Emotion und Effizienz

Die B.A.U.M.-Jahrestagung 2014 setzte Impulse für Ökonomie, Nachhaltigkeit, Herz und Magen

B.A.U.M.-Preisverleihung 2014 © B.A.U.M./Rainer KantManchmal müssen erst Katastrophen geschehen, damit die Menschen aufwachen. Doch der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management gründete sich weit vor Tschernobyl, Peak Oil und Fukushima: Vor 30 Jahren rief Prof. Dr. Maximilian Gege Deutschlands erste überparteiliche Umweltinitiative der Wirtschaft ins Leben, die heute mit über 500 Mitgliedern das größte Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften in Europa ist. Zu diesem Jubiläum feierte der Verein am 29. und 30. September 2014 in der Handelskammer Hamburg ein ebenso emotional rauschendes wie fachlich interessantes Fest.

Zahlreiche bekannte Gratulanten gehörten zu den über 500 Gästen der diesjährigen B.A.U.M. Jahrestagung. Auch die diesjährigen B.A.U.M.-Umweltpreisträger spiegeln die Vielfalt der Möglichkeiten, sich für nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Ob in einem Unternehmen, in einer Institution, als Künstler, Medienschaffender oder Wissenschaftler: Jede(r) kann mit Engagement scheinbare Mauern zum Einstürzen bringen und mit Begeisterung andere für den gesellschaftlichen Wandel inspirieren. Getreu dem Tagungsthema "Mehr als Effizienz" gaben die Musiker von Voices4Soul, Salut Salon, die Söhne Mannheims und das Team der B.A.U.M. Consult den Tagungsgästen Seelenfutter. Dass B.A.U.M. weiterhin Treiber der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdebatte und der Veränderung in der Wirtschaft ist, zeigten die Beiträge der Tagungsreferenten mit hochaktuellen Themen, kernigen Statements und ungekannten Einblicken in ihre Unternehmens- und Forschungspraxis. forum hat die spannendsten Impressionen eingefangen:


Flexibilität wird neue Marktkomponente

In seiner Festrede gratulierte Prof. Dr. Klaus Töpfer B.A.U.M. zu seinen Verdiensten sowie dem 30-jährigen Jubiläum und zitierte den Volksmund: "Wenn Du Dich auf Deinen Lorbeeren ausruhst, trägst Du sie am falschen Körperteil". Effizienz sei ein wichtiger Treiber für den nachhaltigen Wandel. Genauso müssten aber auch Kreislaufmodelle, wie wir sie uns aus der Natur abschauen können, gefördert werden. Die dringend notwendigen Überlegungen zur Substitution bisheriger Modelle sollten einhergehen mit der Frage, ob die jeweilige Technik globalisierungsfähig ist. Im "Anthropozän", also dem Zeitalter, wo der Mensch die Beschaffenheit der Erde wesentlich prägt, stelle sich die Frage, ob wir von unseren industriellen Innovationen wirklich so pfadabhängig sind, dass wir früher oder später Climate- und Geo-Engineering (also die großtechnische Beeinflussung von Klima und Landschaften) brauchen, um zu überleben.

Der Fokus dürfe daher nicht nur auf technischen, industriellen Lösungen liegen: "Eine Green Economy braucht Green Citizens", so Töpfer. Nur ihr Bewusstseinswandel schaffe die Akzeptanz für Modelle wie die Sharing Economy, in der Bürger Güter lieber teilen als besitzen, oder die digitale Revolution, die dieses Teilen in Sekundenschnelle ermöglicht. Die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen bereite ebenso den Markt für diese neuen Formen des Wirtschaftens, wenn etwa Leasing durch hohe Rohstoffpreise attraktiver wird. Außerdem entstünden Märkte und Geschäftsfelder für Flexibilität, die als knappes, handelbares Gut in naher Zukunft mindestens so bedeutsam werde wie Effizienz selbst. Smart Grids, also intelligente Stromnetze, die Angebot und Nachfrage flexibel ausbalancieren, geben schon heute ein Beispiel dafür. Schließlich sprach sich Töpfer für die Emotionalisierung von Nachhaltigkeit aus. Freude und Schönheit würden aus der Diskussion um Zukunftsfähigkeit viel zu oft ausgeklammert, dabei kennen diese Aspekte keine "Effizienz". Kultur müsse daher als Determinante in das Nachhaltigkeitsmodell aufgenommen werden.


