25 Jahre David gegen Goliath: klein, chancenlos und doch erfolgreich

Bernhard Fricke: Sonnenkönig, Erdpolitiker, Wanderprediger

Der Rechtsanwalt Bernhard Fricke feiert dieses Jahr das 25-jährige Bestehen seiner Gruppe David gegen Goliath. Er gründete sie, um den Schwachen und Unterdrückten, den Tieren und Pflanzen eine Stimme zu geben. Er fühlte sich für die Erde verantwortlich. Also startete er den ersten Wahlkampf für die Umwelt. forum-Redakteurin Tina Teucher sprach mit dem (R)Evolutionär, der sich selbst als Erdpolitiker sieht.

Herr Fricke, was ist mit "Erdpolitiker" gemeint?
Erdpolitiker bedeutet für mich, diese Erde, unseren Heimatplaneten als einen heiligen Ort anzuerkennen und alles, aber auch alles zu tun, um Mutter Erde und all ihre Geschöpfe - Menschen, Tiere, Pflanzen - zu schützen. Unsere Mutter Erde ist ein lebender Organismus. Was wir ihr antun, das tun wir uns selber an. Ich bin überzeugt, dass wir diese Erde, unsere natürliche Lebensgrundlage durch eine Produktionsweise, die nur dem maximalen Gewinn, Konsum und Vergnügen dient, in einem unglaublichen Maße zerstören.
Ich sehe es als meine Aufgabe, dazu beizutragen, dass unser Heimatplanet von immer mehr Liebe, Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit erfüllt wird.

Sie wurden Ende der 1980iger Jahre als "Sonnenkönig" von München bezeichnet. Wer ist darauf gekommen, wie hat sich das entwickelt?
Meine Gruppe David gegen Goliath - entstanden nach der Atom-Katastrophe von Tschernobyl, die wir ja in München und Südbayern besonders intensiv und Angst erregend miterlebt haben - setzte damals den hauptsächlichen Fokus auf die Abschaffung der Atomenergie, insbesondere auf den Stopp der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Das haben wir ja gemeinsam erfolgreich geschafft.
Es war dann ein einschneidender Entwicklungsschritt, dass wir uns entschieden haben, nicht allein weiter gegen die Atom-Goliaths zu kämpfen, sondern parallel und gleichgewichtig dazu für die Durchsetzung der Sonnenenergie als die unerschöpfliche und sozial verträgliche Energiequelle einzutreten. Mit unserer Aktion aus dem Jahre 1988 "Wir machen München zur Solar-Modellstadt haben wir wirklich eine solare Vorreiter-Rolle Damals wurden wir noch belächelt und haben dafür noch sehr viel Spott und Hohn kassiert, was uns aber nie berührt hat. Im Gegenteil. Wir haben Zeichen gesetzt. Wir haben beispielsweise der Stadt München eine Solaranlage geschenkt, die das Glockenspiel und die Rathausuhr betreibt. In diesem Kontext wurde mir dann der Titel "Sonnenkönig" von der AZ verliehen.

Man nennt Sie auch "Enfant terrible". Woher kommt diese Bezeichnung, wie sehen Sie sich selbst?
Diese Bezeichnung finde ich abgrundtief blöd und völlig unangemessen. Ich habe mich selber nie als "Enfant terrible" gesehen. Darunter versteht man ja ein schreckliches Kind, das mit aller Gewalt auf sich aufmerksam machen möchte. Als was ich nicht schon alles bezeichnet wurde: als Sonnen-Revolutionär, als
DaGG-Aktion zum 23. Tschernobyl-Jahrestag: Menschen- und Tierprotest gegen tödliche atomare Verstrahlung
Foto: © David gegen Goliath e.v
Nervensäge, als Weltverbesserer oder als hoffnungsloser Idealist, aber "Enfant terrible"?
Ich sehe mich mit meiner zarten Krebs-Seele eher als ein Mensch, der sehr harmoniebedürftig und auf Ausgleich bedacht ist.
Dass manchmal provoziert werden muss, wenn die Ignoranz und Arroganz der Atom- und Wachstums-Goliaths zu groß ist, und die Bevölkerung sich wie eh und je durch "pane et circenses" ablenken lässt, ist klar. Das müssen wir bei dieser Medienlandschaft natürlich machen. Da müssen wir öfters ein Spektakel veranstalten, um überhaupt wahrgenommen zu werden, aber hinter allem Spektakulären hat immer die ganz ernsthafte Botschaft gesteckt, das wir durch unsere Art zu leben und zu konsumieren unsere Erde zerstören und wir dabei sind, wie einst die Dinosaurier unterzugehen.

