Hydrogen Dialogue 2024

Die Zukunft liegt uns zu Füßen

'Bringt den Kohlenstoff zurück in die Erde!'

Dieser Beitrag ist dem Sammelband "Zukunft gewinnen!" entnommen, den Ihnen die Forum-Redaktion als anregendes Weihnachtsgeschenk empfiehlt.
 
Das ist das Motto der so genannten regenera­tiven Agrikultur. Dieser neue Begriff kommt aus den USA, in Europa ist er noch weitgehend unbekannt. Die Grundidee: Beim Aufbau humusreicher Böden kann Kohlenstoff langfristig unterirdisch gebunden werden, also dort, wo er in Form von Öl, Gas und Kohle entnommen wurde und bei der Verbrennung als Kohlendioxid in die Atmosphäre ging.
 
Leguminosen sind wichtige Partner bei der regenerativen Landwirtschaft. Foto: byrev, pixabay.comBöden sind global gesehen der größte Speicher für CO2, größer noch als Ozeane und Wälder. Mit regenerativem Management könnten die weltweiten Agrarflächen den größten Teil der welt­weiten CO2-Jahresemissionen unschädlich machen, wenn nicht sogar mehr. Das UN-Umweltprogramm UNEP berechnete in seinem „Emissions Gap Report 2013", dass über 70 Prozent der Jahresemissio­nen damit kompensiert werden könnten. 

Darauf weist auch der Agrarwissenschaftler Timothy LaSalle hin. Der Direktor des renommierten Rodale Institutes in Pennsylvania hat das Konzept des regenerativen Landbaus maßgeblich mitgeprägt. Es gebe eine Methode für planetarisches „Geo-Engineering", die billig und überall anwendbar sei, so LaSalle, das sei die Photosynthese. Sie bringt Kohlenstoff in die ausgelaugte Erde zurück, wo er eine zentrale Rolle für Humusbildung und Förderung des Bodenlebens einschließlich Mykorrhiza-Pilzen und Bakterien spielt. Zudem kann man damit die Artenvielfalt erhöhen, gesunde Lebensmittel produzieren, Hunger bekämpfen und die Wasserhaltefähigkeit der Böden enorm verbessern. 

Regenerative Landwirtschaft ist mehr als „Bio".
Pflugloser Anbau, Mulchen mit Zwischenfrüchten, Kompostwirtschaft, Misch- statt Monokul­turen, all das gehört dazu. Und vor allem auch eine kluge Bewirtschaftung von Weidegründen, in die stickstoffbindende Leguminosen, auch Phacelia oder Sonnenblumen eingesät werden. Denn Gräser könnten mit ihrem gewaltigen unterirdischen Wurzelwerk gigantische Mengen Kohlenstoff bis zu vier Meter hinab in die Erde bringen. 

Pioniere wie die Soil Carbon Cowboys probieren die neuen Methoden in den USA derzeit mit großem Erfolg aus und schwärmen in einem Film auf „Vimeo", dass ihre Böden, Tiere und Pflanzen damit gesünder werden und sie selbst jede Menge Zeit und Geld sparen. 

In seinem Artikel „Regeneration of Soils and Ecosystems" zählt Ínigo Álvarez de Toledo ­mehrere Techniken auf, die zur regenerativen Agrikultur gehören: der biodynamische Anbau; die von Bill Mollison entworfene und von Sepp Holzer weiterentwickelte „Permakultur"; das „Holistische ­Management" von Viehherden und Weidegründen; „Keyline", das nichtinvasives Pflügen und Wasser­rückhaltung erlaubt; direktes organisches Säen; Agroforstsysteme. 

