Sonne und Wind könnten Deutschlands Strombedarf dreimal decken

Zusätzliche politische Maßnahmen nötig, um Klimaziele mit marktbasiertem Ausbau der Erneuerbaren Energien zu erreichen

  • Geografisch-technologisches Potenzial von Sonnen- und Windenergie erreicht im Jahr 2040 mit 1800 Terawattstunden das Dreifache des heutigen Strombedarfs; bisher wird davon nur ein Zehntel (Sonnenenergie, Offshore-Windkraft) bis ein Drittel (Onshore-Windkraft) genutzt
  • Wirtschaftliches Potenzial bei derzeitigen Marktbedingungen geringer, weil mit steigendem Anteil der Erneuerbaren die Strompreise sinken und dadurch der Bau neuer Anlagen unwirtschaftlich wird (Kannibalisierung)
  • Potenzialanalyse von Aurora Energy Research: Ohne zusätzliche politische Maßnahmen reicht ein rein marktgetriebener Ausbau nicht, um das 65-Prozent-Ziel bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen
Deutschland könnte theoretisch seinen kompletten Strombedarf mit Erneuerbaren Energien erzeugen: Das geografisch-technologische Potenzial des Landes reicht aus, um den heutigen Verbrauch dreimal zu decken. Damit sind auch die Klimaziele, die sich die Bundesregierung für 2030 und 2050 gesetzt hat, erreichbar. Allerdings ist der Ausbau der Erneuerbaren über ein bestimmtes Maß hinaus nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet werden, denn mit zunehmenden Marktanteilen von Sonnen- und Windstrom sinken die erzielbaren Strompreise, so dass die Wirtschaftlichkeit der Anlagen sinkt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, für die die Energieexperten von Aurora Energy Research die geographischen, technologischen, wirtschaftlichen und politischen Potenziale der Erneuerbaren Energien in Deutschland analysiert haben.

„Wir nutzen heute bei Photovoltaik und Offshore-Wind nur etwa 10 Prozent des geografisch-technologischen Potenzials, bei Onshore-Wind knapp ein Drittel", sagt Casimir Lorenz, Projektleiter bei Aurora Energy Research. „Von dieser Seite her bleibt also mehr als genug Spielraum, um wie angestrebt bis 2030 den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung auf 65 Prozent zu steigern und bis 2050 die Energieversorgung weitestgehend CO2-frei zu gestalten." Die Studie zeigt, dass Wind- und Sonnenenergie auf den in Deutschland verfügbaren geeigneten Flächen mit heutiger Technik gut 1200 Terawattstunden Strom pro Jahr liefern könnten. Durch den zu erwartenden technologischen Fortschritt steigt dieser Wert bis 2040 auf knapp 1800 Terawattstunden – das entspricht dem Dreifachen des heutigen Strombedarfs. 

Problem: Steigender Marktanteil senkt die Wirtschaftlichkeit
Allerdings haben die Studienautoren eine andere Hürde ermittelt, die die Politik überwinden muss, wenn sie die Erneuerbaren zum Hauptstromlieferanten machen will: Denn je mehr Erneuerbare im Markt sind, desto stärker sinken die Strompreise, weil die bestehenden Anlagen wegen der naturgemäß niedrigen Betriebskosten sehr günstig produzieren können. „Das bremst den weiteren Zubau, denn das für die Anlagenerrichtung nötige Kapital muss trotzdem finanziert werden", sagt Lorenz. „Je nach Höhe der Kapitalkosten ist dann ab einem bestimmten Marktanteil von Erneuerbaren der Strompreis zu niedrig, als dass sich ein weiterer Zubau für Betreiber und Investoren wirtschaftlich lohnen würde." 

Die Berechnungen der Aurora-Experten ergeben, dass diese so genannte Preis-Kannibalisierung einen rein marktbasierten Erneuerbaren-Ausbau so früh ausbremsen würde, dass weder das 65-Prozent-Ziel noch die Treibhausgasneutralität 2050 erreicht würden. „Je nach Kapitalkosten würde bei den bestehenden Marktbedingungen nur ein Bruchteil des verfügbaren geo-technischen Potenzials genutzt", sagt Lorenz. „Um den marktbasierten Ausbau zu steigern, müsste die Politik daher die Rahmenbedingungen verändern. Eine Stellschraube wäre zum Beispiel der CO2-Preis: Ist dieser höher, steigt das allgemeine Strompreisniveau und damit auch die Einnahmen der Erneuerbaren. Dann lohnt sich wiederum der Neubau von zusätzlichen Anlagen."

Mehr Solar und Offshore-Wind nötig, um Onshore-Lücke zu schließen
Da der Ausbau der Windenergie an Land durch mangelnde Akzeptanz und die Diskussion um Abstandsregeln praktisch zum Erliegen gekommen ist, ist das Erreichen der Erneuerbaren-Ziele in Gefahr. Eine Lösung für dieses Problem könnte aus Sicht der Studienautoren ein starker Schub bei der Solarstromerzeugung sein. Allerdings müssten jedes Jahr 9 bis 11 Gigawatt an neuen Photovoltaik-Anlagen dazukommen, um bei einem fortgesetzten Stocken des Onshore-Ausbaus die entstehende Lücke zu schließen und wie angepeilt bis 2030 65-Prozent Erneuerbare zu erreichen. Die Zubaurate bei der Solarenergie müsste sich somit gegenüber 2019 mehr als verdoppeln. Um bis 2050 das Ziel der Treibhausgasneutralität zu erreichen, müsste zusätzlich auch die Offshore-Windenergie deutlich stärker ausgebaut werden – hier wären 50 Gigawatt pro Jahr nötig. 

„Unsere Analyse zeigt, dass Deutschland sowohl bei Wind- als auch Sonnenenergie über mehr als ausreichend natürliches und technisches Potenzial verfügt", sagt Energieexperte Lorenz. „Doch die Obergrenze für den Erneuerbaren-Ausbau wird hierzulande durch die Marktbedingungen gesetzt. Daher braucht es zusätzliche Maßnahmen der Politik, um diese Rahmenbedingungen so zu ändern, dass der gewünschte und nötige Zubau marktgetrieben stattfinden kann." 


Aurora Energy Research ist ein Energiemarktmodellierungs- und -beratungsunternehmen mit Fokus auf die deutschen, europäischen und globalen Energiemärkte. Unsere Analysen unterstützen langfristige strategische Entscheidungen unserer Klienten, darunter die meisten großen deutschen und europäischen Energieversorgungsunternehmen. Unsere Überzeugung ist, dass stringente Modellierung, basierend auf robuster Methodik und detaillierten Daten, tiefgreifende Einblicke in mittel- und langfristige Marktentwicklungen bieten kann. Wir kombinieren hochinnovative Modelle mit einem tiefgreifenden Verständnis von Energie- und Finanzmärkten, um verlässliche, unabhängige Beratung zu bieten. Aurora Energy Research wurde Anfang 2013 von Dieter Helm, Cameron Hepburn und Colin Mayer gegründet, drei Professoren der Universität Oxford, die seit Jahrzehnten Unternehmen und politische Entscheidungsträger beraten. Mittlerweile hat das Unternehmen ca. 120 Mitarbeiter in Oxford, Berlin und Sydney. 
 
Kontakt: Matthias Hopfmüller | office@hopfmueller.com

Technik | Energie, 20.05.2020

     
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