Scheitert Deutschland am Auto?

„Ohne einen Beitrag des Straßenverkehrs sind die CO2-Ziele der Bundesregierung nicht zu erreichen“

„Noch so ein Fachbuch, das ich in den Weihnachtsfeiertagen überfliegen soll", dachte ich leicht genervt, als ein 600 Seiten starkes Buch auf meinem Redaktionsschreibtisch landete. Es fiel in mein Fach, daran war nichts zu rütteln, denn ich bin bei uns für das Thema Verkehr & Mobilität zuständig. Und als der Autor in seinem Begleitschreiben etwas von E-Autos sagte, war es in der Redaktion klar: Als enthusiastischer E-Autofahrer ist hier ist die Meinung von Lietsch gefragt. Mehr als widerwillig blätterte ich am 2. Weihnachtsfeiertag los – und war nach wenigen Seiten sprichwörtlich „elektrisiert". Ich war dabei, mich in einen Thriller einzulesen, der nicht nur äußerst spannend, sondern geradezu gespickt war mit geschickt verpackten Fachinformationen zu Themen wie Fahrzeugtechnik, Klimawandel, Lobbyarbeit, regenerative Energien und vielen mehr. Gerade das tiefe Fachwissen des Autors zur aktuellen Debatte der Energiewende, das fast auf jeder Seite zu spüren war, hatte mich neugierig gemacht. Nachdem ich den Roman in kürzester Zeit verschlungen hatte, wollte ich unbedingt den in München lebenden Autor Michael Valentine-Urbschat kennenlernen. Mit der Aussicht auf ein Treffen bei einem hervorragenden Italiener konnte ich ihn schnell zu einem Interview bewegen und gemeinsam mit ihm in meine Lieblingsthemen Mobilität und „Storytelling" einsteigen.
 
© Valentine-UrbschatWie kommt man auf die Idee, einen Thriller über die Energiewende zu schreiben?
Ja, zugegebenermaßen eine etwas ungewöhnliche Idee, aber auf der anderen Seite fast der einzige Ansatz, um eine breitere Leserschaft an dieses komplexe Thema heranzuführen – ihr die prekäre Ausgangssituation im weltweiten Straßenverkehr, die sehr unterschiedlichen Sichtweisen und Zwänge der beteiligten Spieler, aber auch mögliche Lösungsansätze vor Augen zu führen. Und am Schluss müssen wir, die Autofahrer, ja auch noch zur Veränderung bereit sein. Ohne uns gibt es keine Technologiewende im Straßenverkehr. Damit haben wir es quasi in der Hand, die Anstrengungen der Bundesregierung zur CO2-Minderung zum Erfolg zu führen, oder eben auch nicht. Daher ein Thriller, um die Leute endlich für dieses Thema zu begeistern.
 
Ihr bisheriger Lebenslauf als Manager und Unternehmensberater klingt aber doch eher nach Excel-Tabellen und Powerpoint-Präsentationen?
Ja, da haben sie natürlich Recht. Auch die Reaktion meiner Frau lag auf einer sehr ähnlichen Linie, als ich ihr das erste Mal von meiner Idee erzählte. Und dann haben wir einen Deal gemacht. Ich schreibe die ersten 50 Seiten der Geschichte und sie entscheidet, ob es gut genug ist, daraus einen ganzen Roman zu machen.
 
Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Ihre Frau ist sogar zur Co-Autorin geworden?
Ganz genau. Ohne ihren Zuspruch hätte ich niemals den Mut gehabt, das Werk komplett durchzuziehen. Und nachdem wir beide erkannten, wie komplex die Story und der Inhalt werden, hatte sie sich entschieden, mit einzusteigen. Sie hat mit ihrem erzählerischen Gespür permanent darauf geachtet, dass technische Detailtiefe, Charakterentwicklung und Spannungsbogen in gutem Einklang lagen. Nur so haben wir am Schluss eine, glaube ich, ganz gute Geschichte hinbekommen, die es, wie gesagt, einer breiteren Leserschaft ermöglicht, sich endlich fundiert diesem Thema zu nähern.
 