Wie treten Sie diesen Klischees entgegen? Wie vereinen Sie diese Gegensätze z B. Politiker versus Protestfigur versus spiritueller Mahner?
Es ist so: das, was sich im Außen manifestiert, hat etwas mit unserem Inneren zu tun. In meiner politischen Arbeit habe ich immer versucht, mit Appellen an Einsicht und Vernunft zu notwendigen Veränderungen beizutragen, aber die erreichen den Menschen nicht in seiner wirklichen Tiefe. Das hat mich wirklich nachhaltig erschüttert. Die Veränderung des menschlichen Bewusstseins und des Verhaltens geht nur sehr langsam voran. Wir haben eine unglaubliche Fähigkeit entwickelt, uns immer wieder dem eigentlich als richtig erkannten zu entziehen, wenn die Umsetzung mit Mühe verbunden ist.
So behaupten z B. 70 bis 75 Prozent der Menschen, es sei gut in Naturkostläden einzukaufen und kein Fleisch aus Massentierhaltung zu essen. Würden sie aber real nachfragen wie viele nach dieser Erkenntnis handeln, kommen sie auf nur 10 oder 15 Prozent.
Etwas als richtig zu erkennen, ist nur ein intellektueller Prozess. Wenn der sich nicht absenkt in unser Herz und wir begreifen, dass es hier wirklich um extrem viel, um unser Überleben geht, dann bleiben politische Veränderungen immer auf der Strecke.

Wie kommen wir von diesem Denken, von dieser Überzeugung zum Handeln?
Der Dalai Lama hat da ein wunderschönes Wort gesagt. Interdependenz, der Gedanke, dass alles miteinander verbunden ist. Es kann uns nicht gut gehen, wenn es anderen schlecht geht.
Wir haben das Steuer unsers Lebens in der Hand. Wie wir als Autofahrer in jedem Moment aufmerksam sein müssen, weil wir sonst einen Umfall verursachen können, müssen wir auch unser eigenes Leben mit allergrößter Achtsamkeit führen. Dabei müssen wir uns im Klaren sein, dass alle unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen zum Guten oder Schlechten der Welt mit beitragen, denn DIE WELT SIND WIR!
Um diese Interdependenz in unser tägliches Leben zu integrieren, ist es z. B. ganz wichtig, darauf zu achten, was wir denken und fühlen, welche Worte wir gebrauchen, welche Bücher wir lesen, welche Filme wir anschauen, was wir essen - und in einem guten , uns unterstützenden Umfeld mit Freunden leben, mit denen wir uns austauschen und uns gegenseitig Mut machen können. Wenn man nicht mit dem Strom schwimmt, ist der Weg allein sehr anstrengend.

Woher beziehen Sie die Energie, gegen den Strom zu schwimmen?
Für mich ist es ganz wichtig, mich in jedem Moment mit der geistig-göttlichen Kraftquelle zu verbinden, durch Gebet und Meditation oder einfach Momente der Stille.

DaGG-Protestaktion gegen die Atomkraft und für die Sonnenenergie
Foto: © David gegen Goliath e.v
Also eine Kombination aus Achtsamkeit und Dankbarkeit.
Ja, und dabei spielen die kleinen Dinge eine große Rolle. Deshalb gehen wir ja auch unseren "Davidsweg der kleinen Schritte mit großer Perspektive". Das bedeutet z B. schon beim Einkaufen darauf zu achten, dass wir fair erzeugte biologische Produkte aus der Region kaufen. Wir müssen uns bewusst sein: Wir treffen jeden Tag an der Ladentheke eine Entscheidung für oder gegen die Umwelt.

Was wollen Sie: Revolution oder Evolution?
Bei der Revolution spielt der Faktor der Gewalt immer eine entscheidende Rolle. Wenn ich die Millionen von Opfern sehe, die ihr Blut dafür geben mussten, damit eine alte Herrschaftsschicht abgelöst wurde, nur damit eine andere, oft leider noch primitivere, an deren Stelle tritt! Da ist der Preis an Menschenleben viel zu hoch gewesen.
Angesichts dessen bin ich eher ein Anhänger einer silent revolution, bei der die Revolution in unserem Inneren stattfindet, aber dann nach außen Wirkung entfaltet: Mein Denken zu revolutionieren, mich aus alten Mustern zu lösen, mich aus alten Rollen zu befreien.
Zu einer solchen Revolution möchte ich sehr gerne beitragen.

