Sinnliches Erleben

Das Medium Film kann "nachhaltig" berühren

forum-Autorin Dagmar Walser sprach mit dem preisgekrönten Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer über Nachhaltigkeit im Film.

"Ich gehöre zu den vielleicht als altmodisch belächelten Filmemachern, die meinen, ihre Arbeit könne etwas verändern":
Thomas Riedelsheimer
Foto: © Jürgen Kemmer
Eine Umfrage bei Freunden ergab: Keiner hat eine wirkliche Definition des schon fast inflationären Begriffs Nachhaltigkeit. Wie steht es mit Ihnen?

Wahrscheinlich ist es wie mit Vielem anderen auch - jeder bastelt sich seine Definition zurecht. Für mich ist Nachhaltigkeit, wenn eine Aktion oder Funktionsweise mit wenig oder keiner Umweltschädigung bewertet werden kann.

Vorher gewusst oder vorbereitet für's Interview? Ehrliche Antwort!

Vorher nicht wirklich nachgedacht.

Gewinnt die Thematik Umwelt an Relevanz im Medium Film, vor allem im Dokumentarfilm?

Unter dem Eindruck des japanischen Atomunfalls steht das Thema gerade wieder im Brennpunkt. Dennoch scheint es eine gewisse "Ermüdung" in der Bevölkerung bei Umweltthemen zu geben, da man gar nicht mehr weiß, was man tun und lassen soll. Nachdem die Befindlichkeit unserer Umwelt ein großes Thema ist, werden wohl auch Filme darüber zunehmen. Ich selbst bin allerdings für ein Umweltfilmprojekt ungefähr fünf Mal nach Mexiko geflogen, umwelttechnisch eine Katastrophe.

Ihr letzter Film, Seelenvögel, eine Beobachtung dreier leukämiekranker Kinder, von denen zwei den Kampf verlieren, hat mich sehr berührt. Auf eine andere Art "nachhaltig".

Das ist schön zu hören. Ich gehöre zu den vielleicht als altmodisch belächelten Filmemachern, die meinen, ihre Arbeit könne etwas verändern. Nicht durch radikale, sofortige Veränderung, mehr durch kleine "Samen", die in einem wachsen und die eines Tages vielleicht eine Entscheidung beeinflussen. Das funktioniert meiner Erfahrung nach mit Filmen durchaus. Nicht durch zu viel Information, sondern über Emotionen und Erfahrbarkeit als sinnliches Erlebnis.

Nachhaltigkeit klingt eher unsinnlich. Wie kann man als Filmemacher ein auf den ersten Eindruck etwas dröges Thema so umsetzen, dass man das Publikum infiziert, womöglich überzeugt, etwas im Leben zu verändern, und sei es erst mal die Haltung zum Leben?

Gute Frage! Wenn man die Antwort kennen würde, hätten wir das Problem vielleicht nicht. Es sind ja oft andere Menschen, die uns durch ihr Verhalten anregen, etwas zu verändern. Filme können Erfahrungen aus erster Hand nicht ersetzen, aber sicher mit am besten vermitteln; ein großes Potenzial also, wenn man seinen Sinnen auch traut und nicht alles zutextet. Der Text ist zu oft Interpretation, man braucht seinen Kopf dazu. Ich setze mehr auf den Bauch und das "sinnliche Verstehen".

Verhalten zu verändern ist wohl das schwierigste überhaupt. Wir wissen ja so viel und trotzdem führt es nicht zu den wünschenswerten Veränderungen im Verhalten. Wir fahren trotzdem mit dem Auto, kaufen trotzdem Thunfisch-Sushi. Ich glaube, dass sich Verhalten entweder nur sehr langsam verändert, oder durch ein wirklich sehr tiefgehendes Erlebnis - und das wohl meistens aus erster Hand und nicht über ein Medium. Ich kann in einem Film ansatzweise die Schönheit der Arktis vermitteln, aber dort zu sein ist ein ungleich stärkerer Eindruck. Trotzdem ist es sinnvoll und wichtig für mich, Erlebnisse mit dem Medium Film weiterzugeben.

Zwischen Kunst und Gesellschaftspolitik: der Japaner SUSUMU SHINGU zeigt die Verbindung von Kunst UND Energiegewinn. Damit inspirierte er auh Filmemacher Thomas Riedelsheimer
Foto: © Thomas Riedelsheimer
Nach welchen Kriterien suchen bzw. finden Sie Themen für Ihre Filme?

