Die Vision einer C2C Welt

Welche Energien und Ressourcen stehen folgenden Generationen noch zur Verfügung? Wie werden wir leben, wenn wir die drei Prinzipien des Cradle to Cradle Konzepts berücksichtigen?

Monika Griefahn, die Vorsitzende des C2C e.V., beschreibt im Forum Interview mit Fritz Lietsch eine Welt mit neuer Lebensqualität.

Prinzip 1: Eine Welt ohne Abfall – wie sieht die aus?
Alle Materialien sind so miteinander verbunden, dass sie später wie­der demontiert und anders genutzt werden können. Die Klebstoffe sind so konstruiert, dass sie in Enzymbädern gelöst und Produkte wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt werden können. Maschinen des täglichen Gebrauchs kaufen wir nicht mehr, sondern nur ihre Leistung. So erwerben wir 1000 Mal waschen, statt eine Waschmaschine, 3000 Stunden fernsehen, statt 4600 Chemikalien in einem Fernsehgerät. So können die Hersteller die besten und nicht die billigsten Materialien einsetzen, weil sie diese wiederbekommen. Das erhält unsere Ressourcen. Und wir als Nutzer bekommen immer die neueste Technik. Es gibt letztlich keinen Abfall mehr, da jeder Stoff, sei es ein Verbrauchsprodukt wie Haarshampoo oder seien es Teile eines Gebrauchsprodukts wie die Waschmaschine, wieder Nährstoff in einem biologischen oder technischen Kreislauf wird. Der Abrieb eines Reifens ist nicht mehr Feinstaub, der die Lungen schädigt, sondern Dünger für die Kräuterwiese am Straßenrand, denn er ist für den biologischen Kreislauf konzipiert. Selbst mein T­Shirt wird nach Gebrauch wieder zu Humus, weil alle Inhaltsstoffe positiv ausgesucht sind. Es wird also keine Ressource vernichtet und das Konzept Abfall hat ausgedient. Meine Vision ist darum auch: Die letzte Müllverbrennungsanlage ist 2030 abgeschaltet und schädliche Emissionen aus der Verbrennung gibt es nicht mehr.

Prinzip 2: C2C vertraut auf die ständig vorhandene Kraft der Sonne. Was bedeutet das?
Die Sonne schickt uns keine Rechnung. Sie ist immer vorhanden, wir müssen sie nur nutzbar machen: Durch die verschiedenen Ener­gieformen der Sonne – Wind, Geothermie und Solarnutzung – ist das möglich. Wir müssen auch die CO2­Speicher erhalten, die uns die Sonne durch ihre Kraft schenkt – indem sie zum Beispiel Bäume wachsen lässt. Bäume beeinflussen das Kleinklima überall positiv und durch ihre Blüten und Blätter tragen sie zum Aufbau von Boden und Erde bei. Zurzeit verlieren wir nämlich fünf­bis zehnmal mehr Boden als wieder aufgebaut wird. Deshalb brauchen wir überall biologische Landwirtschaft und vielfältige Wälder. Aber die Kraft der Sonne steht auch dafür, dass es Wachstum geben darf. Sie ist die Hauptverantwortliche dafür, dass es auf diesem Planeten Wachstum gibt. Wachstum ist dem Leben immanent, und so dürfen auch wir Menschen uns entwickeln. Wir müssen uns nicht schlecht fühlen, weil wir auf der Welt sind.

Menschen leben aber auch in Städten. Wie nutzen wir dort die Kraft der Sonne?
Das ist gar nicht so schwer. Wir Menschen lernen von der Natur. Wir sind Partner und Nützlinge. Was heißt das? Wir haben nach Cradle to Cradle gelernt, Häuser zu bauen, die wie Bäume, und Städte, die wie Wälder sind. Die Luft in den Städten ist frisch und erholsam, weil die Häuser begrünt sind. Die Häuser sind nicht nur Heimat für Menschen, sondern auch für viele Arten von Pflanzen und Tieren. Auch Hoch­häuser sind aus Holz gebaut. Wir nutzen die Energie der Sonne im Haus, ohne in den Räumen durch falsche Isoliermaterialien ersticken zu müssen oder Schimmel durch Entlüftungsanlagen zu verbreiten. Die Häuser sind so zur Sonne ausgerichtet, dass die Ausbeute an erneuerbaren Energien hoch ist und der Energieverbrauch niedrig.
Große Fenster lassen Tageslicht herein. Man kann sie öffnen. Das Material ist so gewählt, dass es selbst Wärme ausstrahlt wie beim Woodcube aus Holz. Oder es produziert Kühle wie es in Lehmbauten der Fall ist. Die Fenster des Hauses sind nur eine Serviceleistung – wir kaufen Durchschauen –, und der Teppich ist eine Fußbodenverpackung, der nach Gebrauch vom Hersteller zurückgenommen wird.

