden Wettbewerb um den größten und längsten SUV: Die neuesten Modelle passen nicht mehr in normale Parkbuchten und belegen in der Stadt oft zwei Parkplätze. Mercedes übertrumpft mit dem 5,21 m langen GLS Monster-SUV den zuvor kurzzeitig größten BMW X7. Da der Mercedes GLS zu breit für Waschstraßen ist, knickt er seine Räder dort nach innen ein. Das sind die absurden 'Innovationen', auf die deutsche Autobauer auch noch stolz sind.

"Wenn die Bundesregierung BMW, Daimler und VW keine Radikalkur in Richtung Zukunftsfähigkeit und Umstieg auf alternative Antriebe verordnet, werden diese in wenigen Jahren nur mehr ein Nischendasein als Hersteller für Oldtimer-Ersatzteile spielen. Der Rückstand auf die führenden Hersteller von batterieelektrischen Modellen beträgt zwischenzeitlich fünf bis sieben Jahre. Die Digitalisierung scheitert im analogverliebten Deutschland bereits am fehlenden Tempolimit. Erst durch weltweit weitgehend einheitliche Höchstgeschwindigkeiten haben die deutschen Autobauer überhaupt eine Chance, ihren Rückstand in der Entwicklung und Erprobung teilautonomer Fahrassistenzsysteme aufzuholen. Die Bundesregierung muss sich endlich eingestehen, dass sie mit ihrer bisherigen Industriepolitik und vielen Fördermilliarden gescheitert und mitverantwortlich dafür ist, dass die deutschen Autokonzerne mit Vollgas auf eine Betonmauer zurasen", kritisiert Resch weiter.

Die DUH fordert von den Autokonzernen einen radikalen Modellwechsel und freiwilligen Stopp der Entwicklung neuer schwerer SUV-Modelle. Die dadurch freiwerdenden Ingenieursteams sollten mit der Entwicklung von Elektrobussen und batterieelektrischer Pkw- und Nutzfahrzeuge betraut werden. "Immer größere und durstigere Geländefahrzeuge sind eine Kampfansage an die Mobilitätswende und sollten zukünftig dem Revierförster in Berchtesgarden vorbehalten sein", so Resch.

Dass Deutschland seine Klimaschutzziele für 2020 drastisch verfehlt, ist auch auf die auf kurzfristigen Profit angelegten Fehlentscheidungen für rückständige, schmutzige Technik in den Zentralen der hiesigen Autokonzerne zurückzuführen. Einzig im Verkehrssektor bleiben die CO2-Emssionen gleich. Seit zwei Jahren steigen die CO2-Emissionen von Neuwagen wieder an.

"Wir steuern mit Vollgas auf den Klima-Kollaps zu. Die Gesellschaft hat die Dringlichkeit, zu handeln erkannt - im Gegensatz zur Bundesregierung. Die einzige Antwort von Verkehrsminister Andreas Scheuer sind mutlose aktionistische Maßnahmen. Der Versuch, die Busspuren in unseren Städten mit Pkws und E-Scootern zu verstopfen, ist ein Beispiel für seinen fortgesetzten Boykott der Verkehrswende. Was wir stattdessen brauchen ist der große Wurf. Da die Autokonzerne von sich aus nicht umsteuern, fordern wir die Bundesregierung auf, den Ausstieg aus dem Verbrenner 2025 zu beschließen und so ein klares Signal an die Autokonzerne zu senden, dass sich die Bundesregierung nicht länger aus den Vorstandszentralen fernsteuern lässt. Nur so werden die Autoindustrie wieder auf zukunftsweisenden Kurs gebracht und die Klimaschutzziele erreicht", sagt Barbara Metz, Stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der DUH.

Nach Ansicht der DUH ist ein Grund der aktuellen Krise der deutschen Autobauer auch das verloren gegangene Vertrauen. Um dieses speziell bei Autokäufern wiederherzustellen ist eine schonungs- und lückenlose Offenlegung aller illegalen Abschalteinrichtungen in den über 11 Millionen betroffenen Diesel- Fahrzeugen ebenso notwendig, wie die Offenlegung der behördlichen CO2- und Stickstoff (NOx)-Messprotokolle durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Außerdem fordert die DUH ein klares Bekenntnis der Diesel-Konzerne zur Hardware-Nachrüstung bei allen Betrugs-Diesel.

"Auch das konspirativ zwischen Industrie und Politik stattfindende Falschspiel bei den Spritverbrauchs- und CO2-Angaben muss ein Ende finden. Die Käufer von Neufahrzeugen dürfen nicht erst mit dem Steuerbescheid über die korrekten CO2-Werte informiert werden, sondern bereits beim Fahrzeugkauf", so Metz weiter.

Norwegen, Dänemark, Frankreich oder China haben den Ausstieg aus dem Verbrenner bereits beschlossen. Der Verbrenner-Ausstieg muss durch ein auf effiziente Elektrofahrzeuge ausgerichtetes Ordnungsrecht eingeleitet sowie einer entsprechenden Steuer- und Anreizpolitik begleitet und unterstützt werden. Ein ernstgemeinter und schneller Einstieg in die alternativen Antriebe muss sich ausschließlich auf batterieelektrische Antriebe und Entwicklungen beschränken.

Das von der Bundesregierung 2008 formulierte Ziel und die von den Autokonzernen als Gegenleistung für viele Milliarden Fördermittel versprochenen eine Million E-Fahrzeuge bis 2020 werden nicht erreicht. Der Bestand an reinen Elektro-Pkw auf deutschen Straßen zum Jahresbeginn 2019 betrug gerade 83.200 Fahrzeuge. Angesichts 47,1 Millionen insgesamt zugelassener Pkws sind dies nicht einmal 0,2 Prozent. Von 2008 bis 2019 ist zudem die Zahl der Pkws mit Verbrennungsmotor um weitere 5,9 Millionen Fahrzeuge angewachsen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wären laut Umweltbundesamt 12 Millionen E-Fahrzeuge bis 2030 nötig.

