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Radikal anders

Bildung für das 21. Jahrhundert

Unser gegenwärtiges Bildungssystem ist auf die Bedürfnisse des 19. und 20. Jahrhunderts abgestimmt. Für das 21. Jahrhundert braucht die Bildung eine grundlegende Revolution. Die Digitalisierung alleine reicht dafür noch nicht.

©SchoolPRPro, pixabay.comDigitalisierung und künstliche Intelligenz sind in der öffentlichen Darstellung die Helden und Retter bezüglich der Probleme, denen wir uns heute gegenübersehen. Man feiert begeistert den Fortschritt der technologischen Entwicklungen und ignoriert dabei häufig nicht nur deren negative Konsequenzen. Man übersieht auch völlig, dass all diese Entwicklungen Veränderungen im weiteren Kontext erforderlich machen, besonders im Bildungssystem.

Geht es bei Immobilien um „Location, Location, Location”, so geht es für das Überleben und für die Weiterentwicklung der Menschheit im 21. Jahrhundert und darüber hinaus um „Bildung, Bildung, Bildung". Wie Nelson Mandela sagte: „Bildung ist die mächtigste Waffe, mit der man die Welt verändern kann."

Zweifellos gibt es einige Bewegung im aktuellen Bildungssystem. Doch was bislang getan wird, ist viel zu langsam und viel zu isoliert, um der Komplexität des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Mein dringender Appell ist daher: Wir brauchen eine Bildung, die es heutigen und zukünftigen Generationen möglich macht, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Diese sind groß und erfordern Pioniergeist, Unternehmertum, Flexibilität, Teamwork und Innovationsfähigkeit.

Innovation als treibende Kraft im 21. Jahrhundert
War die Innovation im 20. Jahrhundert eine „Nettigkeit", wird sie im 21. Jahrhundert zur absoluten Notwendigkeit. Wie sonst sollen wir globale Probleme und Herausforderungen bewältigen, wie die explodierende Digitalisierung und das Eskalieren von Umwelt- und Sozialproblemen? Was wir brauchen, ist Innovation, jede Menge Innovation – jedoch keine langsame, schrittweise Innovation, sondern eine grundlegende, radikale. Mit einem „weiter so wie bisher" fahren wir unweigerlich an die Wand.
 
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."  Albert Einstein
 
Digitalisierung und Technologie sind nicht genug
Schon jetzt hinterfragen einige den gegenwärtigen Bildungsansatz. CNN meldete zum Beispiel im September 2017: „Neue Arten von Schule breiten sich aus, viele von ihnen werden von Tech-Führungskräften unterstützt. Projektbasiertes Lernen verschiebt den Fokus von Noten auf kreatives Denken.”

Jedoch setzt man bei derartigen Innovationen oft einseitig auf Technologie und Digitalisierung. So beklagt ein Bericht der OECD aus dem Jahr 2016, dass trotz des enormen Potenzials der Digitalisierung die Auswirkungen derselben auf die Bildungspraktiken selbst noch gering seien. Kein Wunder: Digitalisierung und Technologie sind eben bei weitem nicht genug, um Innovation, Kreativität und Vorstellungskraft zu fördern.