Da bin ich ganz egoistisch: Ich beschäftige mich mit dem, was mich selbst interessiert. Und viele Themen "kommen zu mir". Was mich bei einem Projekt beschäftigt, führt manchmal zum nächsten. So drehe ich gerade zwei Filme, die sich mit Kunst und Umwelt beschäftigen. Den einen in Mexiko, den anderen in Japan. Mittlerweile hat sich schon eine schöne Schnittmenge ergeben: Die Geschichte der Monarch-Schmetterlinge in Mexiko, die ich für den Film über den japanischen Windkünstler Susumu Shingu erzählen werde. Früher suchte ich mir meine Themen oft bei Menschen, die irgendwie abseits der Gesellschaft leben, z.B. Nonnen, Prostituierte, geistig Behinderte oder auch Wehrdienstleistende. Momentan interessieren mich Künstler sehr. Die Obsession der Künstler und ihr Bestreben, die Welt auf andere Art zu verstehen, lassen mich nicht mehr los. Immer hat es auch mit unserer Umwelt zu tun, denn die Beziehung Mensch - Umwelt fasziniert mich sehr. Weniger aus dem Umweltschutzgedanken heraus, mehr wegen der Zwickmühle des menschlichen Daseins: Wir begreifen uns sowohl als eigenständiges, unabhängig denkendes und "selbst-bewusstes" Subjekt, als auch als Teil unserer Umwelt und unserer Natur.

Lassen Sie sich in Ihrem Verhalten von Ihren Filmpartnern inspirieren?

Natürlich steckt die Obsession von begeisterten Menschen an. Das ist ja auch unsere große Chance. Der Funken, der eine Veränderung in Gang setzt, wird ja meistens von Individuen erzeugt, nicht von einer Masse. Wir bewundern Menschen, die einen starken Glauben, eine starke Mission spüren, weil uns genau dieses ja oft abhanden gekommen ist. Zu kämpfen für ein Ziel, sich konsequent einzusetzen für etwas, das einem wichtig erscheint, setzt Energien frei, die andere Menschen auch spüren. Wenn mir Alfredo, mein kubanischer Unterwasser-Kameramann, beim Dreh in den Gewässern um Baja California erzählt, wie elegant ein Marlin jagt, oder wie beeindruckend Thunfische sind und er dabei Tränen in den Augen hat, weil dreiviertel der Thunfische mittlerweile von uns vernichtet wurden, dann möchte ich kein Sushi mehr essen.

Alfredo hat mir auch eine unvergessliche Metapher geschenkt: Das Meer war wie ein großes Sinfonieorchester, sagt er, die Musik war überwältigend. Wir sind aber dabei, ein Instrument nach dem anderen zu entfernen. Ein paar Geigen hier, ein Blasinstrument dort. Für unsere Generation und für die, die nie die volle Besetzung gehört haben, klingt es immer noch gut. Aber im Vergleich zu dem, wie es war, ist es erbärmlich.

Dann hat die Beschäftigung mit dem Thema Umwelt ja auch "nachhaltigen" Einfluss auf Ihr Leben!

Letzten Endes geht es immer um Lernen und sich bewusst werden. Die Umwelt ist sicher eines meiner ganz großen Themen, ohne dass ich mich selbst einen Aktivisten oder Umweltschützer nennen würde. Aber ich hoffe sehr, dass meine Filme auch einen kleinen Samen in manche Zuschauer säen. Ein kleines Erstaunen über die Schönheit und die unglaublichen Zusammenhänge in der Natur.

Ja, das gelingt Ihnen bestens! Danke für das Gespräch.

Weiterführende Informationen: www.filmpunkt.com

Bäume statt Plastikbecher

Foto: © Fabian Isensee
Ende Juni 2011 fiel die letzte Klappe zu Christian Lerchs (Drehbuchautor von WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOD) Kinokomödie WAS WEG IS, IS WEG in Kraiburg am Inn. Der Regisseur hatte sich gemeinsam mit der Filmproduktion deutschfilm zum Ziel gesetzt, einen möglichst CO2-neutralen und ökologisch nachhaltigen Film zu produzieren. Zusammen mit Sustainable, einer Agentur, die Projekte und deren Umsetzungsprozesse beim schonenden Umgang mit der Natur unterstützt, wurde ein entsprechendes Konzept entwickelt, dass u.a. auf die Verwendung regionaler Produkte, den Einsatz emissionsarmer Fahrzeuge, Verzicht auf Einweggeschirr und Nutzung von Ökostrom setzt. So sollte mit vereinten Kräften am Ende der Dreharbeiten anstatt einer Spur von Plastikbechern eine Spur von neu gepflanzten Bäumen hinterlassen werden. "Es war nicht ganz einfach, das Thema Nachhaltigkeit in eine Filmproduktion zu integrieren", so der ambitionierte Regisseur Lerch in bayrisch verschmitzter Art, "aber wir haben einen Anfang gemacht".

Kinostart: 22.03.2012

Quelle:
Wirtschaft | Marketing & Kommunikation, 27.03.2012

     
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