Unternehmen dürfen weiter schweigen
Bundeskabinett setzt neue Transparenzpflicht für Nachhaltigkeit in Unternehmen halbherzig um: Gesellschaft und Umwelt haben das Nachsehen
Zahlreiche Unternehmen dürfen weiterhin schweigen, wenn es um ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit geht. Zumindest wenn der heute vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzesentwurf, mit dem die EU-Richtlinie zur verpflichtenden Offenlegung von sozialen und ökologischen Aspekten umgesetzt werden soll, tatsächlich Gesetz wird. Denn dann wären gerade einmal 300 Unternehmen bzw. Konzerne in Deutschland zur Berichterstattung über ihren Umgang mit Umwelt und Gesellschaft verpflichtet. Insgesamt gibt es in Deutschland aber über 11.000 große Unternehmen. Zudem enthält der Entwurf viele Schlupflöcher, die eine aussagekräftige Berichterstattung verhindern.
"Nur wenige Monate nach dem Klima-Abkommen von Paris und der Verabschiedung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen verpasst es die Bundesregierung, die großen deutschen Unternehmen zur Berichterstattung über ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Herausforderungen zu verpflichten. Kunden, Investoren und Politiker wollen aber wissen, wo Unternehmen entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft haben und was sie tun, um diese zu reduzieren", kritisiert ein Bündnis der Zivilgesellschaft.
Detail-Bewertung des Regierungsentwurfs zur Umsetzung der EU CSR-Richtlinie in Deutschland
Begrenzter Anwendungsbereich
Nach dem aktuellen Entwurf wären im Wesentlichen nur kapitalmarktorientierte Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und damit nur ca. 300 von mehr als 11.000 großen Unternehmen in Deutschland berichtspflichtig. (Als "groß" gelten Unternehmen nach § 267 I Satz 3 HGB, wenn sie zwei der folgenden drei Merkmale überschreiten: 20 Mio. Euro Bilanzsumme, 40 Mio. Euro Umsatzerlöse oder im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer.) Bedeutende Player wie Aldi, Dr. August Oetker oder Würth mit Milliardenumsätzen und erheblichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft entlang ihrer Wertschöpfungsketten fallen so aber durch das Raster. Wer jedoch die Pflicht hat, Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft offenzulegen, hat einen größeren Anreiz, diese auch zu verbessern. Die Berichtspflicht muss deshalb auf alle großen, auch nicht börsennotierten Unternehmen ausgeweitet werden.
Fehlende berichtspflichtige Belange
Längst nicht alle relevanten Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft werden in dem Entwurf als berichtspflichtig erfasst. So soll nur das offengelegt werden, was auch unmittelbar geschäftsrelevant ist. Das greift zu kurz. So mag der Umgang mit Menschenrechten die Geschäftsentwicklung zunächst nicht beeinflussen, er hat aber eine wesentliche gesellschaftliche Bedeutung. Generell sollte sich die unternehmerische Berichterstattung zudem auf relevante Auswirkungen des Unternehmens in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette beziehen. Außen vor bleiben aktuell auch Verbraucherbelange. Dabei spielt für Kunden wie Investoren eine entscheidende Rolle, wie ein Unternehmen etwa Datenschutz und -sicherung der Verbraucher handhabt. Im Themenbereich Korruption und Bestechung sollten Unternehmen auch die Ziele und Mittel ihrer politischen Einflussnahme (z.B. Zuwendungen an Regierungen bzw. Spenden an Parteien und Politiker) transparent offenlegen müssen.
Bei der Berichterstattung sollten Unternehmen generell auch Ziele formulieren müssen. Diese sollten in Bezug gesetzt werden zu übergeordneten Referenzrahmen wie den UN Sustainable Development Goals oder dem Klima-Abkommen von Paris.
Fehlende Verpflichtung zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit
Essentiell für die Nutzbarkeit der Informationen ist Vergleichbarkeit. Diese sollten nicht durch freiwillige, sondern durch verpflichtende Anwendung international etablierter Berichtsstandards wie CDP, Global Reporting Initiative oder UN Guiding Principles Reporting Framework gewährleistet werden. Die Anwendung der Standards Deutscher Nachhaltigkeitskodex und Gemeinwohl-Ökonomie empfiehlt sich besonders für kleinere und mittlere Unternehmen innerhalb Deutschlands. Sie geben den Berichten durch eine einheitliche themenspezifische Aufbereitung Struktur und stärken so die Aussagekraft.
Mängel in Bezug auf Prozess, Zeitpunkt und Verifizierung der Berichterstattung
Hinsichtlich der Berichtsdimension der Arbeitnehmerbelange enthält der Regierungsentwurf gegenüber dem Referentenentwurf einige wichtige Verbesserungen, z. B. die ausdrückliche Erwähnung der Umsetzung der grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und des sozialen Dialogs. Gleichwohl fehlt im Regierungsentwurf eine ausdrückliche Einbindung des Betriebsrats: Damit auch die Expertise der Beschäftigten in den Bericht zu Nachhaltigkeitsbelangen einfließt, muss sich die Geschäftsleitung mit deren Vertretern beraten. Die Berichterstattung muss außerdem zeitgleich mit der Finanzberichterstattung erfolgen. So lässt sich nicht nur sicherstellen, dass sich die Spitze des Unternehmens mit diesen Aspekten beschäftigt, sondern auch, dass alle relevanten Informationen zu dem Unternehmen z.B. für Investoren gebündelt einsehbar sind.
Und schließlich dürfen die Berichte nicht im luftleeren Raum veröffentlicht werden: Anders als derzeit vorgesehen benötigen sie eine externe inhaltliche Überprüfung nach international etablierten Prüfstandards. Das würde auch den Unternehmen zu Gute kommen: Überprüfte Berichte sorgen für Glaubwürdigkeit, Akzeptanz und letztlich auch für eine bessere Wahrnehmung des Unternehmens.
Hintergrund
Die EU verfolgt mit der sogenannten CSR-Richtlinie 2014/95 das Ziel, die Transparenz von Unternehmen in der EU im Umgang mit ökologischen und sozialen Aspekten zu erhöhen. Diese offengelegten nicht-finanziellen Informationen sollen relevanter und vergleichbarer werden. Die Bundesrepublik muss die Richtlinie bis zum 6. Dezember 2016 in deutsches Recht umsetzen.
Wirtschaft | CSR & Strategie, 21.09.2016
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