Schlankere Lieferketten sorgen für Transparenz

"Nachhaltiges Lieferkettenmanagement braucht branchenweite Dialoge mit allen Parteien, eine Harmonisierung von Standards und Qualifizierung über Lieferkettengrenzen hinweg", unterstrich Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), in ihrem Impulsvortrag. Am Beispiel des 4C-Standards für Kaffee, der bereits 25% des weltweiten Kaffeeangebots zertifiziert, machte sie diese Prinzipien deutlich. Kernziel des Standards sei es, Qualität und Produktivität zu steigern. Gleichzeitig würden ökologische und soziale Verbesserungen in der Lieferkette umgesetzt. Dieser ganzheitliche Ansatz mache die teilnehmenden Kaffeeunternehmen auch attraktiver für Investoren, getreu der Devise Robert Boschs: "Geld darf man verlieren. Den guten Ruf nicht". Letzterer stand für die involvierten Firmen bei den Katastrophen in den Textilfabriken Bangladeschs im Jahr 2013 jedoch auf dem Spiel. So entwickelten sie gemeinsam mit Non-Profit-Organisationen einen Kodex, den seither bereits 1.500 Firmen unterzeichneten. In der anschließenden Diskussion mit Branchenvertretern machte Hubertus Drinkuth von Systain Consulting deutlich, dass in der Lieferkette zehn- bis 20-mal so viel Ressourceneinsatz und Wertschöpfung liege wie in der letzten Produktionsstufe. Deutschland sei dabei einer der größten Nachfrager der Welt. Firmen müssten hier Verantwortung übernehmen.

Die Tchibo GmbH stellte sich dieser Aufgabe, indem sie die Strukturen flacher machte: Achim Lohrie, Direktor Unternehmensverantwortung bei Tchibo und diesjähriger B.A.U.M.-Umweltpreisträger, hat sich von mehr als 2.000 Lieferanten getrennt, um die Komplexität der Supply Chain zu reduzieren. Die gängigen Nachhaltigkeitsstandards ließen sich nicht auf die breite Produktpalette des Unternehmens anwenden; über 3.000 Lieferanten bzw. Produkte waren zuvor mit Tchibo verbunden. Über acht Jahre hinweg wurde die Zahl der Lieferanten auf 800 gesenkt, als Ziel nennt Lohrie 600. Auch ein Großunternehmen wie Siemens kämpft mit der Komplexität seiner Lieferkette. Der Konzern beschäftige allein 10.000 Mitarbeiter für die Lieferantenzertifizierung und -betreuung, sagte Michael Westhagemann, CEO Region Nord bei Siemens. Die Kette bis zum Ursprung nachzuvollziehen ist jedoch fast unmöglich, waren sich die Diskutanten einig: In Scope 3, also der 3. Stufe der Lieferkette, gäbe es fast nie Nachhaltigkeitsberichterstattung, so Drinkuth. Dafür seien Kooperativen, besonders im landwirtschaftlichen Sektor, gute Partner und Informationsgeber, unterstrich Lohrie. Doch wie lässt sich Nachhaltigkeit in der Lieferkette an Konsumenten kommunizieren? Ein verlässlicher Weg sei die Hintertür: Statt mit Nachhaltigkeit als Verkaufsargument zu werben, ließe sich heute viel leichter die digitale Neugier für die Warenketten wecken, etwa mit Apps für mobile Geräte, die die Reise von Produkten nachvollziehen.
 