"Die Verbraucher fordern wir auf, ein deutliches Signal an die Hersteller zu senden und keine Neuwagen mehr ohne effizienten Elektromotor zu kaufen. Sie können sich bereits heute aus einem immer vielseitigeren Angebot an Elektrofahrzeugen bedienen. Alternativ sollten sie ihr aktuelles Fahrzeug so lange weiter nutzen. Wir drängen daher vehement darauf, dass bereits zugelassene Diesel-Pkw mittels Hardware-Nachrüstung überall fahren dürfen", so Metz.

12-Punkte-Plan für Klimaschutz und eine zukunftsfähige Automobilindustrie

Wie die deutsche Automobilindustrie ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen muss
  1. Die deutschen Automobilhersteller legen noch vor der Eröffnung der IAA im September 2019 gegenüber der Öffentlichkeit und den 11 Millionen betroffenen Besitzern von Diesel-Pkw alle verbauten Abschalteinrichtungen (defeat devices entsprechend der EU-Verordnung 715/2007) offen, und zwar unabhängig davon, ob sie diese für legal halten oder bereits von Gerichten oder Behörden als illegal eingestuft wurden.
  2. Die Automobilkonzerne erklären vor der Eröffnung der IAA ihr Einverständnis, dass das Bundesverkehrsministerium (BMVI) und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) alle relevanten Diesel-Akten und vor allem alle Messprotokolle der realen Abgas- wie CO2-Emissionen der vom Diesel-Abgasbetrug betroffenen Fahrzeuge veröffentlicht werden. Die DUH klagt seit fast vier Jahren auf deren Offenlegung und hat in allen Instanzen die Verfahren gewonnen. Das BMVI und KBA weigern sich jedoch unter Hinweis auf die Dieselkonzerne, die Urteile umzusetzen.
  3. Die deutschen Autokonzerne verpflichten sich noch vor Eröffnung der IAA, an allen 11 Millionen Diesel-Pkw der Abgasstufe Euro 5+6 eine für die Besitzer kostenfreie Hardware-Nachrüstung durchzuführen. Diese Fahrzeuge sind von Diesel-Fahrverboten im In- wie Ausland befreit.
  4. Die Autokonzerne verpflichten sich zur Einstellung der Entwicklung bzw. einem Verkaufsstopp von besonders klimaschädigenden SUV-Modellen.

Was die Bundesregierung im September im Klimakabinett beschließen muss
  1. Klares Signal an die Autokonzerne und Sicherstellung einer ausreichenden Nachfrage: Keine Neuzulassung von reinen Verbrenner-Pkws in Deutschland ab dem 1.1.2025.
  2. Umstrukturierung des Kraftfahrt-Bundesamts: (Rück-)Übertragung der Zuständigkeit für die Kontrollen zur Einhaltung von CO2- oder Abgasvorschriften im realen Betrieb auf der Straße an das Umweltbundesamt.
  3. Verhängung von 5.000 Euro Ordnungsstrafe pro Betrugsdiesel gegenüber allen in- wie ausländischen Herstellern bzw. Importeuren und damit einhergehend auch Beendigung eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU.
  4. Beendigung der Täuschung von aktuell über 3 Millionen Fahrzeugkäufern, denen die CO2-Emissionen erst nach der Zulassung mit dem Kfz-Steuerbescheid mitgeteilt werden.
  5. Unmittelbar wirksame Anreize für die Automobilindustrie, effiziente und attraktive batterieelektrische Fahrzeuge zu entwickeln: Beendigung der Dieselkraftstoff-Subventionierung sowie eine Änderung der Kfz-Steuer mit einer Bonus-Malus-Regelung entsprechend der realen CO2-Emissionen.
  6. Einführung eines Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen, Tempo 80 außerorts und Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in der Stadt, um die Wettbewerbsfähigkeit von E-Fahrzeugen zu verbessern, aber auch, um die Digitalisierung bezüglich teilautonomer Fahrassistenzsysteme überhaupt erst zu erleichtern bzw. zu ermöglichen.
  7. Angesichts 60 Prozent gewerblicher Neuzulassungen in Deutschland: Keine Absetzbarkeit von Dienstwagen, deren CO2-Ausstoß höher ist als der jeweilige EU-Jahreszielwert. Bewertung insbesondere der Plug-In-Hybride an ihrem CO2-Ausstoß mit leerer Batterie.

Was der Verbraucher tun kann
  1. Um ein klares Signal an die Industrie zu senden und die Automobilkonzerne zu unterstützen, die effiziente Elektrofahrzeuge anbieten: Die DUH ruft Verbraucher zu einem 'Verbrenner-Fasten' auf, d.h. keine neuen Fahrzeuge mit reinem Verbrennungsmotors mehr zu kaufen. Idealerweise Verzicht auf einen Pkw und Nutzung von Bahn, Bus, Straßenbahn und Fahrrad. Falls dennoch ein Pkw angeschafft werden soll: Beschränkung auf Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb und niedrigem Stromverbrauch oder den Neukauf so lange herauszögern, bis ein geeignetes Fahrzeug mit alternativem Antrieb angeboten wird.
Kontakt: Ann-Kathrin Marggraf, DUH-Pressestelle | presse@duh.de | www.duh.de

Technik | Mobilität & Transport, 19.08.2019

     
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