Indische Wasserkrise - Wie lange reichen die Ressourcen?

Dezentrales Wasser-Management soll steigenden Bedarf von Wirtschaft und Bevölkerung decken

Indische Wirtschaft und Bevölkerung wachsen dramatisch, was zu einer rasanten Zunahme des Wasserbedarfs führt. Die pro Kopf zur Verfügung stehende Wassermenge hat sich seit der Unabhängigkeit mehr als halbiert, mehr als ein Drittel der Bevölkerung ist bereits von Wasserknappheit betroffen. Mehrere Studien schlussfolgern deshalb, dass Indien am Beginn einer ernstzunehmenden Wasserkrise steht. Doch wo sind Auswege aus dieser Krise? Welche Rolle kann dabei beispielsweise ein dezentrales Wassermanagement spielen?

Nach Schätzungen wird sich der Wasserbedarf bis 2050 im Vergleich zu den 1990er Jahren fast verdreifachen und dann deutlich über dem derzeit mit konventionellen Methoden nutzbaren Potenzial liegen. Vor diesem Hintergrund gilt es zu beachten, dass die Niederschlagsmenge in Indien regional äußerst ungleich verteilt ist und von 100 mm bis zu über 10.000 mm pro Jahr variiert. In weiten Teilen des Landes sind zudem ¾ des jährlichen Niederschlags auf drei Monate konzentriert, in denen dieser in Form heftiger Wolkenbrüche niedergeht.

Zunehmende Konflikte

Aufgrund dieser ungleichen Verteilung und des rasant zunehmenden Wasserbedarfs ist von zunehmender Konkurrenz um die Ressource Wasser auszugehen. Das wiederum verstärkt latente Wasserkonflikte. Bereits heute führt Wasser zu beträchtlichen Spannungen zwischen Indien und seinen Nachbarländen. Aber auch Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Bundesländern müssen zum Teil vor Gericht geschlichtet werden.
Schwierigkeiten entstehen aber auch durch die Konkurrenz von landwirtschaftlicher und industrieller Nutzung des Wassers. So steckt der indische Bewässerungssektor in einer tiefen Krise. Die großen prestigeträchtigen Vorhaben, meist Staudämme und Kanäle, sind zu teuer, unrentabel und ökologisch fragwürdig. So gehen nach Schätzungen der FAO über 60% des Irrigationswassers verloren und können damit nicht von den Pflanzen genutzt werden. Die rasante Zunahme der Brunnenbewässerung seit Anfang der 1990er Jahre führt lokal zu einer beträchtlichen Absenkung des Grundwasserspiegels.

Traditionelle dezentrale Bewässerung

Vor diesem Hintergrund erfährt die Reform und Umstrukturierung des Bewässerungssektors mit einer zunehmenden Fokussierung auf dezentrale Strukturen ein verstärktes politisches Interesse, mit dem auch eine zunehmende Förderung der Regenfeldbaugebiete und damit der Tankbewässerung verbunden ist.

Tankbewässerung ist die charakteristische Form der traditionellen Wasserspeicherung in Indien. Tanks (Stauteiche) sind eine an die Bedingungen der semiariden Tropen angepasste Form des 'water harvesting'. Sowohl die Größe der Stauteiche als auch die durch sie bewässerten Flächen können erheblich variieren; so können die großen Tanks über 1.000 ha bewässern. Häufig sind die Stauteiche miteinander vernetzt. Gespeist werden sie primär vom Oberflächenabfluss aber auch vom oberflächennahen Grundwasser. Die Wasserverteilung erfolgt traditionell in einer klassisch dezentralen Form, die allerdings räumlich variiert. Insbesondere die ärmeren Haushalte im ländlichen Raum sind in ihrer Lebenssicherung stark von der Tanknutzung abhängig, sowohl unmittelbar über das Bewässerungswasser als auch indirekt über andere Formen der Tanknutzung und des damit zusammenhängenden Gemeinschaftslandes (z.B. Bereitstellung von Feuerholz und Futter für Tiere, Viehtränken, etc.).
Auch wenn es in Indien noch über 200.000 solcher Stauteiche gibt, haben diese seit der Kolonialzeit stark an Bedeutung verloren. Ursache ist vor allem die Subventionierung des Brunnenausbaus, so dass die Tanks nun zur Bereitstellung von Trinkwasser und nicht mehr zur Bewässerung genutzt werden.

Moderne Reform des Bewässerungssektors als Lösung?

In diesem Kontext initiiert die Weltbank seit Mitte der 1990er Jahre eine Umstrukturierung des Bewässerungssektors. Diese umfasst sowohl die bereits vorher stärker dezentral ausgerichteten Regenfeldbauregionen als auch die top-down ausgerichteten, meist ineffizienten Großprojekte der Staudamm- und Kanalbewässerung. Zentrale Ziele der Reformen sind der Aufbau eines partizipativen Managementsystems, die Etablierung von unabhängigen Körperschaften zur Wasserregulierung (v.a. für Großprojekte), der Rückbau der öffentlichen Ausgaben dafür und eine stärkere Rationalisierung der Bewässerungsbürokratie.
Ironischerweise verläuft die Umsetzung der Reformen jedoch stark bürokratisch sowie 'staats- bzw. behördenzentriert'. Es zeigt sich, dass auch über ein Jahrzehnt nach Einführung entsprechender gesetzlicher Rahmenbedingungen 'water user associations' und andere partizipativ ausgerichtete Körperschaften zwar formal etabliert wurden, diese aber einerseits schlecht informiert und häufig unmotiviert sind und andererseits auch stark von der mächtigen Agrarelite beeinflusst und durchdrungen sind.
Daher führten die Reformen bislang weder zu Verbesserungen für die Nahrungssicherheit noch zu einer Minimierung der Dürre- und Flutfolgen.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass im Kontext des Klimawandels, des hohen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums und des stark ansteigenden Wasserverbrauchs eine Reform des indischen Bewässerungssektors absolut notwendig ist. Allerdings hat der bisherige Fokus auf die Einführung meist nur formaler partizipativer Strukturen und der Zurückdrängung des Staates bei gleichzeitiger Etablierung marktliberaler Strukturen nicht zu substantiellen Lösungen beigetragen. Deshalb sollte der zukünftige Diskurs stärker wirksame und effektive dezentrale Strukturen betonen und dabei Aspekte des Zugangs sowie das Recht auf Wasser einbeziehen.
 
 
Von Dr. Thomas Hennig (Philipps-Universität Marburg, FB Geographie)

Quelle:
Umwelt | Ressourcen, 12.01.2011
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2010 - Wasser erschienen.
     
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