In einem White Paper mit dem Titel „Soil Carbon Restoration: Can Biology do the Job?" führt Jack Wittrege die Potenziale der regenerativen Landwirtschaft in allgemeinverständlicher Form aus. Jeder und jede kann dabei mitmachen und eigenhändig Böden wiederaufbauen, unter anderem mit der „Terra-Preta-Technik". Dabei werden organische Abfälle mit Pflanzenkohle vermischt und mit Milchsäurebakterien fermentiert – eine uralte Technik aus dem Amazonasgebiet, die den Kohlenstoff zurück in die Erde bringt und die fruchtbarsten Böden der Welt schaffen kann. Auch in Europa wird die Terra-Preta-Technik bei Gärtnerinnen und Landwirten immer beliebter. Pionierforschung leisten hier etwa das Ithaka-Institut im Schweizer Wallis und Terraboga im Botanischen Garten und in der Freien Universität von Berlin. 

Ronnie Cummins vom US-Verband Organic Consumers Association schwärmt denn auch von der „Regenerativen Revolution", weil sie die Boden-, Nahrungs- und Gesundheitskrise gleichzeitig lösen könne. Wenn man das globale Ziel anstrebe, die Erderwärmung unter zwei Grad plus halten zu wollen, dann müsse man jährlich global mindestens 0,4 Prozent des atmosphärischen Kohlenstoffs in die Erde zurückbringen. Und das sei auf diesem Wege erreichbar, zumal man damit „hunderte von Millionen ländlicher (und urbaner) Jobs" schaffen könne. 

Dafür ist es nötig, eine weltweite Koalition von Nahrungs-, Wald- und Klimabewegungen zusammenzubringen, eine „massive Graswurzelarmee von Erd-Regenerierenden: drei Milliarden Kleinbauern und Dorfbewohnerinnen, Rancher, Hirten, Waldbewohnerinnen, Stadtgärtner und indigene Gemeinden – assistiert von mehreren Milliarden bewussten Konsumenten und urbanen Aktivistinnen". Auch der Papst mit seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato Si" wird sich hier sicherlich gerne einreihen.

Der Boden der Tatsachen und Aktive, die ihn beackern
Zum internationalen Jahr des Bodens haben sich starke Allianzen gebildet, um den lebensbedrohli­chen Verlust fruchtbaren Bodens zu verhindern. Weltweit sehr aktiv ist die Save Our Soil ­Kampagne, initiiert vom EOSTA Bio-Pionier Volkert Engelsmann, mit prominenten Patinnen wie Sarah Wiener und Vandana Shiva sowie Unterstützern wie Nobelpreisträger Desmond Tutu, Julia Roberts, Renate Künast und dem alternativen Nobelpreisträger Hans Herren und dem Dalai Lama. 

Auf EU-Ebene kämpft die People 4 Soil Initiative, hierzulande durch Bernward Geier repräsentiert, mit 200 Partnerorganisationen für ein europäisches Bodenschutzgesetz und die Erklärung des Bodens zum Gemeingut. Sie sammelt dafür mindestens eine Million Unterschriften. 

In Deutschland sind es vor allem Klaus Töpfer mit seinem IASS-Institut für Nachhaltigkeit und die Heinrich-Böll-Stiftung, die sich für gesunde Böden einsetzen und gemeinsam einen Bodenatlas veröffentlicht haben. Das Bündnis Wir haben es satt, bestehend aus BUND, Campact, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Save our Seeds und vielen anderen, setzt sich mit seiner alljährlichen Großdemonstration in Berlin und anderen Aktivitäten für eine Agrarwende ein. 

Allen Aktivisten geht es um einen neuen Umgang mit dem Stoff, von dem wir alle leben und zu dem wir alle zurückkehren.
 
 
Ute Scheub ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Die taz-Mitgründerin arbeitet seit 1997 als freie Journalistin für verschiedene Medien und hat insgesamt 17 Bücher zu den Themen Umwelt und Nachhaltigkeit, Gender und Frieden veröffentlicht. Sie erhielt diverse Auszeichnungen, unter anderem den Alternativen Medienpreis für ihre Website www.visionews.net. Am liebsten schreibt sie Geschichten des Gelingens über mutige Menschen und ihre ökosozialen Erfolgsprojekte, unter anderem für die Website www.futurzwei.org der von Harald Welzer gegründeten Stiftung Zukunftsfähigkeit.

Umwelt | Wasser & Boden, 01.05.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2016 - Zukunft gestalten erschienen.
     
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