Wärme und Verkehr: Auch für die Energiewende wichtig
 
© B.A.U.M./Rainer KantIn der Energie-Diskussionsrunde betonte Prof. Dr. Claudia Kemfert, dass die Energiewende nicht nur als Stromwende begriffen werden dürfe. Ebenso wichtig seien ein Wandel im Verkehrssektor sowie eine umfassende Wärme-Wende, da Wärme immerhin drei Viertel der Energieversorgung ausmache. Noch immer gebe die deutsche Volkswirtschaft über 100 Mrd. Euro jährlich für Öl und Gas aus, das oft aus politisch instabilen Regionen stamme. Die weitere Erforschung und Förderung erneuerbarer Energiequellen sei daher nicht zuletzt ökonomisch sinnvoll. Um mehr Investitionssicherheit für die Energiewende zu bieten, setze die Bundesregierung künftig nicht mehr auf gesetzliche Alleingänge, die die EU zu oft durchkreuzte, sondern auf einen First Mover Ansatz, sagte Thorsten Herdan, Abteilungsleiter für Energiepolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Auch der zuletzt fast zum Erliegen gekommene CO2-Handel müsse reformiert werden: Mit einem Cap für die Menge und Minimalpreisen, um wieder als Markt ernst genommen zu werden.

Die von den Bank- und Industrievertretern Stefan Löbbert (UniCredit) und Dr. Jens Wichtermann (Vaillant) geforderte volle Investitionssicherheit werde es aber nicht geben, da sich politische Rahmenbedingungen naturgemäß immer wieder änderten und ein Bestandsschutz für Gesetze wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht sinnvoll erscheint. Effizienzmaßnahmen müssten positiv belegt werden und freiwillig erfolgen, gerade im Immobilien-Bestand sollten Veränderungen niemandem aufgedrückt werden, so Herdan weiter. Im Neubau seien dagegen Anreize und Standards sinnvoll. Joachim Ganse, Director bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, schlug vor, die Erkenntnisse aus Instrumenten wie dem Wasser- und Abwassergesetz auf die Energiewende zu übertragen. So würden etwa Möglichkeiten zur Steueroptimierung als Anreiz für Unternehmen wirken.


Angst verdirbt die Shoppinglaune, Egoismus fördert Nachhaltigkeit

Am zweiten Kongresstag diskutierten Vertreter verschiedener Branchen zu den Herausforderungen der sich wandelnden Konsum- und Lebensstile. Marion Sollbach, Leiterin Nachhaltigkeit bei GALERIA Kaufhof unterstrich, dass bei ihren Kund(inn)en der persönliche Produktnutzen des Nachhaltigkeitsangebots im Vordergrund stehe. Ein Fünftel des Kosmetikumsatzes ihres Unternehmens werde bereits über Naturkosmetik realisiert. Besonders die starke Umsatzsteigerung im Segment der Männer-Bio-Baumwoll-Unterwäsche habe die Marktanalysten überrascht, da 80% der GALERIA-Käufer Kundinnen sind, die also gesunde Alternativen für ihre Partner wählen. "Wir müssen Nachhaltigkeit mehr sexy machen", forderte Joseph Wilhelm, Geschäftsführer von Rapunzel Naturkost. Vorbilder wie die Fernsehköche Attila Hildmann oder Sarah Wiener inspirierten die Konsumenten. Parallel müsse die Politik die konventionelle Landwirtschaft weniger unterstützen - noch immer flössen 50 bis 60 Mrd. Euro Subventionen der EU in ein veraltetes Agrarsystem.

"Wir haben zu fett gelebt", konfrontierte Sarah Wiener das Publikum gewohnt herausfordernd. "Wir müssen endlich lernen, groß, mutig, frech und frei zu denken, um die riesige Arm-Reich-Schere in unserer Gesellschaft zu überwinden". Ob Nachhaltigkeit mit Angst und schlechtem Gewissen behaftet Veränderungen bewirke, stellte Prof. Dr. Edeltraud Günther von der TU Dresden in Frage. Das Sündengefühl nehme den Spaß, stimmte Marion Sollbach zu. Besonders im Shoppingmodus wende sich der Konsument dann von diesen Botschaften ab und geht lieber woanders hin, wo ihm Freude geboten wird. "Wir müssen die egoistischen Motive für Nachhaltigkeit aufspüren", stellte auch Anja Dillenburg, Bereichsleiterin für CSR bei der OTTO Einzelgesellschaft, fest. Beim Essen sei das etwa die Frage: Was stopfe ich da eigentlich in mich rein? Bei der Kosmetik: Was gebe ich meiner Haut? Beim Carsharing: Was spare ich? Finde ich damit schneller einen Parkplatz, bin Teil einer Community? Auch bei Führungskräften sei die Incentivierung ein wichtiges Steuerungsinstrument für mehr Nachhaltigkeit, die so eine Emotionalisierung und persönliche Wertaufladung erfahre.


Wie kommuniziert man über Themen wie AIDS positiv?

"CSR ist keine einseitige Kommunikation, sondern ein Dialog", unterstrich Norbert Taubken, Geschäftsleitung der Scholz & Friends Reputation, in der Diskussionsrunde zu Kommunikation und Nachhaltigkeit. Das hieße nicht selten auch eine Neubewertung der Unternehmensstrategie. Diesen Schritt wagte auch Martin Risse. Als Vorstand der Barmenia Versicherungen hat er Nachhaltigkeit aus den Unternehmenszielen entfernt - und übergeordnet als "Unternehmensverantwortung" in die Präambel der Unternehmensleitlinien aufgenommen. Dass die Versicherung als erste bis 2016 klimaneutral sein will, ist dann nur eins der daraus abgeleiteten operativen Ziele. Kommunizieren ließe sich Nachhaltigkeit nur über Emotionen, ist Dr. Lutz Spandau, Vorstand der Allianz Umweltstiftung, überzeugt. Freude fühlen, Kultur erleben und Fürsorge empfinden seien die Schlüssel, um auch komplexe Themen wie die Lieferkette zu vermitteln. Die Eismarke Ben & Jerry's sei dafür ein positives Beispiel, sagte Merlin Koene, Director Communications Unilever DACH. Das Thema Fairtrade würde hier mit Witz und Augenzwinkern kommuniziert. Doch nicht alle Themen sprechen die Leichtigkeit des Herzens an. "Wie kommuniziert man hierzulande eine tödliche, umgreifende Seuche, die es - so glauben zumindest die meisten hier - nur woanders gibt?", fragte Michael Stich, der sich als Tennis-Olympiasieger mit seiner Stiftung für Aufklärung über AIDS einsetzt. Hier helfe die Messbarmachung von Entwicklungen und Fortschritten. Doch die weltweite AIDS-Statistik stagniert seit Jahren bei ca. 34 Millionen Betroffenen. Die meisten Länder haben Angst vor dem Messen, da diese Statistik Fehler aufdecken könnte. Die Diskussionsrunde ließ diese Herausforderung offen.