Ein 600-Seiten-Roman ist dennoch eine große Heraus­forderung, oder?
Absolut. Mein Respekt für Schriftsteller ist noch mal gewaltig gewachsen. Zu wissen, dass man jeden Tag drei bis fünf Seiten schaffen muss, um einigermaßen vorwärts zu kommen, ist eine ziemliche Belastung. Denn es gibt Tage, da setzt du dich vor den Computer und es geht gar nichts. Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, als ich endlich die ersten 300 Seiten des Manuskripts fertig hatte und mit Schrecken feststellte, dass die Geschichte ja noch lange nicht fertig war. Aber einen Weg zurück gab es ja auch nicht mehr – dafür waren wir schon zu weit. Kein angenehmes Gefühl. Auch wenn das Schreiben an sich eine sehr befriedigende Arbeit ist, weil man ja permanent etwas Neues kreiert. Doch ohne harte Disziplin kommt ein Schriftsteller kaum ans Ziel.
 
Wieso eigentlich dieser besondere Fokus auf den Straßenverkehr?
Bisher verbinden die Leute ja die Energiewende eher mit der Erzeugung sauberen Stroms. Genau deswegen. Seit 1990 liegt der Fokus vieler Beteiligter auf der CO2-Reduzierung im Energiesektor. Und hier wurde mit dem Aufbau der Solar- und Windindustrie auch einiges erreicht. Aber leider ist dabei fast übersehen worden, dass alle Verbrauchersektoren anfangen, einen Beitrag zur CO2-Reduzierung beizusteuern – nur eben der Verkehrssektor nicht. Auch nicht in der EU, die ja seit Jahren besondere Anstrengungen in diesem Sektor unternimmt.
 
Aber wir sehen doch seit Jahren Verbesserungen bei den CO2-Werten der PKWs. Fast auf jedem Verbandstreffen wird von der Autoindustrie mit Stolz auf das bereits Erreichte hingewiesen. Reicht das nicht?
Nein, leider bei weitem nicht. Denn tatsächlich sind auch in der EU in den letzten 20 Jahren die CO2-Emissionen im Straßenverkehr gestiegen, obwohl auf dem Papier eine deutliche Verbesserung der CO2-Werte bei den PKW-Neuwagenverkäufen erreicht wurde. Aber eben nur auf dem Papier; das heißt in einem künstlichen Fahrzyklus, der leider nur wenig mit der Realität zu tun hat. Kombiniert mit einem auch in der EU weiter wachsenden PKW-Bestand konnte damit unter dem Strich keine Reduzierung beim Gesamtkraftstoffverbrauch aller PKWs erreicht werden. Das wird sich auch in den nächsten Jahren kaum ändern, obwohl das EU-Ziel von 95g bis 2020 für alle Neuwagenverkäufe ambitioniert klingt. Besonders wenn man berücksichtigt, dass die auf dem Papier hervorragenden Werte der sogenannten Plug-in-Hybride noch weniger mit den tatsächlich erzielbaren Verbräuchen im Alltag zu tun haben.
 
© KannhäuserWo liegt denn dann die Lösung?
In einem deutlich schnelleren Wechsel hin zur Elektromobilität – hin zu reinen Elektrofahrzeugen, die tatsächlich keinen Benzintank mehr haben. Was auch problemlos machbar wäre – nicht in allen Fahrzeugsegmenten, aber es gibt ganz klare Zielgruppen, die sofort und problemlos auf ein EV wechseln könnten. Gerade die Mehr-Auto-Haushalte als verantwortungs-bewusste Bürger könnten den entscheidenden Anstoß dazu liefern. Doch dafür ist es, glaube ich, essentiell, dass diese Leute in der Breite verstehen, wie dramatisch die Ausgangssituation ist, wo diese neue Antriebstechnologie tatsächlich steht und welche Interessen die verschiedenen Beteiligten verfolgen. Denn nicht jeder ist an einem schnellen Technologiewechsel interessiert. Es gibt immer Sieger und Verlierer. Und die Einsätze sind extrem hoch.
 