Welche geistige Revolution hat Sie nachhaltig geprägt?
Die zentrale und größte geistige Revolution ist für mich die Erscheinung von Jesus Christus. In seiner Bergpredigt lehrt er uns nicht nur die Liebe Gottes, die Selbst- und Nächstenliebe, sondern darüber hinaus auch noch die Feindesliebe. Dass damit wirklich Gegensätze überwunden werden und Raum für eine umfassende Transformation eröffnet wird, das ist für mich die größte Revolution der Menschheitsgeschichte.

David gegen Goliath ist ja auch ein biblisches Bild. Der kleine David schlug den Riesen mit einer Steinschleuder. Was raten Sie Menschen, die mit Achtsamkeit etwas bewegen und die Schöpfung bewahren und positiv mitgestalten wollen?
Wir haben aus diesem Bild David gegen Goliath nur einen, kleinen, allerdings wesentlichen Aspekt herausgenommen: der Kleine, der keine Chance hat und doch erfolgreich ist. David hätte nie eine Chance gehabt gegen diesen Goliath oder die Davids gegen die Mächtigen der Erde, wenn sie egoistische Zielsetzungen verfolgt hätten, um sich im Endeffekt nur an die Stelle dieser Goliaths zu setzen. Davids Sieg kann nur dann Bestand haben, wenn er aus den alten Machtstrukturen ausbricht und sich an die Spitze einer überfälligen Bewusstseinsrevolution des Ausgleichs, der Toleranz und der Gerechtigkeit setzt.

Foto von unserer 25. Geburtstagsfeier: Bernhard Fricke mit OB Christian Ude
Foto: © David gegen Goliath e.v
Wozu ich gerne raten möchte: Den notwendigen Wandel auf unterschiedlichen Ebenen phantasievoll, gewaltfrei und konsequent voranzutreiben, wie wir es vorgemacht haben. Das können die klassischen politischen Protestformen wie Demonstrationen, Aktionen, Mahnwachen, Friedensgebete oder Meditationen, wohl überlegte Formen zivilen Ungehorsams oder auch Anzeigenkampagnen, Leserbriefe, Protestbriefe an Politiker, Protestmails, Spenden- oder Hilfsaktionen oder auch kulturell-politische Veranstaltungen sein. Wichtig dabei ist, einen sehr langen Atem zu haben. Wir müssen sowohl mit großen Widerständen der ihre Macht verteidigenden Goliaths als auch mit unserem eigenen Wankelmut und dem klassischen Spaltpilz, der Menschen aus nichtigen Anlässen auseinander bringt.

Wie können und sollten Unternehmen Teil dieser stillen Revolution sein - statt vom Untergang überrollt zu werden?
Ein überlebensfähiges Unternehmen müsste so positioniert sein, dass es eine organische Struktur hat. Das bedeutet, dass sich die Unternehmensführung mit den Mitarbeitern und den Kunden als eine Einheit sieht. Dass eine Produktionsweise gewählt wird, die die Ressourcen schont und auf Fairness bei angemessenen Rohstoffpreisen und den Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern achtet. Die Welt ist nicht für die Weißen, Männer, Kirchen-Christen und Kapitalisten, sondern für a l l e Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft und für unsere Mit-Geschöpfe Tiere und Pflanzen, die schon lange vor uns unseren Planeten bewohnt haben.

Ein Unternehmen ist ein kleiner Teilbereich und damit Spiegel der Gesellschaft. Ökologisches und soziales Bewusstsein und das Wissen, dass wir in einem unendlichen Netzwerk des Lebens mit allem Leben verbunden sind, weisen darauf hin, dass unser Glück vom Glück der Anderen abhängt. Die Beachtung dieser Grundsätze führt zu einem dauerhaften Unternehmenserfolg. Der Ellbogen-Kapitalismus mit dem ausschließlichen Ziel einer optimalen Profitmaximierung ruiniert unsere Erde und zerstört die Zukunft der Menschen.

Herr Fricke, wir bedanken uns für das Gespräch.

Quelle:
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 14.09.2011

     
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