Klimaneutralität: Viele Anbieter haben nur Marketing-Gags

Rat für Nachhaltige Entwicklung: Interview mit Thomas Brose, Klima-Bündnis

Das Wort "Klimaneutral" hat gute Chancen in die diesjährige Liste der "Wörter des Jahres" aufgenommen zu werden. Wahlweise auch in die Liste der Unwörter. Denn mittlerweile gibt es nicht mehr nur klimaneutrale Flüge und Veranstaltungen, selbst seinem Pkw kann man mit nur wenigen Euro im Jahr Klimaneutralität bescheinigen lassen. Ob dieses Konzept aufgehen kann, wie sich Spreu und Weizen der Angebote trennen lassen, erläutert Thomas Brose, Geschäftsführer des Klima-Bündnis'/Alianza del Clima e.V., im Gespräch.

Klimaneutrale Angebote und Dienstleistungen boomen. Ist das eine sinnvolle Form des Klimaschutzes oder doch nur ein moderner Ablasshandel zur Beruhigung des eigenen Gewissens?

Thomas Brose: Ganz klar: Kompensationsangebote sollten nur für die Aktivitäten in Betracht gezogen werden, bei denen der oder die Einzelne keine Möglichkeit sieht, sie zu vermeiden. Wenn man also zum Beispiel um einen Flug nicht herumkommt. Aber dabei muss man eines im Kopf behalten: Emissionen können nicht wieder neutralisiert, sondern höchstens kompensiert werden. Schon die Wortwahl "Klimaneutral" erweckt da also einen falschen Eindruck - mit dem übrigens auch kräftig geworben wird.

Momentan werden Kompensationsangebote ja vor allem für Flüge genutzt. Und deren Emissionen, insbesondere von Langstreckenflügen, sind tatsächlich ein großes Problem, das sich in den nächsten Jahren mit den steigenden Fluggastzahlen noch verschärfen wird. Da helfen dann auch Kompensationsangebote nicht mehr. Eigentlich brauchen wir die Besteuerung von Flugbenzin. Dass das nicht passiert, ist der eigentliche Skandal.

Grundsätzlich gilt, dass Kompensationsangebote das Handeln des Einzelnen - Energiesparen, Umstieg auf "Grünen Strom" oder weniger Autofahrten - nicht ersetzen können. Wer das meint, lässt sich tatsächlich auf einen reinen Ablasshandel ein.

Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten des Marktes ein?

Die Prognosen gehen weltweit von einem rasanten Ansteigen des Marktvolumens aus. Dies ist an der Zunahme von Anbietern und Angeboten abzulesen. Wie viele dieser Anbieter langfristig auf dem Markt überleben werden, ist schwerer zu beantworten, denn mehr als einen Marketing-Gag haben viele der Anbieter nicht im Angebot.

Schaut man sich den Markt an, drängt sich der Eindruck auf, dass einzelne Anbieter einen schnellen Euro machen wollen. Was muss man beachten, wenn man die Spreu vom Weizen trennen will?

Es ist in der Tat nicht einfach, seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden, gerade weil die Angebote und die Struktur der Anbieter sehr unterschiedlich sind. Aber es gibt einige grundlegende Kriterien, die bei der Bewertung einzelner Anbieter helfen können.

Da ist erstens die Transparenz: Liefert der Anbieter ausreichend Informationen über die geförderten Projekte? Wie hoch ist der Anteil der Verwaltungskosten des Anbieters bzw. welcher Anteil der Einnahmen geht wirklich in die Klimaschutz-Projekte? Das sind aber freiwillige Angaben, die sich nur schwer kontrollieren lassen. Außerdem könnte man noch fragen, mit welchem Preis pro Tonne CO2 kalkuliert wird - woraus sich dann ja die eigentliche Höhe des Projekt-Zuschusses errechnet. Da gibt es große Unterschiede, weil momentan die Preise für eine Tonne CO2 sehr niedrig sind.

Ein zweiter Punkt ist die Qualität der angebotenen Projekte: Prioritär sollten Projekte angeboten werden, die CO2-Emissionen verhindern oder solche, die sie reduzieren. Senkenprojekte, die CO2 aus der Atmosphäre einfangen sollen, sind sehr umstritten, da ihre längerfristige Wirksamkeit nicht garantiert werden kann. Darunter fallen vor allem Aufforstungsprojekte.

Drittens: Welche Standards zur Projektkontrolle werden genutzt? Auch da gibt es eine große Verwirrung und die Begriffe werden nicht immer einheitlich benutzt. Die freiwilligen Kompensationen, für die so genannte Verified Emissions Reductions (VER) vergeben werden, haben den niedrigsten vorgegebenen Standard und verzeichnen deshalb auch das größte Wachstum.

Außerdem kann man schauen, ob das Angebot von einem Unternehmen oder von einem gemeinnützigen Verein kommt. Den gemeinnützigen Vereinen kann man da eher unterstellen, dass sie ihre Angebote sorgfältiger aussuchen und die Projekte auch wirklich dem Klimaschutz dienen.

Sie haben Ende letzten Jahres in einer Kurzstudie unterschiedliche Klimaneutralitäts-Angebote bewertet und mussten die Untersuchung wieder vom Netz nehmen, da ein schlecht bewertetes Unternehmen rechtliche Schritte angedroht hatte. Wie kam es dazu?

Die heftigen Reaktionen von einzelnen Anbietern auf eine relativ harmlose Publikation für unsere Mitgliedskommunen zeigen, dass die Erwartungen an das schnelle Geld sehr hoch sind. Deshalb wird versucht, kritische Anmerkungen im Keim zu ersticken. Diese Erfahrung machen übrigens auch Fernsehanstalten, die versuchen, über das Thema kritisch zu berichten. Das sind bedenkliche Entwicklungen. Das Ziel der Anbieter war eindeutig, die Publikation insgesamt zu verbieten.

Eine Ursache ist auch hier, dass es für die freiwilligen Kompensationen von CO2 keine einheitlichen Kriterien gibt. Das eröffnet die Möglichkeit, dass jeder Anbieter eigene Richtlinien entwickelt und diese als die Besten anpreist. Auch die Bezeichnungen, welche Projekte lediglich verifiziert oder wirklich durch unabhängige Instanzen zertifiziert wurden, gehen ziemlich durcheinander. Für Verbraucher ist das alles leider nicht leicht auseinander zu halten.

Damit das Geld für Klima-Projekte sinnvoll angelegt wird, braucht es also einheitliche Standards. Einige, wie den von der Umweltstiftung WWF initiierten "Gold Standard", gibt es ja schon. Was halten Sie davon?

Der Gold-Standard ist zwar vielleicht noch verbesserungswürdig, wird momentan aber als eine wichtige Verschärfung akzeptiert. Sein Verdienst ist, dass er versucht, die Kriterien für Kompensationsprojekte transparenter zu machen. Außerdem trägt er dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung in den Entwicklungsländern Rechnung und versucht Projekte zu fördern, die tatsächlich zu einem geringeren Energieverbrauch führen. Und er gewährleistet, dass die lokale Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse für die Klimaschutzprojekte einbezogen wird. Das ist vor allem für unsere indigenen Partner in Amazonien wichtig.

Quelle: Nachhaltigkeitsrat

Quelle:
Umwelt | Klima, 09.08.2007

     
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