Warum sich so wenig bewegt
Die größte Barriere, um die notwendigen Veränderungen auf den Weg zu bringen, sind die noch bestehenden Denkweisen und Weltbilder:
  • Der Glaube, Lehrer seien ohne digitale Technologien nicht in der Lage, Innovationen zu schaffen.
  • Der Glaube, dass Innovation mit Kreativität identisch sei – 
  • statt zu verstehen, dass Kreativität der Startpunkt für Inno­vation ist.
  • Der Glaube, Kreativität beträfe nur eine Elite von extrem talentierten Studenten – statt zu verstehen, dass es unterschiedlichster Fähigkeiten bedarf, um eine kreative Idee erfolgreich umzusetzen und jeder einen Beitrag dazu leisten kann.
  • Der Glaube, dass wir die Zukunft durch lineare Weiterberechnung der Vergangenheit vorhersagen könnten – statt zu akzeptieren, dass die Zukunft nicht-linear, komplex und unerwartet auftretend ist.
  • Der Glaube, dass wir alles einzeln auseinander nehmen, analysieren und wieder zusammensetzen könnten – statt zu verstehen, dass alles miteinander verbunden ist.
  • Der Glaube, dass es nur eine richtige Lösung gäbe – statt zu akzeptieren, dass die bestmögliche Lösung vom jeweiligen Zusammenhang und Zeitpunkt abhängt.
Aus diesen veralteten Denkweisen resultiert das Beharren darauf, dass Schüler nur nach ihrer nicht-interaktiven, wiederkäuenden und reproduzierbaren Arbeit beurteilt werden. Sir Ken Robinson, ein internationaler Berater im Bildungsbereich, wies 2010 eindrücklich darauf hin, dass unser gegenwärtiges Bildungssystem eigentlich die Bedürfnisse und Strukturen der Industrialisierung widerspiegelt und damit für den Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts angemessen war, jedoch nicht für das 21. Jahrhundert.

Die Weltanschauung für das 21. Jahrhundert
Die neuen Denkweisen, die wir brauchen, um die notwendigen Innovationen voranzubringen, lauten wie folgt:
  • Offenheit und Flexibilität – wie der Verleger Malcolm Forbes sagte: „Es ist Zweck der Bildung, einen leeren Geist durch einen offenen zu ersetzen."
  • Resilienz – also die psychische Widerstandsfähigkeit, um Krisen zu bewältigen.
  • Akzeptanz tiefergehender Vernetzung – das heißt, wir müssen unseren Horizont erweitern, um das Leben in seiner Ganzheit zu erfassen.
  • Mitgefühl – für sich und andere.

Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert
Um diese neuen Denkweisen nicht nur zu haben, sondern auch umsetzen zu können, bedarf es der folgenden Fähigkeiten, die uns die Bildung vermitteln muss:
  • Zwischenmenschliche Fähigkeiten und Kooperationsfähigkeiten – dies beinhaltet die Wertschätzung für andere Wissensbereiche und die Fähigkeit, über Unterschiede hinweg zusammenzuarbeiten.
  • Kritisches Denken und die Fähigkeit, Fragen zu stellen – dazu gehört sowohl die Fähigkeit und Bereitschaft, den Status quo zu hinterfragen, als auch die Bereitschaft, selbst hinterfragt zu werden.
  • Suche nach Sinn und Synthese – dies beinhaltet die Fähigkeit, Informationsquellen on- und offline zu hinterfragen und zu beurteilen.
  • Integrative Denkfähigkeit – dies beinhaltet die Fähigkeit, die zugrundeliegenden Ursachen eines Problems zu identifizieren und anzugehen und nicht nur die Symptome zu adressieren.
  • Selbstmanagement – dies beinhaltet die Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln und darüber hinaus zu übernehmen.
Eines ist klar: Diese Fähigkeiten erwirbt man nicht durch Vorträge und Bücher. Diese Fähigkeiten erlernt man nur durch Erleben und Experimentieren, durch Neugierde, Interesse und Courage, Projekte und Coaching, statt durch Klausuren und Belehrung. Vielleicht lässt sich all das auch so zusammenfassen: Alles, was man braucht, ob im Leben oder in der Innovation, sind ein offenes Herz und ein offener Geist.

Dr. Bettina von Stamm ist Autorin zahlreicher Artikel und Bücher zum Thema Innovation. Als Leiterin des Innovation-Leadership-Forums ist sie eine gefragte Rednerin und Beraterin, die Unternehmen hilft, ihr Innovationspotenzial zu entwickeln. Die außergewöhnliche Vordenkerin arbeitet ehrenamtlich als Director of Awards für Katerva, eine NGO, die sich der Identifizierung, Bewertung und Beschleunigung radikaler, nachhaltiger Innovation verschrieben hat.

Gesellschaft | Bildung, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
     
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