"Ein Vertrag, sie alle zu knechten"

Energiekonzerne verklagen Staaten vor geheimen Schiedsgerichten auf US$35 Milliarden Schadenersatz

Eine neue Studie zeigt den beispiellosen Einfluss, den der Energiecharta-Vertrag Investoren in fast 50 Ländern verleiht – und enthüllt seine drohende Ausweitung.

Auf Basis eines kaum bekannten internationalen Vertrags, der droht, die Energiewende zu blockieren, verklagen Investoren Regierungen derzeit auf 35 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz aus Steuergeldern – mehr als die geschätzten jährlichen Kosten für die Anpassung Afrikas an den Klimawandel.

In der ersten detaillierten Studie ihrer Art haben Corporate Europe Observatory (CEO) und das Transnational Institute (TNI) alle bekannten Investor-Staat-Klagen aus 20 Jahren Energiecharta-Vertrag (ECT, Energy Charter Treaty) untersucht. Fast 50 Länder haben das Abkommen ratifiziert – viele weitere wollen unterzeichnen.

Auf Basis des ECT können ausländische Investoren Staaten für zahlreiche staatliche Maßnahmen verklagen, die ihre Profite schmälern. Selbst Schadenersatz für „entgangene zukünftige Profite" kann eingeklagt werden – also Geld, das noch nicht investiert, aber möglicherweise in Zukunft eingenommen worden wäre.

Die 96-seitige englischsprachige Studie „One Treaty to Rule them all" ("Ein Vertrag, sie alle zu knechten”) zeigt, wie Öl-, Gas- und Kohle-Konzerne den ECT und andere internationale Investitionsverträge bereits genutzt haben, um den deutschen Atomausstieg, Verbote neuer Ölbohrungen, Steuern auf fossile Brennstoffe und Umweltschutzmaßnahmen anzufechten.

Pia Eberhardt von CEO, eine der Autorinnen, sagte: „Der ECT verleiht Konzernen, die schon heute den Planeten zerstören und oft schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen haben, noch mehr Macht. Es wäre vollkommener Wahnsinn, wenn weitere Länder dem Vertrag beitreten würden, obwohl sie dringend Druck auf Konzerne ausüben müssten, Umweltzerstörungen zu beheben und im Interesse der Menschen vor Ort zu wirtschaften."

Cecilia Olivet von TNI, eine weitere Autorin der Studie, fügte hinzu: „Dieser Vertrag ist ein massives Hindernis für die Bekämpfung des Klimawandels. In einer Zeit, in der alle Anstrengung darauf gerichtet sein sollte, die Erderwärmung zu stoppen, ist kein Platz für ein Abkommen, auf Basis dessen Staaten verklagt werden können, wenn sie genau das versuchen. Jetzt ist der Moment gekommen, aus dem Vertrag auszusteigen."

Insgesamt sind Staaten schon 114 Mal auf Grundlage des ECT verklagt worden – in den letzten vier Jahren vor allem westeuropäische Länder. In 16 Klagen haben Investoren 1 Milliarde US-Dollar und mehr verlangt. In 61% der bereits entschiedenen Fälle begünstigte das Ergebnis den klagenden Investor.

Zu den emblematischen Klagen zählt die des schwedischen Energieriesen Vattenfall, der Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 4,3 Milliarden Euro verklagt; die Klage des britischen Ölkonzerns Rockhopper gegen ein Verbot von Offshore-Ölbohrungen an der italienischen Adriaküste; und Klagen gegen Bulgarien und Ungarn, die Energieprofite gedrosselt und auf eine Senkung der Strompreise gedrängt hatten. Die Schiedsindustrie erwägt ähnliche Klagen gegen Großbritannien, wo die Regierung eine Deckelung der Strompreise angekündigt hat.

Die Studie warnt vor zahlreichen weiteren ECT-Klagen, sollten Regierungen dringend notwendige weitergehende Maßnahmen gegen den Klimawandel und Energiearmut ergreifen. Dennoch soll er auf dutzende weitere Länder in Afrika, Asien, im Mittleren Osten und Lateinamerika erweitert werden – oft ohne öffentliche Debatte über die enormen politischen, rechtlichen und finanziellen Risiken des Vertrags.

Hintergrundinformationen:

Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine Recherche- und Kampagnenorganisation, die den privilegierten Zugang, den Konzern und ihre Lobbygruppen auf den politischen Entscheidungsprozess in der EU haben, aufdecken und zurückdrängen möchte.
 
Das
Transnational Institute (TNI) ist ein internationales Forschungsinstitut, das sich für einen gerechten, demokratischen und nachhaltigen Planeten einsetzt.

Der ECT wurde von fast 50 Staaten ratifiziert: Afghanistan, Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Großbritannien, Island, Irland, Japan, Kasachstan, Kirgisistan, Kroatien, Lettland, Lichtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldawien, Mongolei, Montenegro, Österreich, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tadschikistan, Tschechien, Türkei, Turkmenistan, Ukraine, Ungarn, Usbekistan und Zypern. Die Europäische Union ist als Ganzes ebenfalls Vertragspartei.
 
Die Staaten, die sich im Beitrittsprozess befinden, beinhalten: Jordanien, Jemen, Burundi, Pakistan, Serbien, Marokko, Swasiland, Tschad, Bangladesch, Kambodscha, Kolumbien, Gambia, Uganda, Nigeria und Guatemala.
 
Kontakt:
Pia Eberhardt, CEO, Co-Autorin der Studie, pia@corporateeurope.org | www.corporateeurope.org 


Gesellschaft | Politik, 13.06.2018

     
Cover des aktuellen Hefts

Jede Menge gute Nachrichten

forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2024 mit dem Schwerpunkt "Der Weg zum Mehrweg – Transport und Logistik"

  • Circular Cities
  • Kllimagerecht bauen
  • Kreislaufwirtschaft für Batterien
  • ToGo-Mehrwegverpackungen
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
25
APR
2024
Watervent
Funding in the Water Nexus
10623 Berlin
29
APR
2024
DIGISUSTAIN
B2B Konferenz & Networking Hub für Nachhaltigkeits-Pioniere
60327 Frankfurt am Main
06
JUN
2024
SustainED Synergy Forum 2024
SustainED Synergy – unser 6-Monate CSRD Consulting für Ihr Unternehmen!
73728 Esslingen am Neckar
Alle Veranstaltungen...
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Klima

Die Stromwende schreitet voran
Im Kreis Cochem-Zell ist ein virtuelles Kraftwerk entstanden
B.A.U.M. Insights

Jetzt auf forum:

Die Sonne ernten – only 'Made in China'?

Solarhersteller Meyer Burger kündigt Mitarbeitern und beschließt Aus in Freiberg/Sachsen

Deutschland summt!-Pflanzwettbewerb 2024:

"Nachhaltigkeit muss kein Verzicht sein"

Nachhaltig schön gestalten: Prima Klima für den Außenbereich

Econocom startet “Impact“:

Sticker Gizmo wählt NatureFlex™ als erneuerbares und kompostierbares Facestock-Material für seine Etiketten

Innovatives urbanes Wohnen mit Biome:

  • Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • Kärnten Standortmarketing
  • ECOFLOW EUROPE S.R.O.
  • toom Baumarkt GmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Global Nature Fund (GNF)
  • B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften