Platzhirsch oder Change Agent?

Anforderungen an nachhaltige Führung

"Nachhaltig Führen bedeutet, selbstkritisch auf gesunde Weise seine Mitarbeiter über Werte zu führen, um größtmögliche Produktivität und Profitabilität zu ermöglichen", sagt der Psychologe und Stresscoach Louis Lewitan. forum -Redakteurin Tina Teucher sprach mit ihm über eine gesunde Einstellung zu den Herausforderungen unserer Arbeitswelt.

Wie führe ich mein Team an: ALs Platzhirsch
oder als Change Agent?
Foto: © Deutsche Wildtierstiftung/ T. Martin
Was bedeutet nachhaltige Führung in Ihren Augen? Ist sie aus wirtschaftlicher Sicht ein Gebot der Stunde?

Nachhaltige Führung beruht auf drei Säulen: Eine betriebswirtschaftliche, eine sozial-ethische sowie eine ökologische Dimension. Wir können uns ebenso wenig leisten, den "ökologischen" Ast, auf dem wir sitzen, abzusägen, wie die Ressource Mensch gesundheitlich zu gefährden und finanziell auszubeuten. Es sind schließlich die Menschen, die Kraft ihres Einsatzes den entscheidenden Beitrag zur Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit leisten. Vorgesetzte sind nicht zuletzt deshalb verpflichtet, ein Betriebsklima zu ermöglichen, welches auf Fairness, Vertrauen und Kollegialität fußt. Nachhaltige Führung ist ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft.

Viele Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte fühlen sich überfordert von ihrer Arbeit. Um das zu kompensieren und alles unter einen Hut zu bekommen, arbeiten sie meistens noch mehr. Wie kann eine Führungskraft hier Vorbild sein?

Vorbild sein bedeutet, keine Perfektion abzuverlangen. Perfektion sollte man in dem Wissen anstreben, dass sie nur in der Kunst und in der virtuellen Welt vorkommt. Die Realität hingegen zeigt, dass wir alle unvollkommen sind. Im Angesicht dieser Unvollkommenheit sollten wir uns anstrengen, unsere Ziele und unsere Arbeit bestmöglich zu erfüllen, ohne uns und andere zu verausgaben. Unsere Unvollkommenheit sollte Ansporn sein, uns fachlich weiter zu qualifizieren und persönlich weiter zu entwickeln. Eine vorbildliche Führungskraft handelt selbstsicher, in dem sie die eigenen Grenzen akzeptiert und die Grenzen anderer nicht missachtet. Wer von seinen Mitarbeitern Professionalität und Engagement erwartet, der sollte im Sinne einer nachhaltigen Führung die Ressource Mensch fordern und fördern. Fordern bedeutet, mit dem jeweiligen Mitarbeiter hohe, aber erreichbare Ziele zu vereinbaren. Fördern bedeutet, Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, den Mitarbeiter also in die Lage zu versetzen, seine Ziele erreichen zu können.

Was ist, wenn die Führungskraft im Mittelmanagement von oben Ziele bekommt, die sie weitergeben muss?

Abteilungs-, Projekt- und Teamleiter sollen strategische Ziele operativ umsetzen. Sie haben jedoch nur eine begrenzte Macht, knappe Ressourcen und einen eingeschränkten Gestaltungsspielraum. Führungskräfte im Mittelmanagement sollten in Anbetracht ihrer Sandwichposition den Mut aufbringen, kritische Fragen zu stellen, begründete Bedenken rechtzeitig zu kommunizieren und Konflikte anzugehen. Wer überzeugen will, darf als Führungskraft keine faulen Kompromisse eingehen. Da sind Ehrlichkeit und Geradlinigkeit angesagt. Wer seine Fahne stets nach dem Wind seines Vorgesetzten dreht, ist für seine Mitarbeiter weder vorbildlich noch überzeugend. Führungskräfte, die Entscheidungen durchsetzen müssen, welche mit den eigenen Wertvorstellungen kollidieren, werden mit der Zeit krank.

Wie können Führungskräfte, die selbst unter Stress stehen, Aufgaben delegieren ohne den Stress weiterzureichen?

Eine Führungskraft analysiert, plant, organisiert und setzt um. Letztlich ist sie auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Mitarbeiter angewiesen. Die Herausforderung besteht darin, die Kluft zwischen dem Idealplan und der realen Machbarkeit zu überbrücken. Da jedes Projekt eine Form von Change-Management darstellt, kann die Führungskraft Stress reduzieren, indem sie realistische Ziele setzt, die Beteiligten frühzeitig ins Boot nimmt, sie umfassend informiert und auf Augenhöhe mit ihnen redet. Wer hingegen in seinem Elfenbeinturm Projekte schmiedet und sie von der Kanzel verkündet, erzeugt Stress und Widerstand. Wir verlangen als Führungskräfte von den Mitarbeitern ein starkes Engagement und eine hohe Motivation, ohne uns die Frage zu stellen: Welche Art von Unterstützung brauchen die Mitarbeiter, um ihre Ziele zu erreichen? Wir müssen uns von einem mechanistischen Mitarbeiterbild verabschieden. Selbstbezogene Führungskräfte bedienen sich der Mitarbeiter, um auf der Karriereleiter schnell emporzusteigen. Eine solche Haltung widerspricht dem Prinzip gelassener und nachhaltiger Führung.

Wie können Führungskräfte den Weg zur mehr Nachhaltigkeit gemeinsam mit ihren Mitarbeitern beschreiten?

Papier ist bekanntlich geduldig. Da nützt es herzlich wenig, die Erarbeitung eines Unternehmensleitbildes an eine Agentur zu delegieren. Sinnvoll ist es vielmehr, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam an der Entwicklung eines Unternehmensleitbildes und der Unternehmenswerte mitwirken, welche die Unternehmenskultur widerspiegeln. Die entsprechenden Handlungsrichtlinien müssen sowohl glaubhaft nach innen und nach außen kommuniziert als auch glaubhaft gelebt werden.

Manchmal tut es einfach nur gut, über sich selbst oder seine Probleme zu lachen. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Humor in einer nachhaltigen Führung?

In der Wirtschaft und Finanzwelt bleiben wenig Zeit und Raum zum Lachen. Wer sich vornehmlich über Leitzinsen und Kennzahlen definiert, wer partout Erfolg und Anerkennung sucht, dem fehlt die Gelassenheit, über sich zu lachen. Stets souverän und allwissend zu wirken ist ein mühsames Geschäft. Humor hinterfragt das Selbstverständliche und trägt zur Konfliktentschärfung bei. Eine humorvolle Führungskraft sieht ihre eigene Schwäche und die ihrer Mitarbeiter, nützt diese jedoch nicht schamlos aus. Humor entspannt. So betrachtet kann Humor eine höchst produktive Wirkung entfalten.

Welche Eigenschaften machen eine nachhaltige Führungskraft aus?

Führungskräfte neigen dazu, sich nicht selbstkritisch genug wahrzunehmen. Sie schauen immer auf die anderen und nehmen den eigenen blinden Fleck nicht wahr. Wichtig ist die Bereitschaft, an sich zu arbeiten und Herausforderungen zu bejahen. In der Realität sehe ich jedoch, dass Führung oftmals mit Fachwissen gleichgesetzt wird.

Viele Führungskräfte kommen aufgrund ihrer technischen Kompetenz nach oben ...

Das ist eine grundsätzliche Problematik! Ich stelle leider immer wieder fest, dass viele Führungskräfte zunächst aufgrund ihrer Fachkompetenz in eine Personalverantwortung kommen. Sie lernen Personalführung auf Kosten ihrer Mitarbeiter. Hier kommt dem Unternehmen eine ethische Verantwortung zu: Führungskräfte sollten gezielt ermutigt werden, sich psychologisch weiter zu qualifizieren. Führung bedeutet, sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

Welche Rolle kommt dem betrieblichen Gesundheitsmanagement zu?

Nachhaltig führen bedeutet gesund führen, indem ich die Mitarbeiter als Menschen mit Potenzial fördere, anstatt sie als Humankapital zu instrumentalisieren. Das erfordert die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich mit jedem Mitarbeiter ernsthaft befassen zu wollen. Wo steht er? Was benötigt er, damit er seine Ziele erreichen kann? Im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements erachte ich die Persönlichkeitsentwicklung von Führungskräften als ebenso wichtig wie die Verbesserung der Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen. Zunehmend wichtig sind die Sensibilisierung von Führungskräften gegenüber psychischen Belastungen und die systematische Untersuchung von Stress und dessen Ursachen sowie die Erarbeitung individueller und organisatorischer Bewältigungsstrategien. Mit Hochglanzbroschüren über gesunde Ernährung und Sport kommt man nicht wirklich weiter. Weiterbildung in Sachen Selbstorganisation, Kommunikation und Konflikthandhabung helfen dem Einzelnen sowohl im Beruf als auch im Privaten. Und Themen wie Kinderbetreuung oder Angehörigenpflege dürfen nicht ausgeklammert werden, denn sonst ist der belastete Mitarbeiter mit der Zeit nicht mehr in der Lage, sowohl in der Firma als auch zu Hause sein Bestes zu geben.
 
 
Interview mit Louis Lewitan von Tina Teucher



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Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 07.05.2012
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2012 - Business Natur erschienen.
     
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