Wer Kundengelder Richtung Nachhaltigkeit lenken will, muss mit den Instrumentarien von Bonus und Malus umgehen können, wie das Beispiel der Barmenia Versicherungen zeigt. Sie wollten ihren Papierverbrauch senken und boten Kunden eine Preis-Reduzierung für papierlose Policen an. Doch nur 30% der Kunden nahmen dieses Angebot an. Erst als die Kommunikation umgekehrt wurde, funktionierte die Verbrauchssenkung: Ein Preis-Aufschlag für Papier-Policen machte den Kunden die Entscheidung für die papierlose Alternative leichter. Dieses Vorgehen hat jedoch seine Grenzen. Bei vielen Produkten funktioniere sie nur im Doppelpass-Spiel mit dem Handel, betonte Merlin Koene von Unilever. Kleinere, kompakte Deo-Dosen oder Kompaktwaschmittel seien gefloppt, weil die Läden ihre Vorteile dem Kunden nicht deutlich machten und er seine Kaufentscheidung weiter nach "viel hilft viel" ausrichtete. Das Dilemma der Wettbewerbssituation führt dazu, dass die Anbieter nicht geschlossen kommunizieren, leitete Norbert Taubken daraus ab. In der Gebrauchsphase entstünden 68% der Umweltauswirkungen von Konsumprodukten, sagte Merlin Koene von Unilever. Sein Unternehmen habe daher in einer Studie die "fünf Hebel des Wandels " identifiziert: Eine neue Verhaltensweise muss verständlich, einfach, erstrebenswert, lohnend und wiederholbar sein. Durch Gewohnheit und ein Bewusstsein für den persönlichen Nutzen könne nachhaltiges Handeln so auch von der Abhängigkeit von Belohnungssystemen loskommen.


Kilowattstunden protestieren nicht auf der Straße: Die Ressourcenrevolution kann kommen

Die Runde zu Ressourcen und Kreislaufwirtschaft diskutierte Lösungsansätze gegen Schrottberge und Rohstoffknappheit. Kreislaufwirtschaft müsse am Design ansetzen, forderte Dr. Harry Lehmann vom Umweltbundesamt: Statt den Auspuff auszutauschen, müsse man das Auto anders konstruieren. Auch Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Ulrich von Weizsäcker vom International Panel for Sustainable Resource Management betonte, dass durch gutes Design wertvolle Komponenten recyclingfähig verarbeitet werden können. Zudem sei Leasing die ressourcenschonende Alternative zum auf Absatz und Verbrauch konzentrierten Verkaufen. Schließlich müssten die Preise die "Wahrheit" sagen, indem etwa Energie jährlich um so viel teurer wird, wie die Effizienz im Vorjahr gestiegen ist. So könne man die Ressourcenproduktivität ähnlich erhöhen, wie man die Arbeitsproduktivität in den letzten 100 Jahren erhöht hat. Der Unterschied sei: "Die Kilowattstunden gehen nicht auf die Straße wie die Arbeiter." Die Einnahmen aus Abgaben sollten - wie beim Beispiel der schwedischen Stahlindustrie - wieder der entsprechenden Industrie zufließen. Auch der Verbraucher müsse über Bonus- und Malussysteme an der Kreislaufwirtschaft beteiligt werden, sagte Prof. Dr. Anja Grothe von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Dr. Harry Lehmann befand, dass ein Ressourcenschutzrecht fehlt. Dieses müsste Aspekte wie Garantien, Labeling, Lebensdauer und Rückgaberechte regeln. Auch fehle es an ausreichender Ressourceneffizienz-Bildung bei Ingenieuren, die z.B. weniger Kupfer in Windrädern verbauen könnten. Deutschland exportiert 50% des Elektronikschrotts, sagte Peter Willbrandt, Mitglied des Vorstands beim Kupferproduzenten Aurubis. Ein Handy habe heute einen Materialwert von 80 Cent; das Recycling seiner Bestandteile ist entsprechend nicht wirtschaftlich. Noch weniger Material zu verbauen wäre hier aber ebenfalls nicht sinnvoll, weil dies die Lebensdauer der Produkte beeinflusse. Es seien daher überregionale Systeme wie der Emissionshandel nötig.