Das sind die Gebäude. Aber wird auch das Leben in den Städten anders?
Mobilität nach Cradle to Cradle heißt, von A nach B zu kommen, egal mit welchem Verkehrsmittel. Ich nehme das Fahrrad zum Bahnhof, die S­Bahn zur Arbeit, das Carsharing-­Auto zum Transport einer neuen Biergartengarnitur für den Innenhof unseres Hauses, in dem sich 14 Parteien auf einen Grillsommerabend freuen. In unserem Stadtviertel ist die Schule auch Treffpunkt für Musik und andere Kunst. Die Nachbarschaft hilft sich gegenseitig. Wohngemeinschaften aus Alten und Jungen schaffen Wissensaustausch und Erle­ben gleichermaßen.

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Stichwort Vielfalt – das Prinzip 3 des C2C-Konzepts. Biologi­sche und kulturelle Vielfalt soll bewahrt werden. Wie das? 
Unsere Erde ist so lebenswert, weil sie Lebensräume hat wie Flüsse, Meere oder Wälder in unterschiedlichen Zeit­ und Klimazonen. Wir können Partner der Natur sein und von ihr lernen und uns an ihr erfreuen. Wenn wir, statt die Weizenproduktion auf vier Hybridsorten zu reduzieren, die Vielfalt der Arten nicht nur erhalten, sondern auch fördern, leben wir selbst besser, da Hungersnöte ausbleiben, Boden erhalten wird und die Meere nicht versauern. Das schützt auch unser Klima, denn Boden und Meere binden 75 Pro­zent des Kohlenstoffes. Wenn wir die nicht schützen, ändert sich das Klima schneller, als wir und unsere Vegetation sich anpassen können. Wir haben vom Kirschbaum gelernt, von seiner Fülle an Blüten im Frühling: Verschwendung und Vielfalt sind schön. Wir zelebrieren die Vielfalt und wenden uns gegen die Eintönigkeit der Effizienz – denn dann würden letztendlich zur Ernährung auch eine Tablette und ein Glas Wasser ausreichen. Aber wir lieben die Vielfalt – von alten Tomatensorten bis hin zum Lippenstift. Der ist im Übrigen vollkommen ineffizient, aber sehr effektiv.  

Müssen Menschen sich ändern, damit C2C in einer Gesell­schaft funktionieren kann?
Dr. Monika Griefahn Foto: © Bianca SchülerWir wollen nutzen statt besitzen, wir wollen Vielfalt statt Einheitsbrei und wir wollen Freude und Schönheit. Des­halb werden die Menschen mit Freude diese Änderungen aufnehmen und umsetzen. Wachstum ist eine Grundlage der Natur. Deshalb erscheint die Vorstellung von Verzicht für viele nicht attraktiv. Cradle to Cradle macht Freude. Wir brauchen dazu nur den Wunsch der Zusammenarbeit der verschiedenen Gewerke, die heute noch in Schubladen denken: die Designer und Ingenieure und Marketingleute. Und das bedeutet auch, das Bildungssystem zu verändern: Kreativität entsteht bereits durch frühkindliche ästhetische Bildung. Aber ich glaube, das Konzept ist so attraktiv, dass es einfach fliegt. Viele Menschen und Unternehmen sind ja schon aktiv. Und: Wenn wir Produkte von Firmen kaufen, die in der Umstellung sind, aber noch nicht in allem perfekt, dann unterstützen wir den Prozess.

von Fritz Lietsch

DR. MONIKA GRIEFAHN
ist Vorsitzende des Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege e.V. und Geschäfts­führerin des Instituts für Medien, Umwelt, Kultur in Buchholz (Nord­heide). Sie war Mitbegründerin von Greenpeace, Umweltministerin in Niedersachsen (1990­1998) und von 1998 bis 2009 Mitglied des deutschen Bundestages.


Umwelt | Ressourcen, 15.11.2014
Dieser Artikel ist in Cradle to Cradle - eine Lösung für Wirtschaft und Gesellschaft - forum Sonderdruck: VERSTEHEN, UMDENKEN, GESTALTEN erschienen.
     
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