„Schlimmer als der Schwarzmarkt kann es nicht werden“

Interview mit Georgh Wurth vom Deutschen Hanfverband

In immer mehr Ländern weltweit wird Cannabis als Genussmittel legalisiert. In Deutschland ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur „Änderung betäubungsrechtlicher und anderer Vorschriften" seit dem 1. März der Vertrieb von medizinischem Cannabis erlaubt. forum sprach mit Georg Wurth, dem Vorsitzenden des Deutschen Hanfverbandes (DHV), über Gefahren und Potenziale der Pflanze – als Genussmittel, aber auch als Rohstoff. 

Georg Wurth war vor seiner Zeit als Geschäftsführer beim Deutschen Hanfverband lange Zeit in der Politik aktiv. © Deutscher Hanfverband
Herr Wurth, Ist die Legalisierung von medizinischem Marihuana in Deutschland ein erster Schritt hin zu einem regulierten Markt?
Nicht zwangsläufig. Opiate sind als Schmerzmittel ja auch schon lange legal, Opium als Genussmittel aber nicht. Ich glaube aber, dass sich die Einstellung der Bevölkerung zu Cannabis durch die medizinische Nutzung entspannen wird. Und faktisch haben alle US-Staaten, die jetzt Cannabis legalisieren, vorher medizinische Programme gehabt, Kanada ebenso.

122 Strafrechtsprofessoren haben sich im Frühjahr 2015 bezüglich einer Legalisierung von Hanf als Genussmittel an die Bundesregierung gewendet. Wie ist der Stand heute?
Genau genommen haben die Strafrechtsprofessoren eine Enquete-Kommission zur Überprüfung der repressiven Drogenpolitik gefordert. Grüne und Linke haben daraufhin eine ähnliche Überprüfung beantragt. Das hat der Bundestag im März 2017 abgelehnt. Die Regierungskoalition ignoriert weiterhin stur alle Kritik von Experten verschiedenster Fachrichtungen an ihrer drogenpolitischen Linie.

Was können wir aus der Legalisierung von Hanf als Genussmittel z.B. in den USA lernen?
Wichtig ist, dass es endlich konkrete Beispiele gibt, die Legalisierungsdebatte ist nicht mehr nur rein theoretisch. Wir können uns von Uruguay bis Kanada die Legalisierungs-Modelle anschauen und die jeweils besten Details übernehmen. In den USA funktioniert die Regulierung in der Praxis schon recht gut.

Welche Risiken gibt es bei einer Legalisierung? Welche Potenziale?
Große Risiken gibt es eigentlich nicht. Schlimmer als der Schwarzmarkt kann es nicht werden. Es geht ja gerade darum, für den bestehenden Markt Regeln einzuführen: Verbraucherschutz, Jugendschutz, Qualitätskontrolle, Steuern. Niemand will Haschisch und Gras an jeder Tanke, an jedem Kiosk an Kinder verkaufen und groß bewerben. Es geht um Fachgeschäfte für Erwachsene!
In US-Staaten wie Colorado ist nach der Legalisierung weder die Kriminalität angestiegen, noch der Konsum bei Jugendlichen, noch schwere Verkehrsunfälle. Stattdessen nimmt der Staat Steuern ein, die zweckgebunden für die Sanierung von Schulen verwendet werden, die Konsumenten werden nicht mehr kriminalisiert, es entstehen viele neue Arbeitsplätze. Das wirtschaftliche Potential ist riesig - zulasten der organisierten Kriminalität, der dieser Umsatz entzogen wird.

Die Nachfrage nach Hanfprodukten steigt zwar und in Europa steigt die Fläche an kultiviertem Nutzhanf. Trotzdem sinkt die Menge der Betriebe, die in Deutschland Nutzhanf anbauen, seit Jahren. Warum?
Deutschland hat es versäumt, diesen ökologisch vorteilhaften Rohstoff zu fördern. Für mehr Nutzhanf braucht es regionale industrielle Strukturen, um das ganze Potential der verschiedenen Anwendungen zu bergen. Nach jahrzehntelangem Verbot auch von Nutzhanf ist außerdem die Erforschung moderner Verarbeitungsmethoden notwendig. Frankreich hat diesen Prozess wesentlich besser hinbekommen und kann sich nun über ganz erheblich mehr Anbau und Verarbeitung von Nutzhanf freuen.

Wie sieht die Ökobilanz von Nutzhanf im Vergleich zu z.B. Leinen aus?
Alle nachwachsenden Rohstoffe sind ökologisch interessant. Es kommt also auch auf den Preis und die konkrete Anwendung an. Hanf ist vor allem sehr genügsam, was Pflanzenschutzmittel und Dünger angeht und er wächst sehr schnell, produziert also enorm viel Biomasse in einer Saison. Außerdem sind die Fasern extrem reißfest und die Hanfsamen enthalten besonders gesundes Speiseöl.

In welchen Bereichen wird Hanf heute in Deutschland eingesetzt?
Die Nutzung als Genussmittel dürfte den größten Anteil ausmachen. Wichtige Nutzhanfprodukte sind Dämmmaterial für die Bauwirtschaft, Tierstreu, diverse Nahrungsmittel, insbesondere Speiseöl und industrielle Weiterverarbeitung zum Beispiel in der Autoindustrie für Türverkleidungen, Hutablagen etc. Da es in Deutschland kaum noch Textilindustrie gibt, wird langlebige Kleidung aus Hanf überwiegend importiert, vor allem aus China.

Gibt es einen Unterschied zwischen Marihuana, medizinischen Hanf und Nutzhanf?
Die medizinischen Hanfblüten aus der Apotheke sind praktisch identisch zum Marihuana vom Schwarzmarkt, sie werden nur sauber hergestellt und sind in Bezug auf die Wirkstoffe standardisiert. Nutzhanf ist gesetzlich durch einen EU-Sortenkatalog mit THC-Werten unter 0,2 Prozent definiert.

Wie steht die Gesellschaft Ihrer Meinung nach zum Thema Hanf in fünf bis zehn Jahren? Wir Marihuana legalisiert sein? In welchen Bereichen wird Hanf vermehrt eingesetzt?
Ich glaube, die Gesellschaft wird in fünf bis zehn Jahren viel entspannter mit Hanf umgehen als heute. Die vollständige Legalisierung sollte in zehn Jahren erledigt sein. Was Nutzhanf angeht, gibt es interessante neue Ansätze für innovative Werkstoffe, die Kunststoffe auf Erdölbasis ersetzen könnten. Auch das Thema Energiegewinnung aus Hanf könnte interessant werden. Ansonsten hoffe ich – vor allem für die Umwelt – dass Hanf in allen Anwendungsbereichen mehr genutzt wird.

Herr Wurth, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen und dem Deutschen Hanfverband bei ihrem Engagement für die Kulturpflanze Hanf alles Gute.

Georg Wurth ist studierter Finanzwirt. 1996 zeigte er sich selbst wegen dem Besitz von vier Gramm Hanfblüten an und setzt sich seitdem für die vollständige Legalisierung von Hanf als Genussmittel, die Entkriminalisierung der Konsumenten sowie die Förderung von Hanf als Medizin und Rohstoff ein. Er ist seit 2002 Geschäftsführer beim Deutschen Hanfverband, der größten Lobbyorganisation der Hanfbewegung in Deutschland. Davor war er bei Bündnis 90/Die Grünen politisch aktiv.


Kontakt: Georg Wurth, Deutscher Hanfverband (DHV) | georg.wurth@hanfverband.de | www.hanfverband.de


Umwelt | Ressourcen, 08.08.2017

     
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