"Wir bauen im Moment die Altlasten von morgen", warf Theo Pauli aus dem Publikum ein. Gifthaltige Baustoffe wie zum Beispiel Dämmwolle würden weiterhin den teureren Alternativen wie Hanf und Flachs vorgezogen. "Auch die Lebensdauer von Häusern müssen wir neu denken", entgegnete Prof. Dr. Anja Grothe. In den USA würden bereits 3D-Drucker für Häuser, die nur 25 Jahre halten sollen verkauft - denn die Erkenntnis setze sich durch, dass nichts Menschengemachtes für die Ewigkeit währe. Auch kam aus dem Publikum die Frage, warum Leasing-Modelle nicht längst für Rohstoffe eingesetzt würden. Hier stellt sich zum einen das Problem der Finanzierung über die Verwendungsdauer von oft 20 bis 30 Jahren, wie beim Kupfer. Auch stünden mehrere Akteure zwischen dem Produzenten und dem Endkunden. Und schließlich seien die Marktpreisschwankungen selbst riskant: Wenn der Kupferpreis hoch ist, setzen viele Verarbeiter Legierungen ein, die aber wiederum schwerer recycelbar sind, so Willbrandt. Weizsäckers Kollege Friedrich Schmidt-Bleek hatte bereits vor 20 Jahren die Idee, Stahl zu vermieten, um Beton zu ersetzen. Doch psychologische Barrieren verhindern die Umsetzung: Würde die Stadt Hamburg die nächsten Elbbrücken leasen? Im Konsumbereich sei das Prämiensystem zudem bewusst so gestaltet, dass Wegwerfen und Neukaufen das Wachstumsziel fördert. Zu diesem Obsoletismus genannten Phänomen äußerte sich in der Runde der Best Practice Beispiele auch Bernhard Schwager, Leiter der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit bei Robert Bosch: Die Lebensdauer der einzelnen Produktkomponenten wird von Unternehmen gleichgeschalten und mit der Zahlungsbereitschaft der Kunden in Einklang gebracht. Wenn Konsumenten wieder langlebigere Produkte nachfragen, werde die Industrie sich darauf einstellen. Momentan würden die Kaufentscheidungen jedoch zugunsten von Angeboten wie "alle zwei Jahre ein neues Handy" ausfallen.
 
© B.A.U.M./Rainer KantDie B.A.U.M.-Jahrestagung 2014 war nicht zuletzt auch eine besondere Ehrung für den gerade 70 Jahre alt gewordenen Vereinsgründer Prof. Dr. Maximilian Gege. Sein unermüdliches Engagement hat viele Unternehmen in den Verein und damit zu konkreten Nachhaltigkeitsmaßnahmen geführt, deren Summe und Gesamtwirkung kaum hoch genug zu schätzen sind. "Wenn oft eher abstrakt von den drei Säulen der Nachhaltigkeit gesprochen wird, so kann man sagen, dass Maximilian Gege die drei Seelen der Nachhaltigkeit verkörpert", honorierte Vorstandskollege Dieter Brübach die Verdienste des B.A.U.M.-Gründers. Wie kein anderer habe er Vertreter von Wirtschaft und Politik immer wieder darin bestärkt, Wirtschaft, Umwelt und Soziales zusammenzuführen und gemeinsam erfolgreich zu machen. Um die Vorreiter-Rolle des Vereins weiter auszubauen, gaben zahlreiche Gratulanten Inspirationen mit auf den Weg: Ableger von B.A.U.M. könnten in Entwicklungs- und Schwellenländern Unternehmen bei einer verantwortungsvollen Ausrichtung unterstützen. Themen wie Biodiversität oder die Bedeutung von Böden könnten künftig noch häufiger auf die Agenda im Gespräch mit Wirtschafts- und Politikvertretern gesetzt werden. Und schließlich könnte sich das B.A.U.M.-Team selbst weiter verjüngen. Gesagt, getan: Am ersten Konferenztag erreichte die Besucher die frohe Botschaft, dass das Baby von Vorstandsmitglied Kristina Kara gerade das Licht der Welt erblickt hat.

Herzlichen Glückwunsch und gutes Weiterwachsen, liebe "Bäume"!

Von Tina Teucher  

Wirtschaft | Branchen & Verbände, 09.10.2014

     
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