Waren das auch Kriterien für die Auswahl Ihrer Haupt­darsteller im Roman?
Absolut. Im Prinzip kann man die beteiligten Personen in vier Gruppen einteilen. Die Vertreter der etablierten Automobilindustrie, die neuen Player, die Politiker und die Endkunden. Und dann gibt es natürlich die beiden Hauptdarsteller Eric und Lisa, die mit ihrem Team mitten in dieses Spannungsfeld zwischen allen Beteiligten hineingeworfen werden und um eine Lösung ringen.
 
Und die deutsche Kanzlerin spielt auch mit?
Ja, die durfte natürlich auf keinen Fall fehlen. Deutschland mit seinen hohen Ambitionen bei der Energiewende spielt einfach eine Schlüsselrolle. Auch wenn das Team um Eric und Lisa herum versuchen muss, das Thema auf globaler Basis mit weiteren Hauptschauplätzen in Kalifornien und China zu lösen.
 
Wie ist denn das erste Feedback vom Markt?
Sehr positiv. Wir sind teilweise echt überwältigt von den begeisterten Zusprüchen unserer ersten Leser. Besonders weil wir uns doch einige Sorgen gemacht haben, dass der inhaltliche Tiefgang und die notwendigen technischen Hintergründe negativ aufstoßen könnten. Doch der Spannungsbogen scheint die meisten mit Begeisterung durch die Story zu bringen. Das freut uns natürlich sehr.
 
Hat Frau Merkel ihr Buch schon gelesen?
Schwer zu sagen. Einerseits hat sie uns bereits kurz nach Weihnachten in einem sehr lieben Brief geantwortet und versprochen, den Roman in der nächsten Zeit unbedingt lesen zu wollen. Aber wir wissen natürlich alle, wie sehr sie an zahlreichen Fronten gefordert ist.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
Wir wünschen Ihnen und Ihrer Frau viel Erfolg mit dem Buch. Möge es helfen, auf dem Weg in die Elektromobilität einen Schritt weiter zu kommen.
 
 
Michael Valentine-Urbschat ist Experte für klimafreundliche Antriebstechnologien im Automobilbau. Nach einer Karriere bei BMW verantwortete er ab 2010 den Einstieg von Siemens in die Entwicklung von Elektroantrieben für PKWs. Heute berät er Automobilhersteller und Regierungen bei der Ausgestaltung dieser Technologiewende. Dabei begegnet er sowohl den Befürwortern, als auch den oft stillschweigenden Gegnern dieser Revolution.In seinem Debutroman enthüllt er das skrupellose Tauziehen zwischen Politik und Wirtschaft um eine neue, automobile Zukunft.
Nancy Valentine-Urbschat studierte Informatik und Betriebswirtschaft am MIT und hat Fakten, technische Detailtiefe und Spannung des Buches in Einklang gebracht.
 
 
© BEM E.V.Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander
Betrachtet man die aktuellen Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen, wird deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland aktuell noch weit auseinander klaffen. Vor diesem Hintergrund ist die Vision 2020 von Bundeskanzlerin Merkel zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber insgesamt nicht ausreichend und zu wenig ambitioniert, um der Elektromobilität in Deutschland einen entscheidenden Schub zu verleihen. So kommen etwa die Maßnahmen im Rahmen des Elektromobilitätsgesetzes viel zu spät – diese hätten als ordnungsrechtlicher Rahmen bereits zu Beginn der Markthochlaufphase vor einigen Jahren verabschiedet werden müssen. Die Bemühungen der Bundesregierung im Bereich Elektromobilität sind zudem nach wie vor zu stark auf den Automobilbereich fokussiert; obwohl gerade elektrische Zweiräder und Leichtkraftfahrzeuge zur Förderung multimodaler Verkehrsketten hier einen entscheidenden Impuls setzen könnten. So kurzsichtig gedacht, wird die Bundesregierung wohl weiterhin hinter ihren Zielen her hinken.
 
Kurt Sigl, Präsident Bundesverband eMobilität e.V. (BEM)

Technik | Mobilität & Transport, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
     
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